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Vorsicht. Auch schwimmend sollte man dem Komodowaran nicht zu nah kommen. Die bedrohte Tierart schwimmt nicht gern, kann es aber. Und der Biss ist tödlich.

© Tim Rock/WaterFrame

Indonesien: Die Jagd des Drachen

Auf der indonesischen Insel Komodo leben noch 3000 Riesenechsen. Besucher tauchen lieber woanders ins Wasser.

Keine Drachen, nirgends. Aber immerhin eine Spur auf dem Waldboden: weißes Pulver, als hätte jemand eine halbe Tüte Mehl ausgekippt, direkt vor uns auf dem Trampelpfad. „Das ist sein Kot“, sagt Safry, unser Guide. Die weiße Farbe stamme vom Kalk. Weil der Drache seine Opfer stets im Ganzen verspeise, also auch mit allen Knochen.

Er könnte überall stecken. Drüben im Gebüsch, hinter den Bäumen, im nächsten Erdloch. Und so sehr wir hoffen, ihn endlich zu Gesicht zu bekommen, so sehr beunruhigt uns, dass nirgendwo Absperrgitter stehen. Wenn der Drache wollte, könnte er jetzt auf uns Jagd machen.

In der halben Stunde, die wir bereits mit unserem Guide durch den Nationalpark der Insel Komodo streifen, haben wir manches über Varanus komodoensis, den Komodowaran, gelernt. Etwa, dass sein Speichel 60 höchst aggressive Bakterienarten enthält, die sich im Körper seiner Opfer ausbreiten, sobald er zugebissen hat. Das Tier jagt Hühner, Hirsche, Wildschweine. Sogar die eigenen Jungen, deshalb flüchten sie nach der Geburt auf den nächsten Baum und verbringen dort ihre ersten Monate. Erwachsene Warane sind zu schwer zum Klettern. „Komodo dragon no good mother“, hat Safry mehrfach geschimpft.

Auch Menschen wurden schon vertilgt. Der bekannteste war ein Schweizer Baron, der mit einer Reisegruppe herkam, um Drachen zu beobachten. Während der Wanderung entfernte er sich von den anderen, sie haben später nur noch sein Fernglas gefunden und seinen Hut.

Weniger als 3000 dieser Riesenechsen gibt es noch, sie leben nur hier im Malaiischen Archipel auf Komodo und ein paar Nachbarinseln, 600 Kilometer östlich von Bali, dem Touristenmagneten Indonesiens. Es gab Versuche, den Waran anderswo anzusiedeln. Die chinesische Regierung schlug einen Tausch vor: Drachen gegen Pandabären. Doch die Gegenseite ließ sich nicht darauf ein, in Indonesien will man die einzigartigen Ungeheuer weiterhin exklusiv haben.

Früher wurde Touristen garantiert, mindestens ein Exemplar zu Gesicht zu bekommen, wahrscheinlich aber Dutzende. Es gab so viele auf Komodo, und sie wurden regelmäßig mit Ziegen angefüttert. Nach dem Verschwinden des Schweizers hat man das lieber sein lassen. 

Der Schnorchler sei ein anderer Menschentyp

An Bord der "Ombak Putih" geht es familiär zu. Abends trifft man sich gerne mal beim gemeinsamen Bier und lässt den Tag mit einigen Volksliedern ausklingen.
An Bord der "Ombak Putih" geht es familiär zu. Abends trifft man sich gerne mal beim gemeinsamen Bier und lässt den Tag mit einigen Volksliedern ausklingen.

© Bärbel Dähling/privat

Jetzt kann uns niemand mehr versprechen, dass wir tatsächlich auf Drachen stoßen, hat uns Dick schon am Vorabend auf der „Ombak Putih“ erklärt. Dick ist Holländer, und „Ombak Putih“ heißt sein Schiff, das uns seit fünf Tagen von einer Insel zur nächsten bringt. 36 Meter ist es lang, die Segel werden höchstens gesetzt, um schöne Fotos zu machen, ansonsten knattert der Motor. Wer unter Deck in seine Kabine will, muss schon im Aufenthaltsraum die Schuhe ausziehen. Der Eigner möchte, dass sich seine Gäste heimelig fühlen. Die zwölf Kabinentüren werden nicht abgeschlossen, seiner Crew könne man vertrauen, hat Dick bei unserer Ankunft versichert.

Gegessen wird abends gemeinsam an einem massiven Holztisch auf dem Hauptdeck. Ein älteres Ehepaar, ein ganz junges in den Flitterwochen, zwei Norweger, ein abenteuerlustiger Handwerker aus der Schweiz. Nein, vor den Waranen habe er keine Angst, sagt der Schweizer, er sei doch nicht abergläubisch!

Die „Ombak Putih“ ist groß genug, um sich an Bord aus dem Weg zu gehen. Das will jedoch keiner. Nach zwei Tagen ist von weitem nicht mehr zu unterscheiden, wer hier vor Reisebeginn eigentlich wen kannte. Das liegt auch an den gemeinsamen Schnorchelausflügen, immer dann, wenn das Schiff nahe einer ruhigen Bucht ankert. Im Anschluss sitzen alle an Deck und schlagen in Büchern nach, welche neonfarbenen Fische sie diesmal beobachten konnten. Am Vortag ist ein ausgewachsener Mantarochen an der Gruppe vorbeigeschwommen, oder besser: vorbeigeschwebt, so elegant wirkte sein Flossenschwung. Zurück auf dem Schiff haben wir darauf euphorisch mit Bier angestoßen. Manta-Sichten verbindet.

Richtige Taucher nimmt Schiffseigner Dick nicht mit an Bord, die sind ihm zu fanatisch, sagt er. Taucher wollen die ganze Zeit tauchen. Der Schnorchler an sich sei ein anderer Menschentyp. Der interessiere sich auch für seine Umwelt. Eigentlich ist Dick Philosophielehrer. 1976 verliebte er sich bei einem Urlaub in Indonesien und blieb. Seine Schiffsreisen sollen kein Luxus sein, sagt er. Besser: so bequem wie nötig, so ökologisch wie möglich. Deswegen werden die Handtücher an Bord nur alle vier Tage gewechselt, das Bettzeug gar nicht. Wer will, kann sich abends eine Liege nehmen und den Kapitän bitten, die Beleuchtung auf dem Oberdeck auszuschalten. Um dann direkt unterm Sternenhimmel einzuschlafen. Pullover reicht, hier ist es auch nachts nie kälter als 15 Grad.

Für richtige Taucher hat der Schiffseigner Dick Bergsma nicht viel übrig, die sind ihm zu fanatisch.
Für richtige Taucher hat der Schiffseigner Dick Bergsma nicht viel übrig, die sind ihm zu fanatisch.

© privat

„Ombak Putih“ bedeute „weiße Welle“, sagt Dick. Das klingt ein wenig nach Kolonialismus, besonders ihm als Holländer, als Nachfahre der einstigen Eroberer, drängt sich das auf. Er wollte es umbenennen, doch keine Chance: Das bringe Unglück, sagten die Einheimischen. Niemand hätte sich mehr an Bord getraut, und Dick braucht mindestens zehn Männer, um das Schiff auf Kurs zu halten.

„Wenn mir hier eines nie wird“, sagt Dick, „dann ist das: langweilig.“ Jedes Jahr plant er neue Routen, kreuzt durch Reviere und fährt an Orte, die er selbst noch nicht kennt. Indonesien gleicht einem Flickenteppich, 17 500 Inseln gehören dazu, die allermeisten unbewohnt. Wer jeden Tag ein neues Eiland ansteuern würde, bräuchte trotzdem fast 48 Jahre, um alle zu sehen.

Unsere Reise begann in Lombok, der Insel, die von der indonesischen Regierung als „kommendes Urlaubsparadies“ vermarktet wird. Als Alternative für jeden, der sich auf Bali von Touristenströmen gestört fühlt. Manche behaupten, Lombok sei exakt wie Bali vor 15 Jahren: ideal für den sogenannten Traumurlaub, bloß ohne die anderen Traumurlaubssuchenden.

Kein Luxus, keine Klischees

Nur wenige Touristen aus Europa finden den Weg in die kleinen Dörfer an der Nordküste der Insel Sumbawa - die einheimische Kinder staunen über ihre langen Nasen.
Nur wenige Touristen aus Europa finden den Weg in die kleinen Dörfer an der Nordküste der Insel Sumbawa - die einheimische Kinder staunen über ihre langen Nasen.

© Privat

Auf Lombok gibt es noch viel Platz. Zum Beispiel in Tanjung Aan, einer Bucht an der Südküste der Insel. Auf dem Weg dorthin kommt man an einigen Hotels und Gästehäusern vorbei, ein paar Cafés, die mit kostenfreiem Internet werben. Vor allem aber an Reisfeldern. Die Wasserbüffel laufen frei herum, wehende Plastiktüten sollen die Vögel fernhalten. Auf Lombok wird vier Mal am Tag gegessen, und immer ist es Reis, sagt unser Guide.

Direkt am Strand steht man plötzlich ganz alleine da und sieht sich um: zur rechten ein halber Kilometer weißer Sand, zur linken noch mehr. Nur zwei streunende Hunde nähern sich dem Wagen, legen sich neben die Fahrertür in den Schatten, um der Mittagssonne zu entgehen. Auf dem Wasser holen Fischer ihre Netze ein. Mit Glück sind „red snapper“ drin, Rote Schnapper. Weiter vorne am Strand stehen Bänke, daneben häufen sich Berge von Kokosnussschalen. Die haben Einheimische ausgetrunken. Sie sind hier noch die einzigen Touristen, und das nur am Wochenende.

Von Lombok aus geht es mit dem Schiff ostwärts, immer dicht an der Nordküste der Insel Sumbawa entlang. Zwischendurch legt die „Ombak Putih“ an den Stegen kleinerer Siedlungen an, Crewmitglieder führen die Gruppe durchs Dorf. Man merkt, dass die Menschen hier nicht täglich von Touristen bedrängt werden – zum Beispiel daran, dass Kinder mit ihren Fingern auf einen zeigen und sich über die ungewöhnlich langen Nasen der Europäer wundern. Der rundliche Norweger in unserer Gruppe ist in jedem Dorf der Star. Übergewicht kennen sie hier nicht.

Das Leben an Bord der „Ombak Putih“ folgt einem Rhythmus. Jeden Tag schnorcheln, erkunden, beisammen sein. Wer sich ein Bier aus dem Kühlschrank nimmt, macht einen Strich. Eines Abends versammeln sich die Crewmitglieder an Deck und singen uns Volkslieder vor. Nicht in goldglänzenden Kostümen, sondern mit Jeans und Baseballmütze. „Manise, Manise, Sultalalu, Manise ...“ Im Lied geht es um den Gedanken an Heimat, und dass der viel zu süß sei, um ihn zu ertragen, nämlich so süß wie Kokosmilch mit Zuckerwasser. Das ist kein Ethno-Kitsch für Touristen, das ist Klamauk und auch ganz viel Ironie. Eigentlich müsste es immer so sein, denkt man. Kein Luxus, keine Klischees. So wie an Bord der „Ombak Putih“.

Zwei Tage später auf Komodo hält unser Guide einen langen Stock in der Hand. „Den benutze ich im Notfall, um die Drachen auf Abstand zu halten“, sagt er. Das Holz heißt Tamarind, es musste von weither gebracht werden, gilt aber als extra stabil. Könnte es passieren, dass diese Reise ohne Riesenechse zu Ende geht?

Psst, psst, macht der Guide und zeigt auf eine Lichtung. Zwei Warane liegen da und sonnen sich. Wirklich gewaltig sind sie, sicher drei Meter lang. Sie bewegen sich nicht, nur ab und zu blinzeln sie, dann sieht man kurz ihre gelben Augenlider. Wir wagen uns näher und machen Fotos. Und wissen alle, dass der Weg bis hierhin im Grunde viel aufregender war.

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