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Reise-Typen: So packen wir's

Zahnpasta? Na klar. Socken? Lieber viele. Bücher? Nur dünne. Vor jedem Urlaub wieder die Frage: Was tu ich in den Koffer? Es gibt da ganz unterschiedliche Ansätze. Eine Typologie vom Spontanpacker bis zum Nasswäschepacker.

SPONTANPACKER

Kofferpacken hat für den Spontanpacker den Stellenwert einer vorm Rausgehen schnell noch übergeworfenen Jacke. Es ist die letzte Reisevorbereitung vor dem Taxiruf. Und wird nicht viel ernster genommen.

Spontanpacker müssen nur sehr wenig ungeübte Handgriffe tätigen, um alles beisammenzuhaben. Sie nehmen keine Kosmetikartikel mit, die sie nicht ohnehin jeden Tag benutzen. Und keine Kleidungsstücke, die sie nicht so oder ähnlich ohnehin jeden Tag tragen. Spontanpacker sind im Alltag selten abwechslungsreich gekleidet. Jeans, Hemd/Bluse und Turnschuhe/Lederschuhe.

Um den Zustand, den die Kleidung beim Auspacken am Zielort hat, machen sich Spontanpacker keine Sorgen. Es wird, wo sie hin wollen, entweder ein Bügeleisen geben oder egal sein. Also legen sie ihre Hemden/Blusen gar nicht erst möglichst faltenfrei in den Koffer, weil die sowieso zerknittern. Sie versuchen auch nicht, den Raum des Gepäckstücks, irgendwelchen Kriterien folgend, zu nutzen. Sie legen alles übereinander, werfen den Deckel zu und hüpfen so lange darauf herum, bis das Kofferschloss zuschnappt. Spontanpacker sind meist männlich, weshalb die Bluse nur der Form halber erwähnt wurde. Sie nutzen hochwertige Rollkoffer, keine Rucksäcke. Nicht mal, wenn sie ausnahmsweise zum Wandern in die Anden fahren.

SPARPACKER

Der Sparpacker ist ein Spontanpacker ohne die dazu nötige Lässigkeit, ein Ehrgeizling, der beim Einchecken den Wettstreit um den leichtesten Koffer ausruft, der aber nie jemanden interessiert. Er will à la Minute packen. Für jede Gelegenheit das richtige Stück dabei haben, alles untereinander kombinierbar, so dass er im Idealfall mit drei Anziehsachen zwei Wochen lang jeden Tag wie neu eingekleidet aussieht. Nicht selten führen diese extremen Ansprüche an die Kombinierbarkeit des Einzupackenden zu hektischen Neuanschaffungen – eigens für nicht so volle Koffer. Bei den Hygieneartikeln nimmt der Sparpacker am liebsten schon fast leere Dosen/Tuben/Tiegel mit, die er am Ziel aufbrauchen und wegschmeißen kann, so dass der Koffer im Idealfall bei der Rückreise noch leichter ist als auf dem Hinweg. Das Beste, was einem Sparpacker passieren kann, ist, wenn sein Gepäck für vier Wochen Amerika als Handgepäck durchgeht. Das Schlimmste ist, wenn er nach der Reise im Koffer Sachen entdeckt, die er nicht gebraucht hat.

ALLES-EINPACKER

Schon Wochen bevor er den Koffer aus dem Keller holt, schläft der Alles-Einpacker schlecht, denn er weiß: Er wird einige Sachen nicht mit in den Urlaub nehmen können. Aber welche? Er malt sich aus, wie es sein wird, ohne die dunkelblauen Stoffturnschuhe oder die rote Rüschenbluse mit den weißen Paspeln zurechtkommen zu müssen. Aber was, wenn er die dunkelblauen Stoffturnschuhe mitnimmt und dafür die hellroten Ballerinas zu Hause lässt, die doch gerade so gut zur roten Bluse passen würden? Der Alles-Einpacker stopft erst einen Koffer voll, dann noch eine Reisetasche, einen Rucksack oder eine Umhängetasche und ist dann immer noch unglücklich. Das ebbt auch am Zielort nicht ab, wo der Alles-Mitnehmer, der meistens weiblich ist, viele der Sachen, die unter Schmerzen zu Hause geblieben sind, schnellstmöglich nachkauft.

MINIPACKER

Er hat einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden, einerseits fast alles, was ihn umgibt, auch mit auf Reisen nehmen zu wollen, es andererseits aber für albern zu halten, mit zu viel Gepäck zu reisen. Der Ausweg heißt: Umfänge reduzieren. Der Minipacker ist Stammgast an den Probentheken dieser Welt. Er hat Duschgel, Bodylotion, Shampoo, Handbalsam, Zahnpasta in Minituben, Zahnbürsten, Kämme, Reisebügeleisen, Klemmleuchten zum Zusammenklappen, Minidosen mit dem Kaffeepulver der von ihm bevorzugten Sorte. Seine Lieblingsbekleidungsstücke sind riesige Schals, die sich auf Nanokubikmeter verdichten lassen, und Schuhe mit rollbarer Elastosohle. Das alles wird in Taschen verstaut, die sich im leeren Zustand ihrerseits auf das Volumen einer Briefmarke zusammenfalten lassen.

STATUSPACKER

Es gibt nur eine Frage, die den Statuspacker an jedem Ort, zu jeder Zeit interessiert. Die heißt: „Nach wie viel sehe ich aus?“ Nach wie viel Geld, Knete, Zaster, Kohle, Kies. Der Statuspacker möchte vermögend rüberkommen, deshalb reist er grundsätzlich mit zwei Gepäckstücken, die zusammengehören und von einem namhaften Designer sind – vorzugsweise von Louis Vuitton persönlich handgenäht. So ist sichergestellt, dass das Gepäck auch von jedem x-beliebigen Flughafenfritzen/Fachfremden als extrem edel und unglaublich teuer erkannt wird. Weniger wäre in diesem Fall weniger, findet der Statuspacker. Beim Gewicht dagegen klotzt er. Der Statuspacker denkt: Wenn so teure Koffer auch noch schwer sind, werden die anderen denken, dass die voll sind mit edlen, teuren Dingen und ihn, den Besitzer, für noch reicher halten. Der Statuspacker wird, sofern er sich unbeobachtet fühlt, zu diesem Zweck Wackersteine oder kleine Sandsäcke zwischen seine Hemden mogeln. Auch der Statuspacker ist in der Regel männlich.

FAMILIENPACKER

Es sieht aus, als nehme die Familie gerade an einer Auswanderer-Dokureihe teil, aber sie will nur ein verlängertes Wochenende an einen See fahren. Der Familienpacker ist in den meisten Familien die Mutter – und die will vor allem eins: keinen Stress. Deshalb packt sie umfänglich. Zuletzt Kleidung für sich. Zuerst Ersatzsachen und Spielzeug/Unterhaltungselektronik für die Kinder. Dabei nichts zu vergessen, ist die erste Voraussetzung für Familienfrieden.

Die Familienpackerin bestückt meist zwei Koffer gleichzeitig (Kinder/Eltern), greift auf der Suche nach Schwimmflügeln tief in Schränke und Kommoden („Die müssen hier doch irgendwo sein“), entdeckt dabei viel Zeug, das ausgemistet gehört, ist also ständig gefährdet, ihr Kofferprogramm zu unterbrechen. Dieses Arbeiten an mehreren Stellen ist eine strategische Schwachstelle, die von der Familie sofort ausgenutzt wird. Beispielsweise zerrt Kind 1 eben Eingepacktes wie die rote Strumpfhose sofort wieder raus („Nicht die, die kratzt!“), und Kind 2 schüttet seine Legosteine in alle Hohlräume. Wenn am Ende die übervollen Koffer endlich verschlossen sind, hat die Familienpackerin nur noch eine vage Vorstellung von deren Inhalten. Davon unabhängig wird der Mann, der erst gesagt hat, es sei ihm egal, was sie einpackt, ihr am Zielort unentwegt Vorhaltungen machen, weil dies oder das eben nicht da ist. Die Familienpackerin braucht Nerven stoß- und reißfest wie Samsonite-Koffer. Aber sie packt die alten Lederkoffer, die sie noch von ihrer Oma hat, denn Kinder kosten Geld.

VERNUNFTPACKER

Der Vernunftpacker beginnt genau zwei Wochen vor der Reise mit ersten Vorbereitungen. Er visualisiert die Länge der Reise sowie die klimatischen Bedingungen, wählt im Geist den geeigneten Koffer und eine Extratasche für sperrige Gegenstände wie Schuhe, Föhn und Bücher, und dann hängt er ans Küchen- Pinbord eine zweispaltige Liste: links die „Koffer“-Spalte, rechts die „Extrataschen“-Spalte. Dort trägt er ab und zu Kleinigkeiten ein, die er nicht vergessen will. „Kalziumtabletten gegen Sonnenallergie!“ oder „Telefonnummer der Kreditkartensperrstelle in den USA“. Zwei Tage vor Reiseantritt beginnt er damit, die Reiseutensilien vor dem geöffneten Koffer in zweckgebundenen Häufchen zurechtzulegen. Manchmal murmelt er dabei vor sich hin: 14 Reisetage macht 14 Unterhosen plus zwei Sicherheitsschlüpfer. Der Vernunftpacker ist dabei praktisch begabt. Er weiß, dass in einen Schuhkarton (Adidas, Größe 43) genau sieben sorgfältig gefaltete Hemden passen. Er achtet auch darauf, den schweren Kulturbeutel im Koffer so zu platzieren, dass er unten liegt, wenn der Koffer aufrecht steht, um zu vermeiden, dass der Beutel alles andere unter sich zerdrückt. Bei solchem Perfektionismus kann es passieren, dass er zweimal wieder auspackt, weil er es nicht erträgt, dass der spontan hinzugenommene Schal nicht bei den anderen Schals liegt, sondern bei den Socken. Er findet das nicht albern, sondern rechtfertigt sich mit dem Argument, dass er am seltensten etwas vergisst. Vernunftpacker sind begehrte Reisegefährten, weil sie immer genug Pflaster für alle dabei haben.

Der Vernunftpacker ist übrigens einer der wenigen Menschen auf Erden, der aus ausrangierten Kissenbezügen Schuhbeutel macht.

CHAOSPACKER

Chaospacker sind Menschen, die zu Hause am besten aufgehoben sind, denn da hat alles seinen Platz. Die Reise an sich macht Chaospacker schon total nervös. Bloß nichts falsch machen, denken sie, und: Sicher, man könnte diese Jacke hier einpacken, aber war da nicht im Keller in der Kiste hinter den Holzskiern von Onkel Alfred noch eine Jacke, die vielleicht viel besser passen würde. Also geht der Chaospacker in der Keller und räumt und raschelt da herum, bis er vergessen hat, was er eigentlich wollte.

Sobald er sich danach den Staub von den Händen geschrubbt hat, tritt er in eine pflichtbewusste Phase der Häufchenbildung ein.

Haufen 1 trägt den Titel: Alles, was mit muss. Unterteilt in 1a) Unterlagen. 1b) Kleidung. 1c) Hygiene.

Haufen 2: Alles, was mit kann, Unterhaufen a) bis c) wie oben. Ergänzt um: d) Unterhaltung (Bücherstapel, Zeitungsartikel des vergangenen Jahres, die man zur Seite gelegt hat und nun im Urlaub in aller Ruhe lesen will)

Haufen 3: Was mitzunehmen auch ganz schön wäre. Unterhaufen: a) bis d), ergänzt um e) alles, was ich jemals in irgendwelchen Situationen vermisst habe.

Bis die Koffer gepackt sind, hat der Chaospacker seine Wohnung verwüstet, aber er wird dafür der Einzige sein, der a) beim Trekken am Kilimandscharo, wenn der Knopf reißt und man den Faden nicht in die Nadel bekommt, eine Einfädelhilfe dabei hat, oder b) den Kulturaufmacher der „FAZ“, über den sich am Ufer des Comer See gerade eine hitzige Diskussion entspinnt.

NASSWÄSCHEPACKER

Der Nasswäschepacker ist eine Kreuzung aus Spontanpacker und Chaospacker. Am Vorabend des Trips stellt er fest, dass er am nächsten Tag verreisen wird, und registriert, dass seine Lieblingssachen ungewaschen sind. Panisch klaubt er sie zusammen und stopft sie in die Maschine. Er bleibt extra lange auf, weil er ja auf das Ende des Schleudergangs warten muss, um alles noch schnell auf den Wäscheständer zu hängen. Mehrmals wäre er fast eingeschlafen. Dann schläft er tief und fest. Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um vier Uhr: Es gilt, pünktlich am Flughafen zu sein. Der Nasswäschepacker zerrt die Wäsche aus der Waschmaschine direkt in den Koffer. Am Urlaubsort scheint nachher bestimmt die Sonne.

Kreuzungen über die erwähnten hinaus sind möglich und existent.

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