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Noch kein Land in Sicht. Doch allein der Gedanke, dass sich die große Atlantikfahrt langsam dem Ende zuneigt, lässt die Passagiere fast ein wenig wehmütig werden.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 15: Von Winschen und Wünschen

Ein Wetter wie Speck: Blauer Himmel mit wenigen Wolken, blaues Wasser und bestens gelaunte Passagiere, die sich in der Sonne aalen. Die erste Offizierin Kathryn Whittaker hat heute Brückenwache. Mal sehen, wie sie langsam Barbados ansteuert.

Kein Wunder, dass Helmuth am vorletzten Abend an Bord heute nach dem Kapitänsdinner das Leben feiern und die gesamte Nacht wach bleiben will bis zum Sonnenaufgang. Der Tag ist ja auch zu schön, und warum sollten Abend und Nacht anders werden? Schon der Sonnenaufgang heute war ein Erlebnis – selbst wenn man noch im Bett lag: Wer bei Transatlantiküberquerungen gerne viel Tageslicht in der Kabine hat, sollte an Backbord buchen. Da erscheint die Sonne durch die Gardinen als Weckdienst. Tagsüber lässt es sich hier allerdings an Deck kaum aufhalten: zu heiß. Da ist man an Steuerbord, im Schatten, besser aufgehoben.

Wenn wir schon bei schönen Plätzen an Bord sind: Gehen wir die „Sea Cloud II“ einmal durch, nach rein subjektiven Kriterien. Für mich bietet das Vordeck auf dem Lounge-Deck die schönsten Plätze. Hier stehen vor dem Brückenaufbau in Höhe der Bibliothek mehrere „Meeresbeobachtungsmöbel“ mit nicht ganz freier Sicht auf den Atlanik: Allein die Winschen – die Winden – stören etwas. Sie fallen zu sehr ins Auge. Allerdings, irgendwo müssen sie ja stehen. Trotz dieses leichten Mankos: Der Vormast mit seinen Segeln ist ein toller Eyecatcher. Hier ist der Wind, der uns bewegt, hautnah zu erleben. Und ab und an gehen hier die Rigger ihren Reparatur- und Wartungsarbeiten an den Rahen nach.

Weiter im Uhrzeigersinn. An Steuerbord ist manch schattiges Plätzchen zu finden. Hier empfiehlt sich, den Deckchair mit persönlichen Gegenständen als reserviert zu markieren. Ein Stockwerk höher, auf dem Sonnendeck hinter dem Brückenaufbau, gibt es weitere Liegestühle und eine mit blauem Stoff bezogene Liegelandschaft aus Schaumstoff. Hier könnte es sehr schön sein, denn kein Schornstein trübt ja hier das Seeerlebnis durch Rußwolken ein.

Leider gibt es ein Aber: Die Entlüftungsanlagen der Küche werden über diesem Deck ins Freie geführt. Das riecht mal mehr (beim Kochen), mal weniger (beim Abwaschen) gut. Vielleicht werde ich dieses Deck in der morgigen Nacht entern, wenn der Küchenbetrieb eingeschlafen ist. Helmuth möchte ja ohnehin bis zum Sonnenaufgang wach bleiben, vorausgesetzt es bleibt dabei. Denn Helmuth, der die Fahrt über die letztjährige Tagesspiegel-Auktion ergattert hat, hat seit gestern Zahnschmerzen und wird medikamentös behandelt. Es scheint noch zu ertragen sein: Helmuth isst noch.

Also wieder treppab auf das Lidodeck. Hier liegt die Lounge. Ich finde sie nicht sehr gemütlich, was an den Sitzmöbeln und der künstlichen Deckengestaltung (wohl aus Brandschutzgründen optisch auf Holz getrimmte Plastikbalken) liegen mag. Immerhin ist hier bei schlechtem Wetter ausreichend Platz, um ein Buch zu lesen. Außerdem gibt es hier nachmittags Kaffee und Kuchen, wenn die Wetterbedingungen einen Aufenthalt in der Lido-Bar im Heck nicht zulassen. Die Lounge ist außerdem der Ort für die vielfältigen Unterhaltungsangebote an Bord, Vorträge, Filme, Konzerte, über die auch noch zu sprechen sein wird.

Natürlich ist bei so schönem Wetter jeder Passagier am liebsten im Freien, und dafür ist das Heck wie geschaffen, mit der Lido-Bar, die neben dem obligatorischen Bartresen einen Windschutz durch eine Persenning bietet. Wer gerne ganz im Freien sitzt, hat im Heck einen tollen Blick auf und in die Segel des Großmastes. Von dort aus gesehen in Richtung Bug gibt etwa mittschiffs eine Bank. Hier sitzt man im Regen und gegen den Wind geschützt. Einige Meter weiter gibt es noch einen Podest, der Platz für zwei Stühle und ein Tischchen hat: sehr beliebt und sonnengeschützt.

Die, die Ruhe und weniger Gesellschaft suchen, gehen eine Treppe tiefer auf das Promenadendeck, wo ebenfalls Bänke stehen. Für Liegestühle ist hier allerdings kein Platz.

Die Schicht beginnt mit einem Feueralarmton

Unter goldenen Segeln. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages tauchen die "Sea Cloud II" in eine stimmungsvolle Lichtkulisse.
Unter goldenen Segeln. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages tauchen die "Sea Cloud II" in eine stimmungsvolle Lichtkulisse.

© Reinhart Bünger

Der Uhrzeiger läuft Richtung 16 Uhr. Ich bin mit Kathryn Wittaker auf der Brücke verabredet, der zweiten Offizierin. Bis 20 Uhr hat sie Wache. In diesen Dienst fällt das Segeleinholen zur Nacht, so auch heute. Der erste Eindruck: Hier ist ganz schön was los, von Routine keine Spur, zumal Rigger Secundo noch auf dem Vormast unterwegs ist, um etwas zu reparieren. Die Schicht beginnt gleich mit einem Feueralarmton. Kathryn geht zielbewusst zu einer elektronischen Anzeigetafel und sieht schon, in welcher Station es angeblich brennt.

Sie ruft den Bootsmann Mamikon Akopyan an, der einmal nachschauen soll. „Mamikon, Mamikon – Kathryn spreaking“, sagt sie in ihr Walkie-talkie. Nach einem zweiten Ruf ist Mamikon dran: „Mamikon is speaking.“ - „We have a fire alarm in a store room, the linen store room.“ Mamikom schaut nach: Im Stauraum für die Segel ist kein Feuer zu entdecken. Aber doch beruhigend, dass sie darüber gesprochen haben. Diese Fehlalarme gibt es immer wieder; in dieser Schicht bleibt es der Einzige: Die Rauchmelder sind eben empfindlich.

„In jeder Stunde muss ich einen Logbuch-Eintrag machen“, erzählt Kathryn. Erfasst werden folgende Kategorien: Zeit, Barometerstand, Außentemperatur, aktuelles Wetter, Windstärke, Seestärke, Kurs über Grund und gesteuerter Kurs. Außerdem wird in dem Eintrag noch festgehalten, ob mit Steuermann oder Automatik gefahren wurde. Als Kathryn um 16 Uhr vom Zweiten Offizier Srdan Boskovic die Brückenwache übernimmt, ist Position der „Sea Cloud II“ über Grund:

13 Grad, 53,3 Minuten Nord und 55 Grad, 53,3 Minuten West. Laut Logbuch legte der Windjammer in der Zeit von 12 bis 16 Uhr 29 Seemeilen über Grund zurück. Den gesamten Tag über weht ein Wind mit der Stärke 5 aus Nord/Nordost – bestes Segelwetter wäre es, wenn es noch ein wenig mehr wäre.“ Nach einer halben Stunde kommt der Kapitän kurz auf die Brücke, sieht sich die Logbucheinträge und die elektronischen Daten an. „Alles gut, alles gut“, sagt Evgeny Nemerzhitskiy aus Estland auf Deutsch zu mir, „wir brauchen mehr Wind“.

Und so sagt er seiner Ersten Offizierin, dass ab 19 Uhr eine Maschine für 45 Minuten laufen soll. Wir wollen in Barbados nicht zu spät ankommen. Nemerzhitskiy will dort am kommenden Abend gegen 21.30 Uhr einlaufen. Kurz nach dem Sonnenuntergang um 17.16 Uhr entdeckt Kathryn auf dem Radar ein anderes Schiff. „Wir schauen mal, wir haben einen Freund an der Backbordseite“, sagt sie. Der Kurs des Schiffes ist 195,4, es ist 17,5 Seemeilen entfernt von uns: Zu weit, um es in der Dämmerung zu erkennen. In der Nacht wäre das vielleicht möglich, sagt die Erste Offizierin.

Am Mittwoch kommen wir in Barbados an. Dann werden mit den Winschen zum letzten Mal auf dieser Reise die Segel eingeholt. Sagt mir, dass es nicht wahr ist! „Die Crew freut sich schon drauf“, sagt Kathryn. Sie nicht. Wenn es nach ihr ginge, könnte es immer so weiter

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