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Volle Fahrt voraus! Die Sea Cloud beginnt ihre Transatlantikreise in Lissabon.

© Sea Cloud Cruises

Reisetagebuch Tag 1: Einschiffung in ein anderes Leben

Auf der "Sea Cloud" über den Atlantik. Ein Bordtagebuch. - Tag 1 auf hoher See.

Tag 1, Freitag, 2. Dezember 2011

Endlich. Das große Knarren hat begonnen. Wir segeln durch die sternenklare Nacht. Auf und davon in eine neue Welt. In eine Welt der Langsamkeit. Der Mond steht auf halb. Mit mehreren Stunden Verspätung hat die „Sea Cloud“ in Portimao/Portugal um 19.39 Uhr mit Schlepperhilfe abgelegt. An Bord sind etwa 60 Passagiere und ebensoviel Mann Besatzung. Um 20 Uhr wurden auf Befehl von Kapital Vladimir Pushkarew (Russland) die größeren Royalsegel gesetzt. Der Viermaster nimmt langsam Fahrt auf, unterstützt vom laufenden Hilfsdiesel. Die Nadel auf dem Kompass gibt die Richtung vor: Kurs Nordwest/West. Das Ziel der Transatlantikreise: St. John's/Antigua in der Karibik.

„It's a relief“, sagt einer der zahlreichen US-amerikanischen Gäste, als wir bei der Ausreise aus Portugal der freundlichen Behördenvertreterin die Pässe  zeigen. Es klingt, als sei das Leben an Land für den kompakten 60-Jährigen mit der Igelfrisur ein Leben auf Entzug. Sieben Mal schon ist er an Bord gewesen, andere Mitreisende kommen allerdings locker auf die doppelte Zahl von Törns. Ein Passagier ist sogar schon 19 Mal auf der „Sea Cloud“ mitgefahren. Seit er bei der Kriegsmarine war, liebe er Schiffe. Sein Arbeitsleben lang habe er als Schiffsingenieur bei Siemens gearbeitet. Luxusliner hingegen lehnt er strikt ab.

Die Zahl der überzeugten Wiederholungstäter bei den winterlichen Transatlantiküberquerungen ist überraschend hoch – wie das Durchschnittsalter, es liegt bei 60 plus. Man kennt sich an Bord. Na ja, mehr oder weniger: „Wir haben uns doch auch schon einmal gesehen“, sagt eine Italienerin erfreut, als sie einen ihr bekannten Deutschen wiedertrifft.  „Sie waren doch schon vor drei Jahren auf der Winterreise dabei.“ So ist das hier an Bord.

Auf dem Lido-Deck versucht sich Gaynor Trammer auf dem Klavier zur Begrüßung der Gäste warmzuspielen. Die Amerikanerin fröstelt etwas. Kein Wunder, es ist recht frisch. Derweil wird an der Bar munter ausgeschenkt. Überall herrscht großes Hallo und die Vorfreude auf eine tolle Reise erwärmt die Gemüter. Ein Gläschen Schampus und die Gewissheit, nach einer langen Anreise endlich am Ziel mancher Träume zu sein, tun ein Übriges.

Für ein Ehepaar Österreich wäre der Törn in die Karibik fast schon vorbei gewesen, bevor er beginnen konnte. Sie hatten offenbar nicht mitbekommen, dass der Abfahrtshafen verlegt worden war. „Zum momentanen Zeitpunkt ist es so, dass uns erschwerte Wetterbedingungen am Abfahrtstag in Lissabon erwarten“, hatte Sea Cloud Cruises vor drei Tagen den Reiseteilehmern mitgeteilt. „Die derzeit vorherrschenden starken Winde stellen selbst die wettererprobte ,Sea Cloud’ vor Herausforderungen und gefährden den Fahr- und Zeitplan des Schiffes.“

Selbstfindung auf hoher See - Ein anderes Leben auf der Sea Cloud?

Der Hafen Portimao biete bessere Startbedingungen für die Translantiküberquerung, hieß es aus Hamburg. Doch zu den Passagieren aus Österreich war diese Änderung nicht durchgedrungen. Und so wartete ein mit Passagieren vollbesetzter Bus vor einem Hotel in Lissabon auf den Beginn der knapp dreistündigen Fahrt an die Algarve. Man telefonierte mit Sea Cloud Cruises in Hamburg, die die beiden über Handy schließlich beim Bummel in Lissabon erreichte. „Wir kommen gleich!“ Es sollte fast eine Stunde vergehen, doch egal – Segelreisen sind ein Gemeinschaftserlebnis und so fiel kein böses Wort.

Etwas Gutes hatte die Verzögerung auch noch: Mitreisende aus USA erhielten während der Wartezeit ihr medizinisches Gerät zurück – sie hatten es beim Transfer zum Treffpunkt in einem Taxi liegen lassen: „Simon, here is your breathing masc“, sagt die Frau Gemahlin mit strengem Blick. Dann sind auch die Österreicher eingetrudelt und los geht’s.

Endlich: Vier hell erleuchtete Masten werden gesichtet. „Seht, da ist das Schiff“, schallt es durch den Bus. Die „Sea Cloud“ –  irgendwie mehr als nur ein Schiff. Sie ist Balsam für die Seele, sie steht für die im hektischen Berufsleben verloren gegangene gute alte Zeit. „Das Schöne ist, dass man hier an Bord für gute zwei Wochen ein anderes Leben realisiert“, erklärt ein Alleinreisender sein Motiv für diese Reise, als schließlich alle beim Abendessen sitzen.

Ein anderes Leben – das gilt auch für die Bordunterhaltung. Showeinlagen sind nicht zu erwarten, hier genügt der Schwertfisch auf dem Büfett. Außerdem gibt es ja noch Simon, den Hoteldirektor mit Entertainerqualitäten. Fernseher an Bord – Fehlanzeige. Internet ist nicht und kein Mobiltelefon nervt. Die einzigen Stars an Bord sind das nautische Personal und die Servicecrew natürlich. Sie werden bei der kurzen Vorstellung von den ausgelassenen Passagieren wie Rockstars mit Freudenpfiffen und Beifall bedacht. So viel ist sicher: An guter Stimmung an Bord wird es nicht mangeln. Dazu tragen nicht zuletzt auch die Reisenden selbst bei.

„O sole mio“, –  der Siemens-Schiffsingenieur a.D. singt gemeinsam mit einer Italienerin – letztendlich unterstützt durch die gesamte abendliche Tafelrunde – zum Nachtisch ein Ständchen. Dass ist in der stimmlichen Ausgestaltung so schräg und in der emotionalen Verbundenheit des Duos so harmonisch, dass es manchen zu Tränen rührt. Hat da jemand Caruso gesagt?

Seegang und Stimmung steigen proportional.

Proportional zur Stimmung nimmt der Seegang  zu. Das Schiff fängt langsam an leicht zu rollen, die Türen  im Restaurant klappen zu, in der Kabine sucht sich der Obstkorb auf dem Mahagonischreibtisch einen neuen Standort. Die Küste – inzwischen ein kaum sichtbarer heller Streifen am Horizont. Eine Alleinreisende hofft, dass es bald richtig losgeht mit der Schaukelei. Spätestens, wenn wir auf der Höhe Afrikas sind, müssten wir ohne Motorunterstützung unterwegs sein“, sagt sie.

Das sei bei 60 Prozent der Überfahrten so gewesen. Oha, eine erfahrene Seebärin offenbar. Die meisten Fans des Großseglers, die hier ihr jährliches Stelldichein zelebrieren, freuen sich über die Verlegung des Abfahrtshafens – „desto eher sind wir in wärmeren Gewässern“. Immerhin habe man den einen Tag Fahrzeit von Lissabon nach Portimao nun gespart.

Es wird Nacht. Zeit für die Prophylaxe, jedenfalls für den, der sie nötig hat. Zeit, den Gleichgewichtssinn außer Kraft zu setzen. Man weiß ja nie. Der Möglichkeiten sind viele. Zum Beispiel kann man „Arlevert“ nehmen, dreimal täglich. Es enthält den Wirkstoffe Cinnarizin und Dimenhydrinat, das auch in „Vomex“ enthalten ist. Die Tipps von Mitreisenden sind so zahlreich wie die Liste der Arzneien gegen Seekrankheit lang ist. Schiffsärztin Angelika Aßmann hatte mal einen Passagier an Bord, der über und über mit Pflastern gegen Seekrankheit beklebt war. „Sah zwar nicht schick aus und er wusste auch nicht, welches Pflaster welche Wirkstoffe enthielt“, sagt sie, „ihm hat’s aber geholfen.“

Die schlechten Wetterbedingungen vor der Abreise sind wie weggeblasen. Die Satellitenbilder zeigten zwar am Mittwoch und Donnerstag einige Tiefs vor der portugiesischen Küste, doch Stürme waren nicht in der Vorhersage. Im Gegenteil, allem Anschein nach ist jetzt über dem Atlantik ein Hoch im Anmarsch. Die vorausschauende Fürsorge der Reederei bei der Kursverlegung hat schon etwas Beruhigendes.

Was Janice Jakait wohl gegen Seekrankheit nimmt? Auch die 34-jährige Deutsche ist auf dem Weg  nach Antigua. Der ehemaligen IT-Beraterin ist die moderne Welt zu schnell geworden. Sie will die 6500 Kilometer lange Strecke bis in die Karibik allein mit Hilfe ihrer Muskelkraft (und einiger Solarpaneele) bewältigen. Im Ruderboot. Wie wir ist auch sie in Portimao aufgebrochen. Ihr Hightech-Ruderboot ist für Stürme mit Zwölf-Meter-Wellen ebenso gerüstet, wie für eine Kollision mit einem 400 Meter langen Tanker. Heißt es.

„Endlich kann ich meinen Traum leben, auf den ich so lange hingearbeitet habe“, hatte sie vor ihrer Abreise am 23. November gesagt. Das würde wohl auch mancher auf der luxuriösen „Sea Cloud“ von sich sagen können. Bis März oder April kann die Wagemutige  auf hoher See verbringen. Sie hat nicht nur Zeit, sondern auch 250 Kilogramm Lebensmittel dabei –  vom Schokoriegel bis zur Spezialnahrung. Wir Luxusleute auf der „Sea Cloud“ werden in den kommenden Tagen mal nach Janice Jakait Ausschau halten. Oder haben wir sie vielleicht schon überholt?

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