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Nur etwas für Schwindelfreie: Segel einholen auf der Sea Cloud.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 3: Vor Madeira einen Haken schlagen

Auf der „Sea Cloud“ über den Atlantik. - Tag 3: In der Nacht zum Montag werden die Uhren wegen Passierens der nächsten Zeitgrenze eine Stunde zurückgestellt. Erleichterung herrscht an Bord aber wegen ganz anderer Dinge.

Tag 3, Sonntag, 4. Dezember 2011

Position um 8 Uhr morgens:

34 Grad, 8 Minuten nord

13 Grad, 0 Minuten West 

300 Seemeilen westlich von Casablanca (Marokko)

130 Seemeilen nordöstlich von Porto Santo

Wassertiefe: 3650 Meter

Seegang aus Nordost Stärke 4

Durchschnittliche Fahrt 8,4 Knoten

Gesegelte Gesamtdistanz bis 8 Uhr früh seit Abfahrt: 202 Seemeilen

Wind: Stetig über Nordost mit gerade noch Stärke 5.

Allgemeine Erleichterung an Bord – zumindest unter den Passagieren: Die Schaumkronen auf den Wellen sind über Nacht zu Schaumhäubchen geschrumpft. Zunächst sieht es so aus, als müsse der Diesel angeworfen werden. Doch nun weht der Wind stetig und treibt die „Sea Cloud“ bei bedecktem Himmel auf den sonnigen Horizont zu. Vorfreude auf die Passatwinde macht sich breit: Es hat den Anschein als werde es wärmer. Der zunächst graue, dann zunehmend tiefblaue Atlantik verliert für uns Landratten langsam seinen Schrecken, Entspannung macht sich breit. Jetzt kann man mal so richtig den Blick schweifen lassen. Hallo, könnte der weiße Schaum dort achtern etwa das Auftauchen eines Wals gewesen sein?

Doch so weit sind wir noch nicht. Zunächst einmal geht es darum, die „Sea Cloud“ östlich an Madeira (Portugal) vorbeizumanövrieren. Die wie ein Strich gezogene Ideallinie für unsere Route von Portimao (Portugal) nach St. Paul’s (Antigua) ist nämlich nicht zu halten. Jedenfalls nicht, wenn der 80 Jahre alte Edel-Oldtimer segelnd, also ohne Maschinenkraft, dorthin bewegt werden soll. Dem Wind hat wohl niemand etwas von der Ideallinie verraten. Und so muss auf der Seekarte immer wieder mal ein Haken gezeichnet werden, um die richtige Brise aus der richtigen Richtung einzufangen.

Früher war es bei Atlantiküberquerungen nicht üblich, Mannschaft und Passagieren zu sagen, wo man sich auf See befindet. Möglichen Panikattacken unter den Passagieren oder einer Meuterei der Besatzung sollte so der Wind aus den Segeln genommen werden. Auf einem Schiff wie der „Sea Cloud“ darf und muss das anders sein.

„Ja, wo sind wir denn eigentlich inzwischen?“ Diese Frage wird öfter im heute gut besuchten Frühstücksraum gestellt. Pünktlich um 9.30 Uhr soll es jetzt jeden Morgen ein Briefing über unsere momentane Position in Raum und Zeit geben. Der erste Offizier Christian Haas hat dafür heute Vormittag die für  jede „Landratte“ verständlichen Worte gefunden. „Um schneller die Passatwinde zu erreichen, die nördlich und südlich des Äquators wehen, werden wir das Röckchen hochheben und bei fünf bis sechs Windstärken die nördlich geplante Route verlassen.“

Maschinen anwerfen oder nicht? Das ist hier die Frage...

Die vor der vergangenen Nacht eingeholten Segel „Groß Royal“, „Groß-Oberbram“, „Fock Royal“ und „Fock Bram“ sind wieder gesetzt und so laufen wir zeitweise flotte 9,5 Knoten. „Wir setzen den Blinker rechts raus“, sagt Haas, „und suchen immer noch die richtige Ecke, um an Madeira vorbei zu kommen. Noch 200 Meilen, dann wird es wärmer.“ - „Na dann kann ich ja schon mal den Bikini rauslegen“, witzelt eine warm eingepackten Mitreisende.

Gegen Mittag haben wir 222 Meilen seit unserer Abfahrt am Freitagabend zurückgelegt. Die „Sea Cloud“ ist eben eher ein Vergnügungsschiff, kein Rennboot. Außerdem wird die Route so gestaltet, dass keiner auf die Idee kommt, wegen Seekrankheit bei Madeira um einen Transfer zum Flughafen zu bitten. Denn auf der Höhe der portugiesischen Insel sind wir wieder in der Reichweite von Hubschraubern, deren Hilfe jedoch nur in absoluten medizinischen Notfällen in Anspruch genommen wird.

Zudem wäre es ein ziemlich aufwendiges Manöver, schließlich kann auf einem Viermaster kein Hubschrauber landen. „Wir müssten das schnelle Schlauchboot zu Wasser lassen und mit dem Patienten auf das offene Meer hinausfahren“, sagt Schiffsärztin (und Notfallmedizinerin) Angelika Aßmann. „Das ist ab Windstärke 5 schon nicht ohne, zumal der Patient ja auch noch auf einer Krankenliege transportiert werden würde.“ Das Festland ist jedenfalls mit dem Hubschrauber seit gestern Abend nicht mehr zu erreichen. Das haben wir inzwischen auch mental verkraftet.

In den vier Stunden von 12 bis 16 Uhr hat 3. Offizier Grzegorz Chroscicki Brückendienst – das Kommando liegt dabei natürlich weiterhin in den Händen von Kapitän Wladimir Pushkarew, ganz gleich ob er schläft oder wacht. Zum heutigen Dienstantritt wirkt Chroscicki etwas ratlos. Soll er nun die Maschinen anwerfen oder nicht? „The answer my friend is blowing in the wind“, möchte man kalauern. Wir machen jedenfalls kaum noch Fahrt, wobei der Fahrplan natürlich eingehalten werden muss.

Gerade einmal 4,5 Knoten über Grund zeigt das neue technische Gerät noch an. Doch Chroscicki traut dem nicht so richtig. „Der elektronische Windmesser ist vorne am Mast angebracht, ziemlich weit unten, der zeigt mir nicht, ob und was achtern weht.“ Am liebsten wohl würde sich Chroscicki den mobilen Windmesser schnappen, und sehen wie viel Windstärken die Masten hinter der Brücke einfangen.

Erst einmal steht jetzt jedoch eine Brückenführung für die englischsprachigen Gäste an. Die „Sea Cloud“ dümpelt ohnehin – mehr den Kurs suchend, denn findend – im Atlantik, da kann Chroscicki dem Autopiloten die Schiffsführung auch gleich ganz für ein paar Minuten überlassen. „Wir fahren 1000 nautische Meilen Südwest – das ist unser Plan“, sagt er. Man werde sehen, inwieweit das durchzuhalten sei.

The best ships are friendships - Ein Toast auf den Kapitän.

Seinen Weg auf die Brücke eines Schiffes begann der Pole als einfacher Fischer. Nach seiner Ausbildung zum nautischen Offizier fuhr er dann zunächst auf Containerschiffen. Seit zwei Jahren ist er nun – mit Urlaubsunterbrechungen, versteht sich – auf den „Sea Cloud“-Schiffen ganz vorne unterwegs. Noch sechs Wochen sind es bis seinem nächsten Urlaub. Der dritte Offizier bevorzugt – mit den vielen Stammgästen, die auf dieser Transatlantikfahrt unterwegs sind – den Oldtimer.

Die „Sea Cloud II“ sei natürlich auch ein sehr schönes Schiff, sagt er. Dann muss er allerdings doch etwas grinsen: „Im Vergleich zu diesem Schiff hat die ,Sea Cloud II’ den Bootskörperbau einer Ente – und Enten wackeln nun einmal auf dem Wasser ein wenig mehr.“ Der Rumpf der „Sea Cloud II“ ist rundlich geformt, jener der „Sea Cloud“ eher wie ein Keil – und so ist Letztere weniger anfällig bei Seegang.

Auf der Brücke der „Sea Cloud“ sei in diesem Jahr ziemlich viel los gewesen, erzählt Chroscicki weiter. Im doppelten Wortsinn. Denn es wurde während der Generalüberholung des Schiffes im Frühjahr viel abgeschraubt und umgebaut, um das Schiff einerseits in den technisch aktuellsten Stand zu versetzen, also die modernsten nautischen Errungenschaften an Bord zu bringen. Andererseits wurde in Bremerhaven endlich der Original-Maschinentelegraf (Baujahr 1931) wieder funktionsfähig gemacht.

Dessen Kette hinunter in den Maschinenraum war irgendwo gebrochen. Demjenigen, der das Ding reparieren könne, müsse man ein Denkmal setzen, dachte sich Kapitän Pushkarew. Gesagt getan: Eric Arndt hatte genügend Geschick, dem Teil aus Messing zu neuem technischen Glanz zu verhelfen. Nun klebt eine kleine Plakette auf dem Maschinentelegrafen: „Restored by Eric Arndt“. Er ist der 1. Ingenieur der „Sea Cloud“. 

Nach den Reparaturen und dem Austausch des nautischen Geräts kamen damals die Inspektoren an Bord, zum Beispiel aus Malta, unter dessen Flagge das Schiff läuft. Etwas mitleidig wohl beäugten sie die Originalanlage, mit der die Schotten über eine Messingkurbel und ein Hydrauliksystem von der Brücke aus geschlossen werden können, wenn das Schiff Wasser macht.

Dass es funktionierte, war keineswegs selbstverständlich. „Es kostet viel Arbeit, ein so altes Segelschiff in Fahrt zu halten“, sagt der 3. Offizier, der übrigens dem nassen Element auch in seiner Freizeit verbunden bleibt: Dann taucht er nämlich ab, am liebsten unter dem Eis der Seen in seinem Heimatland Polen. Seine arme Freundin sieht ihn nur selten, wenn er an Land ist. Sagt er selbst.

Zum zweiten Mal auf dieser Reise wird aus gegebenem Anlass in der Lido Bar abends eine Flasche Champagner an Deck entkorkt. Kapitän Pushkarew hat zum Willkommens-Drink eingeladen, um seine Crew förmlich vorzustellen. Wie am ersten Abend an Bord gibt es Beifallsstürme für den Bartender, den Ersten Offizier, den Hoteldirektor – und für die Pianistin Gaynor Trammer, von der in den kommenden Tagen viel erwartet wird. „As time goes by“ zum Beispiel oder andere Weisen, die zu einer „Sentimental journey“ passen.

Weiß doch der ein oder andere Passagier nicht, ob er im kommenden Jahr wieder die körperliche und finanzielle Kraft hat, noch einmal eine Atlantik-Überquerung mit diesem Schiff zu meistern. Und so überrascht es zu guter Letzt nicht, dass sich am Ende des Dinners („Gratiniertes Rinderfilet auf Portweinjus mit Zwiebelstampf und Gemüsebouquet“) ein Stammgast aus Deutschland erhebt, um einen Toast auf Schiff und Kapitän auszusprechen: „The best ships are friendships“, sagt er mit erhobenem Glas. Wer wollte da widersprechen?

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