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Die erste Flasche Champus ist schnell geköpft.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 13: Auf einem Bein kann man nicht stehen

Noch 655 Seemeilen bis Barbados. Die „Sea Cloud II“ segelt mit 7,4 Knoten von einer Regenfront in die nächste. Die an Bord gefallenen Seeschwalben kommen langsam wieder auf die Füße. Nach einem improvisierten Champagner-Empfang stimmt sich der Shanty-Chor in der Lido-Bar mit Grog auf die Rückkehr in kältere Gefilde ein.

27 Grad und jede Menge Regen: Die feuchte und warme Luft schmeichelt der Haut, es ist prima auszuhalten an Deck. Aber die Sonne lässt sich heute nur kurz sehen. Gleich zwei Regenbögen rahmen sie zu ihrem Aufgang ein. Augenärztin Bärbel aus München hat am Vormittag einen prima Einfall. Eben habe ich mich mit dem Mexikaner Luis auf eine vor dem Regen geschützten Bank hinter der Lounge etwa in der Mitte des Schiffes gesetzt, da schlendert Bärbel vorbei und fragt uns zur besten Brunchzeit: „Trinkt Ihr ein Glas Champagner mit mir?“ - Tja, warum eigentlich nicht? Wir haben heute ja nichts mehr vor, die Besichtigung der Tischlerei und der Segelmacherei im Vorschiff liegt ja gerade hinter uns.

Helmuth, der die Transatlantik-Reise auf der letztjährigen Tagesspiegel-Weihnachtsauktion ersteigert hatte, stößt mit seiner Frau Marlies, einer Physiotherapeutin aus Friedenau, auch dazu. Jetzt wird es richtig nett, zumal Bärbel kurz mit den Worten „Ich hol' uns etwas Salziges“ in die Lido-Bar verschwindet. Gesagt, getan: Die erste Flasche Champus ist schnell geköpft. Jetzt legt Luis seinen regennassen Panamahut und sein Buch beiseite: „Ich habe auch noch eine Flasche unten im Kühlschrank.“ Gesagt, getan.

Am Brunchbuffet im Heck herrscht reges Treiben. Wir holen uns paar Tische zum Abstellen der Gläser, etwas Käse, etwas Schinken, später noch angebratene Bohnen, ein paar Teller und Gabeln und machen es uns gemütlich. Erst einmal die Serviette in den Regen halten und als Tischdecke auflegen. So klatschnass rutscht sie nicht. Marlies: „Es gibt Nürnberger Würstchen, ich hol' welche!“ Bärbels Champagnerempfang kommt eindeutig auf Touren. „Was ist denn hier los? Das sieht ja gut aus!“

Schnell wird ein Liegestuhl für Jutta herangeschafft, die mit unserem Doc vor einigen Tagen so prima Rock'n Roll getanzt hat. „Ich muss nur noch kurz nach unten.“ Jutta ist stets einwandfrei und der Situation entsprechend gekleidet. Luis, der Kosmopolit, der auf dem Weg zu seinen Eltern in Mexiko ist, lässt den Korken der zweiten Champagnerflasche wie eine Signalrakete knallen. Mit einer Bluse, auf der viele Sternchen zu sehen sind, und einem Kopftuch, auf dem noch mehr Sternchen gezeigt werden, kehrt nun Jutta aus ihrer Kabine zurück. Sie hat die Situation wieder völlig richtig erfasst.

Die zweite Champagnerflasche ist rasch zur Hälfte gelehrt, da sieht der Service, worauf es jetzt ankommt: Nachschub. Denn Helmuth berichtet von Golferlebnissen auf hoher See: „Wusstet Ihr, dass es Golfbälle gibt, die sich später in Fischfutter auflösen?“ Das Thema ist schnell durch, und so beginnt Helmuth vom Krieg zu erzählen, von seinem Vater. Einmalig, wer hier alles an Bord ist! Uns würde auch nach zwei weiteren Wochen der Gesprächsstoff nicht ausgehen.

Nach dem zweiten Glas Grog kommen die nächsten Geschichten

Wolkengrau über Atlantik. Doch von trüber Stimmung ist an Bord keine Spur.
Wolkengrau über Atlantik. Doch von trüber Stimmung ist an Bord keine Spur.

© Reinhart Bünger

Nach dem anregenden Gespräch, dem Champagner, dem Salzgebäck werden wir jetzt ganz müde. Vor uns: ein gewaltiges neues Regentief. Wir sind nicht traurig und finden das gemütlich! Was für ein Wolkenaufbau. Einwandfrei. Ich habe mit Urs gesprochen, die eigentlich Ursula heißt und aus dem Süden Deutschlands kommt. Sie ist unsere Wellness-Fee an Bord und kümmert sich um zwei Seeschwalben, die uns vor ein paar Tagen buchstäblich zugefallen sind, als wären sie zwei gefiederte Meteoriten: Da lagen sie und konnten offenbar nicht mehr anders.

Urs hat sie unter Deck inzwischen mit Kunstlichtbehandlungen aufgepäppelt. Außerdem bekamen sie zerdrückte Hormontabletten zu essen und dürfen immer wieder etwas schwimmen gehen. Das lieben sie sehr, sagt Urs. Hätten wir ja auch gleich drauf kommen können: sind ja offenkundig Seevögel. Urs hat sie inzwischen aus der Pappschachtel in eine Kunststoffbox umquartiert. Da flattern sie unter einem Netz schon etwas herum. Urs ist eine begnadete „Vogel-Flüsterin“. Spätestens in Barbados ist für die beiden Seevögel Land in Sicht. Hoffentlich werden sie nicht wieder von den Winden davongetragen. Urs muss noch mit ihnen sprechen.

Vor dem Abendessen ist dann Stimmbandölen mit dem Seemannslieder-Chor angesagt. Da mit dem Regen und dem langsam nahenden Ende der Reise Melancholie und Wehmut in den Regenwolken liegen, kommen wir an diesem Abend um „Lilli Marleen“ nicht herum. Irmi, Österreicherin und Urenkelkind eines Seefahrers, ist unser einziges Publikum. Sie klatscht uns begeistert Beifall; die Service-Crew lauscht auf dem Lido-Deck andächtig. Nach dem zweiten Glas Grog – es ist ja zweiter Advent, 27 Grad Celsius hin oder her – kommen die nächsten Stories auf den Bartresen.

„In den fünfziger Jahren war ich mit'm Frachtdampfer auf'm Panamakanal unterwegs“, erzählt die Bass-Stimme neben mir, „und plötzlich haben zwei Leute gefehlt, wir haben umgedreht und mit den Scheinwerfern das ganze Wasser abgesucht. Bei 28 Grad hat man da ja gute Chancen. Einen Zählappell haben wir natürlich auch gemacht. Aber die waren weg.“ - „Und was ist aus Ihnen geworden?“, will der Chor von der Bass-Stimme wissen. „Die saßen sturzbetrunken mit ihren Jacken in unserer Kühlkammer bei einem Grog – draußen an Bord war es ihnen angeblich zu warm.“ Ob wir der Bass-Stimme diese Geschichte glauben können? Unser Bordpianist Helge glaubt sie. Aber es hat heute auch erst den zweiten Grog in seinem Leben getrunken.

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