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Reisetagebuch Tag 17: Festgemacht

Die Passagiere des Großseglers „Sea Cloud“ sind wieder Landratten wider Willen. Vor dem Abflug fotografieren sie Vögel und schauen sich die Karibikinsel Antigua an. Das exklusive Bordtagebuch von Reinhart Bünger.

Position

17 Grad, 4 Minuten Nord

61 Grad, 51 Minuten West

05:02 Uhr

Der Lotse, der uns in den Hafen von St. John’s (Antigua) bringen soll, ist nirgends zu sehen. Doch halt, zu sehen ist zwar wegen der Dunkelheit wenig. Aber ein tuckerndes Motorengeräusch ist zu hören. Das muss er sein. Der Erste Offizier hatte auf der Brücke schon fast sehnsüchtig mit einem Fernglas Ausschau nach dem Boot der „Coast Guard“ gehalten. Jetzt nähert es sich unauffällig, nimmt zwei Anläufe, kommt schließlich steuerbord längsseits mit dem Bug zuerst.

Der Lotse klettert über eine Lotsentreppe an Bord – sie sieht aus wie eine Strickleiter nur mit Brettern zum Hochsteigen. Das Boot ist gänzlich unbeleuchtet, hat noch nicht einmal Positionslaternen gesetzt. Hätten auch Piraten an Bord sein können. Der Erste Offizier Christian Haas schüttelt den Kopf. „So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen. Willkommen in der Karibik!“

05:45 Uhr

Wir haben in St. John’s festgemacht. Nur langsam wird es hell – Sonnaufang: 6:24 Uhr. Draußen ist es noch absolut still. Viele Bretterhäuschen sind zu sehen, Bars, Kneipen und Souvenirläden für die Touristen. Doch da es Sonntag ist, bleiben sie geschlossen. Ein großes Kreuzfahrtschiff nähert sich dem Hafen.

07:00 Uhr

Das Kreuzfahrtschiff „Explorer of the Seas“ macht am Pier nebenan fest.

09:00 Uhr

Wir müssen jetzt von Bord, ein letzter Händedruck vom Kapitän und wir sind „Landratten“ wider Willen. Sie konnten uns auf der „Sea Cloud“ nicht mehr brauchen: Bevor die nächsten Passagiere anlanden, müssen die Kabinen neu hergerichtet werden. Außerdem werden auch die anderen Passagierbereiche einer Grundreinigung unterzogen.

09:12 Uhr

Winke-Winke den Glücklichen, die an Bord bleiben und die Anschlussreise durch die Karibik gebucht haben. Unsere Flüge in Richtung Deutschland gehen erst am Nachmittag – beide über Umwege (London bzw. Frankfurt/Main).  Den Passagieren wird eine Inselführung mit dem Bus angeboten. Gut! Wir waren hier noch nicht und kommen so schnell auch nicht wieder her. Machen wir also mit, die Fahrt. Was gibt es in Antigua zu sehen?

09:15 Uhr

Wir sehen Simone. Sie hat schwarze Rastalocken und ist um die 30. Eine Schwäbin, die mit ihrem Mann hierher gekommen ist, weil beide zunächst noch keine Green Card für Hawaii erhalten haben. Sie suchen die Sonne und können auf vier Jahreszeiten gut verzichten. Mit 17 Gästen fahren wir im Kleinbus los. Einige aus der Gruppe, die zurückfliegt, lassen sich mit dem Taxi in eines der edlen Hotels fahren. Sie essen dort zu Mittag. Simone fragt, wo wir hinfahren sollten.

Sie könnte uns zum Beispiel das Anwesen des Bluesbarden Eric Clapton zeigen, der auf Antigua eine Entzugsklinik betreibt und auch hier wohnt, Whitney Houston, Amy Winehouse, die Liste illustrer Gäste der Klinik ist lang. Doch wir möchten lieber einen Blick über die Insel genießen. Der Inselstaat Antigua, zu dem neben Barbuda auch die unbewohnte Insel Redonda gehört, liegt zwischen dem Nordatlantik und der Karibik,  südöstlich von Puerto Rico.

Begegnung mit der Polizei

Antigua sei ziemlich langweilig, sagt Simone, und zumeist knüppeltrocken. Die Zuckerrohrplantagen sind weitestgehend Geschichte. So gut wie alles wird importiert. Selbst das Geld: Wer mit den Reichen und Schönen – bzw. für sie – Geschäfte machen will, muss hohe Importzölle entrichten. Simone und ihr Mann Jonny Jahn haben ein Unternehmen aufgebaut, das Moskitofallen verkauft. Wir fahren los, möchten Eric Claptons Ansehen nicht sehen und auch nicht die 365 Strände, derer sich Antigua rühmt.

Uns interessiert, nach dem Blick über die Insel, weiter der sturmsicheren Hafen (English Harbour), der zum Hauptquartier der auf den Antillen stationierten Flotte der Engländer ausgebaut wurde. Einen längeren Stopp haben wir im restaurierten „Nelson’s Dockyard“, jenen Werkanlagen, denen die Engländer ihre lange Präsenz und Dominanz in der Karibik erst verdanken. Gegen 13 Uhr 45 erreichen wir schließlich den Flughafen von Antigua.

13:50 Uhr

Fast hätten wir noch unseren Camcorder mit den gesamten Reiseaufnahmen bei der Polizei abgeben dürfen. In der Überdachung des vergleichsweise schlichten und kleinen Flughafens von Antigua hatten wir laut zwitschernde, uns gänzliche unbekannte Vögel ins Visier genommen und gerieten sogleich in jene der Ordnungshüter. War ja auch ziemlich dumm, ausgerechnet hier zu filmen. Auf der Insel soll es staatlicherseits ziemlich korrupt zugehen, so hatte uns Simone erzählt.

Als wir von den Ordnungshütern heran gepfiffen werden, zählen wir im Geiste in der Brieftasche schon einmal nach. Und wir fragen uns, was uns der Camcorder wert ist. Den Männern in den schwarzen Uniformen berichten wir von den schwarzen Vögeln. Gott-sei-Dank übt man Nachsicht. Lächeln tun sie nicht, Antiguas Sheriffs.

15:39 Uhr

Großes Hallo im Flugzeug. Die Reise ist zu Ende – bis zuletzt fühlen wir uns der Besatzung der „Sea Cloud“ nahe und sind es auch: Schiffszimmermann und Bootsmann sowie einige der Servicekräfte fliegen mit uns über die Dominikanische Republik nach Frankfurt am Main. Ihr Ziel sind die Philippinen – nach acht Monaten Arbeit auf See haben sie jetzt drei Monate an Land Urlaub. In Frankfurt eine letzte Umarmung mit allen, die uns nahe waren – und diese Reise ist zu Ende.

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