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Philippinen

© Mauritius

Philippinen: Die Stufen zum Himmel

Im Norden von Luzon auf den Philippinen bauen die Menschen Reis und Gemüse an - auf kunstvollen Feldern.

Die zehnjährige Wylene Hippoa trägt ihr Schwesterchen Nancy im Wickeltuch und stützt liebevoll das Köpfchen des Säuglings. Nach der Schule hilft das Mädchen ihrer Mutter Elizabeth in deren Souvenirshop mit dem passenden Namen "Hanging House". Es steht am Rande eines steilen Abhangs unweit der Kleinstadt Banaue im Norden der philippinischen Hauptinsel Luzon. Getränke, Gesticktes und Geschnitztes - ein bescheidenes Angebot, doch neben dem Lädchen lockt eine Plattform auf Pfeilern. Die grandiose Aussicht gibt's umsonst.

Vor dem Laden stehen zwei große geschnitzte Skulpturen. Wäsche flattert auf einer Leine im Wind. Das Knattern eines dreirädrigen Gefährts unterbricht die Stille der Bergwelt. Der Fahrer stoppt auf dem Holperweg direkt vor dem Ladenhäuschen. Ein Urlauberpaar aus Kanada zwängt sich aus dem überdachten Seitenwagen des Mopedtaxis. Auch die beiden sind überwältigt vom Ausblick: Auf der Plattform über dem Hang das niedliche Geschwisterpaar und weit unten im Tal das Dörfchen Dalican, umgeben von sattgrünen Reisfeldern auf Terrassen, die den Hang hinaufzuwachsen scheinen. Dazwischen schimmern ein paar silberne und grünbraune Dächer, die eine oder andere Palme reckt sich, und Teiche zur Bewässerung glitzern in der Sonne. Kunstwerke historischer Bauernarchitektur, so weit das Auge reicht.

Ein Teil dieser Anlagen in und um Banaue steht auf der Weltkulturerbeliste der Unesco. Die ältesten Terrassen sollen 2000 bis 3000 Jahre alt sein, geschaffen vom Bergvolk der Ifugao. In harter Handarbeit rangen sie die Felder auch extrem steilen Hängen ab. Über Generationen schufen die Bauern so Terrassen-Kunstwerke in zahllosen Variationen.

Auch heute noch wird Quellwasser durch ein System von Gräben und Bambusrohren gepumpt und die Stützmauer aus Naturstein gebaut. Neben dem Reisanbau züchten die Bauern auch Fische - in den künstlichen Wasserspeichern und auf überschwemmten Feldern. Als die Spanier im 16. Jahrhundert in das Gebirge nach Luzon kamen, glaubten sie, ein hochentwickeltes, aber verschwundenes Volk habe einst diese "Stufen zum Himmel" errichtet. Die Forschung ergab dann aber, dass es vom noch heute hier ansässigen Bergvolk geschaffen wurde.

Nun stoppt ein Jeepney vor dem Lädchen. In diesem Gefährt ist die Schüttelpiste eher zu ertragen als im Dreiradgefährt. Ein Schlagloch lässt zwei Kohlköpfe aus dem Korb einer Bäuerin kullern. Dabeistehende Schulkinder lachen. Jeepney, das ist das robuste Nationalvehikel, bunt bemalt mit Schmetterlingen, Jesus oder Drachenfiguren. Bis zu 20 Insassen zwängen sich in diese kurios verlängerten Nachbauten der US-Militärjeeps aus den vierziger Jahren.

Und erneut öffnet sich ein spektakulärer Blick ins Tal: ein kreisrundes Dorf. Zwei Dutzend Häuschen mit Blech- und Faserdächern sowie ein Kirchlein drängen sich umeinander, umringt von endlos scheinenden, sattgrünen Reisterrassen. Bangaan wirkt wie das berühmte wehrhafte gallische Dorf von Asterix und Obelix, das standhaft bleiben muss, um nicht überwuchert zu werden. Eine halbstündige Klettertour später sind wir unten. Der Weiler und seine Felder sind Teil des Reisterrassen-Welterbes.

"Die Unesco unterstützt den Erhalt der Felder und Mäuerchen ein wenig", erzählt Leticia Palayon. Die 36-Jährige führt in Bangaan ein kleines Restaurant und verkauft nebenei die Schnitzereien ihres Mannes. 24 Familien wohnen im Dorf. "Pro Familie etwa zehn, das macht 240 Einwohner", rechnet die junge Frau vor. Die Arbeit auf den Feldern sei hart, das Leben kärglich, sagt sie und fügt hinzu: "Wir haben nur eine Ernte im Jahr." Auch die Weltorganisation sorgt sich, dass viele Familien den traditionellen Reisanbau vernachlässigen. Viele Touristen kommen nicht, aber die bringen immerhin ein kleines Zubrot, weiß Leticia, die wie die meisten Einheimischen auch Englisch spricht. Die drei Holzhütten mit Schmuck und Schnitzwerk am Wegesrand sind an diesem Tag ohne Kundschaft. Die Frauen grüßen freundlich, scheinen aber ein wenig enttäuscht.

Lebhafter ist es in Banaue, der Stadt im Reisfeld, obwohl auch hier die Besucherschar überschaubar bleibt. In der Kleinstadt gibt es Busse, Jeepneys, Internet, Touristenbüro, Restaurants, Gästehäuser und Hotels. Die Preise sind - wie überall im Lande - niedrig. Im langgestreckten Ort warten an der steilen Straße bei drei Aussichtsplattformen einige ältere Frauen in traditioneller Kleidung. Den Kopf ziert ein meist rot-gemusterter gestrickter Wickel mit Federschmuck. "Wir freuen uns über ein kleines Trinkgeld, wenn wir fotografiert werden", sagt Buhan Puhyan. Die 74-Jährige fühlt sich heute nicht wohl, wir besuchen sie in ihrem schlichten Haus, wo sie mit Tochter und drei Enkelinnen wohnt. Sie freut sich über den Besuch der deutschen Touristen und ist froh, eine Flasche selbst gemachten Reiswein zu verkaufen. Überrascht und bald übers ganze runzelige Gesicht strahlend blickt sie auf ihr Konterfei, das die Nord-Luzon-Broschüre des philippinischen Verkehrsamtes schmückt. Dann zeigt sie das Heftchen, das ihr der Gast schenkt, stolz ihrer Familie. "Ich wusste gar nichts von dem Foto", sagt sie.

Auch in Banaue wollen vor allem die jungen Leute der harten Knochenarbeit auf den Terrassenfeldern entkommen. Die Hauptstadt Manila lockt, viele träumen von attraktiven Jobs und Discos. Doch auch die Bilder von tiefster Metropolenarmut, Baracken, Müll und Slums kennen die Bergfamilien.Viele von ihnen haben inzwischen einen Fernseher. "Wir sind arm, müssen aber nicht hungern", sagt Buhan Puhyan. Hier auf dem Lande haben alle ein Dach über dem Kopf. Viele halten sich auch Hühner und Schweine, haben Bananenbäume. In Manila bleibt Neuankömmlingen ohne Ausbildung oft nur eine Bleibe unter Plastikplanen.

Fast drei Jeepneystunden von Banaue entfernt reichen die Reisterrassen von Batad viele hundert Meter die Hänge hinauf. Mäuerchen mit oben festgestoßenem Erdreich stützen hier die Feld-Architektur. Ort und Umgebung bieten vielerorts noch ursprüngliches Leben, aber auch kleine Gaststätten und Herbergen.

Wer in die Banaue-Region und dann wieder in den Süden von Luzon nach Manila will, braucht Gelassenheit - und Sitzfleisch. Vier Stunden dauert die Rückfahrt durch die Cordilleras von Banaue über Bontoc in die große Bergstadt Baguio. Und das landschaftliche Wunder dauert an. Hinter den Hängen und unten im Tal verschwinden Wolken, Dunst- und Nebelschwaden.

Der Blick wird frei auf einen nahen, reißenden Fluss. Über eine schaukelnde Hängebrücke spazieren drei Schülerinnen in grün-weißer Uniform. Unzählige, teils winzige Agrarterrassen schmiegen sich an die Berge. Das satteste Grün haben auch hier die Reisfelder. Auf Flächen mit blassgrünen Punkten wird Kohl angebaut. Auch Mais, Zwiebeln, Bohnen werden so mühevoll gezogen. Weiße Tupfer entpuppen sich als Lilien. Hier, zwischen 800 und 1500 Metern Höhe, gedeiht alles prächtig.

Der Norden Luzons hat noch andere Attraktionen: Sagada lockt mit Wasserfällen, Höhlen-Grabstätten und "hängenden Särgen". Das historische Vigan, ebenfalls Weltkulturerbe, wird vor allem wegen seiner wertvollen Kolonialarchitektur aus spanischen Zeiten besucht. Der Fahrer des kompakten Busses mit hohem Achsenstand und engen Sitzen, die für kleine Filipinos gemacht sind, hupt seine Passagiere herbei. Die Serpentinenstraße ist wieder frei. Nach heftigem Regen und einem Erdrutsch hat ein schweres Räumfahrzeug gerade Geröll, Erde und entwurzelte Bäume an den Wegesrand geschoben. Neben drei Japanern und zwei Deutschen klettern auch Bauern, Marktfrauen und Schulkinder in das robuste Vehikel. Für die Touristen war der Zwangsstopp eine spektakuläre Fotopause. Für die gelassenen und freundlichen Bergbewohner ist es Alltag.

Michael Würfel

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