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Reise auf der Sea Cloud: Alle Mann in die Wanten!

Auf der "Sea Cloud" erleben Passagiere Seglerromantik in der luxuriösen Variante. Doch vor dem 80. Geburtstag geht’s in die Werft.

Nichts regt sich. Der Erste Offizier Sergeij Komakin steht an Deck, die Besatzung der „Sea Cloud“ hält sich bereit. Nur einer fehlt – der Wind. Punkt 9 Uhr sollen die Segel gesetzt werden, hat der Kapitän angeordnet. Das muss der Wind überhört haben. Doch wer will schon auf einem der schönsten Viermaster mit den Dieselmaschinen tuckern? Also warten. Die Passagiere nehmen’s gelassen. Das wird schon noch.

Die Viermastbark ist die größte und vielleicht auch schönste private Segelyacht, die jemals gebaut wurde. Das Fünf-Sterne-Schiff, das heute mit zahlenden Gästen über die Weltmeere gleitet, ist größer als die vergleichbar elegante „Gorch Fock“, das als Bark getakelte Segelschulschiff der Bundesmarine, das 1958 gebaut wurde.

Nun ist die „Sea Cloud“ auf ihrer letzten Fahrt. Vorerst letzten, um genauer zu sein. Von der spanischen Küste aus geht es in Richtung Bremerhaven, wo sie planmäßig an diesem Wochenende in der Werft ankommen soll. Bei den Motorenwerken Bremerhaven (MWB) wird das 1931 als Privatyacht unter dem Namen „Hussar V“ in Kiel gebaute Schiff richtig fein gemacht und mit neuer Technik ausgerüstet. Schließlich steht im kommenden Jahr ein runder Geburtstag an, und der wird nach der Restaurierung auf dem Hamburger Hafenfest vom 6. bis 8. Mai groß gefeiert. Die „Sea Cloud“ nimmt also die letzten Passagiere für dieses Jahr an Bord. Überwältigt von der historischen Patina allüberall beziehen sie auf dem Windjammer Quartier. Edle Hölzer, Marmorkamine und -bäder, vergoldete Wasserhähne in Schwanenform – der extravagante Stil der einstigen Eignerin, Kaufhauserbin Marjorie Merriweather Post, hat alle Stürme überstanden. Sämtliche 32 Kabinen der „Sea Cloud“ sind natürlich außenliegend, doch höchst individuell ausgestattet.

Sechs von ihnen – die ursprünglichen Gästekabinen – wurden wie die Eignerkabinen dem Originalvorbild getreu erhalten. Während Lady Marjories Gatte, Börsen-Tycoon Edward Hutton, in seiner ahorngetäfelten Suite einen etwas rustikaleren Stil pflegte, bevorzugte die Eignerin eine ausgesprochen feminine Ausstattung. Weiße Schleiflackmöbel, ein raumhoher geschliffener, reich verzierter Ankleidespiegel, Marmorkamin – die Hauptmerkmale der Kabine No. 1, die mit 38 Quadratmetern auch außergewöhnlich groß ausfällt.

Und das neun Quadratmeter messende Marmorbad mit einer antiken Frisierkommode lässt vollends vergessen, dass man hier auf einem Schiff ist. Um all dies zu erhalten und das Schiff weiterhin „von Hand“, also personalintensiv, segeln zu lassen, blieb dem heutigen Miteigner Hermann Ebel kaum eine andere Wahl, als das Schiff fest im obersten Luxussegment zu verankern. Das heißt: Wer die luxuriöse Art der Segelromantik erleben möchte, muss mit Tagespreisen bis 800 Euro rechnen. Doch schließlich steht hier maximal 64 Gästen eine 60-köpfige Crew gegenüber, deren Heuer bezahlt werden muss. Wer auf diesem Schiff arbeiten möchte, muss hingegen zu Abstrichen in Bezug auf Komfort und Bezahlung bereit sein. Gleichwohl, Bewerbungen gibt es in ausreichender Zahl. Denn: Wer auf der „Sea Cloud“ gearbeitet hat, bekommt an Land immer wieder ein Bein auf die Erde.

Konzentration und Flexibilität - Über Manöverfahrten mit 54 Meter hohem Hauptmast lesen Sie auf Seite zwei.

Nur bei der Besetzung der höheren Offiziersrängen mit deutschem Personal wird die Auswahl etwas schwieriger: Mit dem 54,20 Meter hohen Hauptmast der „Sea Cloud“ weiß nämlich nicht jede Schiffsführung etwas anzufangen. Es sei denn, sie hat das Manövrieren von Großseglern noch gelernt. Das mag bei manchem deutschen Kapitän im Ruhestand der Fall sein. Doch die lassen sich kaum noch auf die Brücke eines Großseglers locken, nicht zuletzt, weil dort höchste Konzentration und Flexibilität gefordert sind, die sich im fortgeschrittenen Alter bestenfalls noch auf kurzen Törns aufbringen lassen.

So gehen heute Kapitäne und erste Offiziere vornehmlich aus Russland, Weißrussland und der Ukraine mit der „Sea Cloud“ auf große Fahrt. Deren finanziellen Ansprüche sind zudem etwas geringer, obwohl an ihren seemännischen Fähigkeiten keine Zweifel erlaubt sind. In der früheren Sowjetunion wurde beim Marinenachwuchs schließlich sehr viel Wert auf die Ausbildung auch an Bord von Segelschulschiffen gelegt. Dabei ging es nicht allein um das Vermitteln von seemännischen Fähigkeiten. Und Hermann Ebel, selbst Segler, weiß als einer der erfolgreichsten Reeder Deutschlands zu schätzen, was die Besatzungen aus der ehemaligen Sowjetunion auf sein Schiff auf sein Schiff mitbringen.

Der Reiz einer Reise auf der „Sea Cloud“ besteht nicht allein in den nostalgischen Gefühlen, in denen der Passagier hier geradezu baden kann. Zum etwas plüschigen 30er-Jahre-Ausstattungstouch Made in USA, zu Teakholz und Mahagoni kommen Dinge, die nicht zu sehen, jedoch deutlich zu spüren sind. Positive, heute nicht hoch genug zu wertende Eigenschaften aller an Bord: Es gibt allem Anschein nach auf der „Sea Cloud“ niemanden, der sich nicht ehrlich in Teamfähigkeit übt, wenn er sie nicht ohnehin schon erlernt hat.

Das gilt zum einen für die Besatzung, binnen Stunden jedoch erstaunlicherweise auch für die Passagiere. Ohne sie, ohne das Teamwork der Crew und Führungsqualität der Offiziere wäre dieses Schiff hohl wie eine leere Muschel. In diesem Miteinander zaubert die „Sea Cloud“ ein zufriedenes Lächeln auf alle Gesichter. Wenn es nicht gerade stürmt.

Manchmal wünscht sich das der übermütige Gast. Wenigstens ein bisschen. Offizier Sergeij Komakin steht jetzt an der Notruderanlage am Heck und schaut nach oben. Von hier aus kann er die Takelage am besten übersehen. Noch immer sind alle Mann an Deck. Nur der Wind lässt weiter auf sich warten. Komakin spricht in sein Walkie-Talkie. Auf „Flüstertüten“, Matrosenanzüge und ähnlich historisierenden Schnickschnack wird an Bord verzichtet.

Seit fünf Jahren segelt Komakin die „Sea Cloud“. Er trägt weiße Chinos, ein weißes kurzärmeliges Hemd, weiße Seglerschuhe und eine große schwarze verspiegelte Sonnenbrille. „Der Wind kommt aus Osten“, sagt er. „Doch mehr als zwei bis drei Knoten werden es heute nicht werden.“ Die Dieselaggregate würden den Segler auf eine Geschwindigkeit von elf bis zwölf Knoten bringen. „Unter Segeln vor Sardinien hatten wir unlängst 45 Knoten“, sagt der Mann in Weiß. „Das war allerdings schon etwas heftig.“ Um gleichzeitig alle Segel zu setzen, sind 18 Mann erforderlich, sechs pro Mast.

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Jetzt klettert die Decksmannschaft in die Wanten. Vor dem Einstieg bekreuzigen sich einige der Matrosen noch schnell, sicher ist sicher. Kaum sind sie auf der vorgesehenen Position, beginnt das große Knarren. Die niedrigen Segel werden zuerst gesetzt. Wie in einem Marionettentheater bewegen sich die Seile, die nach oben führen. Die weit oben an den Masten gelegenen Royal-Segel zum Schluss. Fünf bis sechs, maximal zehn Jahre können die Segel den Elementen trotzen, dann ist das überwiegend in Polen gefertigte Tuch aus gesponnener Polyesterfaser hin.

„Könnte man nicht aus den alten Stücken Seesäcke machen? So ein Originalstück von der ,Sea Cloud‘ nähme doch sicher manch Passagier gern mit nach Hause“, sinniert ein Mitsegler. Der Reeder hört’s und will drüber nachdenken...

Binnen 14 Minuten sind alle 36 Segel gesetzt. „Etwa ein Jahr Training ist nötig, eine Crew so weit zu bekommen“, erzählt Komakin, der das Segeln auf einem Schiff wie diesem in der Ukraine erlernt hat. Kaum merklich macht der Windjammer Fahrt, die Diesel sind jetzt abgeschaltet. Große Ruhe breitet sich an Deck aus. Gut ein Drittel aller Strecken werde gesegelt, und sei es noch so langsam, heißt es.

Die Männer – und Frauen – klettern zurück an Deck. „Ich bin immer froh, wenn sie alle wieder unten sind“, sagt Schiffsärztin Alexia-Marion Doin. Sie hatte sich während einer Folge der Fernsehserie „Traumschiff“ in den Großsegler verguckt. Was passiert, wenn sie sich mal keinen Reim auf eine Erkrankung machen kann. „Nun, das ist selten“, sagt die Ärztin, die normalerweise im Städtischen Klinikum München Dienst tut.

Als Intensivmedizinerin habe sie doch schon Vieles gesehen. Notfalls müsse sie in Cuxhaven anrufen, bei der funkärztlichen Beratungsstelle des Telemedical Maritime Assistance Service (TMAS), die Seefahrern in medizinischen Notfällen zu helfen versucht. In diese Verlegenheit sei sie allerdings noch nie gekommen. Während des Mittagessens auf dem Lidodeck plötzlich ein Ruf an der Bordbar: „Dolphins!“ Tatsächlich zieht am Heck ein Schwarm Delfine vorbei. Die als Barpianistin für den Törn engagierte Kalifornierin Gaynor ist entzückt: „Wenn ich ,Green Dolphins‘ spiele, kommen sie vielleicht etwas näher.“ Doch lieber wird der Maat angehalten, Essensreste über Bord zu werfen. Na, wenn das ein Tier- und Umweltschützer gesehen hätte... Doch es hilft nichts, der Tisch des Meeres ist reich gedeckt, der Schwarm zieht weiter.

Gaynor assoziiert jetzt den herbstlich blauen Himmel mit „Summertime“ von George Gershwin: „...and the living is easy.“ Noch, denn die den Passagieren noch bevorstehende Fahrt durch die Biscaya ist im Herbst selten das reine Vergnügen.

Schönheitskur in Bremerhaven. Lesen Sie mehr auf Seite vier.

Doch nach Bremerhaven muss das Schiff. Der Aufenthalt in der Werft lässt sich nicht weiter aufschieben. Es geht nicht nur ums Make-up, der Oldtimer muss auch an die neuen Sicherheitsstandards Solas (Safety of Life at Sea) angepasst werden. Auf der Brücke wird ein neues Radarsystem installiert. Die Riggs – also die Takelage eines Segelschiffs – werden generalüberholt, Masten und Rahen mit Ultraschall auf Schäden durchleuchtet. Im Treppenabgang zu den Originalkabinen muss zudem eine Stahltür der Brandsicherheitsklasse 0 installiert werden.

Das Schiff wird außerdem zwei neue Hilfsdiesel bekommen, auch werden Sprinkler- und Feuermeldeanlage erneuert. Selbst wenn er nicht mehr gebraucht wird für die Kommunikation zwischen Brücke und Maschinenraum: Der Original-Maschinentelegraf soll auch flott gemacht werden. Dessen Kette ist irgendwo gebrochen. Dass Teppichböden, Bäder, Matratzen ausgetauscht werden, versteht sich von selbst, schließlich soll das Schiff auch nach dem 80. Geburtstag noch eine anspruchsvolle Klientel bedienen. Tja, bleibt eigentlich nur ein Problem bei der Rundumkur für das Schiff: Da muss noch Überzeugungsarbeit geleitet werden, denn die geselligen Philippiner, die einen großen Teil der Crew ausmachen, wünschen keinen Umbau ihres relativ großen Schlafraums mit den mehrstöckigen Kojen. Zwei- oder Vier-Bett-Kammern mögen sie nicht. Warum bloß? Alexia-Marion Doin lächelt verschmitzt und deutet an, dass sich bisher Frauen und Männern den Raum teilen. Und das sollte aus Sicht der Philippiner wohl auch so bleiben.

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TECHNISCHE DATEN
Der Windjammer ist 109,50 Meter lang und 14,94 Meter breit. Der Tiefgang beträgt 5,13 Meter. Die Gesamtfläche der 36 Segel misst 3000 Quadratmeter.
Es gibt ein Lido-Deck mit Bar; im Restaurant ist die Tischwahl frei.

TÖRNS 2011

Der Tagesspiegel Autor schreibt in seinem Bordtagebuch über die vorweihnachtliche Transatlantik-Reise der Sea Cloud.

AUSKUNFT

In Reisebüros oder bei Sea Cloud Cruises, Telefon: 040/3095920, Internet: www.seacloud.com

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