zum Hauptinhalt
Bitte lächeln! Beim morgendlichen Fototermin der Mannschaft hielten auch viele Passagiere ihre Kamera im Anschlag.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 6: Großer Auftrieb an Bord: Der Passat hat uns erwischt

Die "Sea Cloud II" läuft bei Windstärke 6 zeitweise bis zu 9,2 Knoten über Grund. Das Wetter ist sensationell. Die Karibik liegt zwar noch in der Ferne, doch der Himmel ist schon blau, und es wird wärmer. Spätestens heute sind auch die letzten verschlossenen Passagiere aufgetaut.

Seit heute Mittag ist alles anders. Wir haben einen Haken Richtung Backbord geschlagen und laufen nicht mehr Kurs 210, sondern Kurs 265. Das hat Kapitän Evgeny Nemerzhitskiy hervorragend gemacht: Die „Sea Cloud II“ hat er mitten in ein Band aus Passatwindwolken hineinmanövriert, die uns in Richtung Karibik treiben werden. In einigen Tagen geht ihnen allerdings die Luft aus; auch das ist den aktuellen Wind- und Wettervorhersagen zu entnehmen.

Es wird wärmer, auch unter uns. 24 Grad Celsius ist die Wassertemperatur, meldet der Maschinenraum an die Brücke. Sie müssen es ja wissen, da unten: Die Osmose-Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung sind nah am Meerwasser gebaut. Den Tiefenmeter der „Sea Cloud II“ haben sie schon vor einigen Tagen ausgeschaltet: Einige Tausend Meter liegen unter uns.

Der Tag begann um 10 Uhr mit einem großen Auftrieb: Zeit für das Mannschaftsfoto, die sich zur Erinnerungsaufnahme auf dem Vordeck aufstellte. Außer der dritten Offizierin Ioana Eremia, die Brückendienst hatte. Doch auch sie strahlte heute von innen heraus: In ihrer Schicht lief die „Sea Cloud II“ nahezu 9 Knoten.

Der Wind drückt die Segel der Großsegler und stabilisiert dadurch das Schiff, ganz gleich welcher Wellengang gerade herrscht. Nicht allein Irmi aus Österreich – doch besonders sie – war deshalb heute ganz in ihren Elementen. Die Inhaberin eines Garten- und Landschaftsbaubetriebes, die sich langsam aus ihrem Geschäft zurückzieht, möchte auf der Transatlantikfahrt ihrer Liebe zur See auf den Grund gehen. Es ist eine bisher ungelebte Liebe.

Irmi macht zum ersten Mal eine Seereise. Warum? „Ja warum? Ich kann Dir das eigentlich nur mit einer Strophe von Michail Jujrewitsch Lermontow beantworten. Kennst Du den?“ - „Nicht die geringste Ahnung,“ antworte ich. Man muss den russischen Romantiker (1814-1841) vielleicht nicht kennen, sollte es aber, denn er hat 1832 das Gedicht „Das Segel“ verfasst. Und das kann Irmi Gott-sei-Dank auswendig, denn Google und Co. können und wollen wir jetzt – so mitten in einem innigen Liegestuhlgespräch auf dem Vordeck – nicht bemühen.

Unser Horizont wird jetzt plötzlich ganz weit: „Wo Meer und Himmel sich vereinen, erglänzt ein Segel, weiß und weit//Was trieb es aus dem Land der Seinen, was sucht es in der Einsamkeit?“ Irmi spürt ihrem Urgroßvater hinterher, der in der KuK-Marine und auf der „SMS Novara“ stationiert war, die 1866 in der Seeschlacht von Lissa involviert war. Damals besiegte Österreich 1866 die zahlenmäßig überlegenen Italiener durch die Rammtechnik. 

Vier Aufgaben, die erfüllt werden müssen

Ideales Segelwetter. Blauer Himmel, Sonnenschein und warmer Passatwind – er treibt die "Sea Cloud II" jetzt in Richtung Karibik.
Ideales Segelwetter. Blauer Himmel, Sonnenschein und warmer Passatwind – er treibt die "Sea Cloud II" jetzt in Richtung Karibik.

© Reinhart Bünger

„Ich habe das Gefühl, dass ich in seinem Fahrwasser unterwegs bin“, sagt Irmi. Die Fahrt mit der „Sea Cloud II“ werde für sie nicht nur unvergesslich bleiben, „wir alle werden ein bisschen davon in unser eigenes Leben mitnehmen“. Und damit meint Irmi nicht die Oberfläche dieser Transatlantikreise (Luxus: sehr gut, Wetter: sehr gut, Verpflegung: sehr gut), sondern deren unbezahlbare Tiefenströmung: „Strahlt auch in Gold des Himmels Bogen, und glänzt auch noch so blau das Meer//Das Segel lechzt nach Sturm und Wogen, als ob in Stürmen Ruhe wär.“

Doch zurück auf die Planken der schwankenden Tatsachen. Unsere erste Offizierin Kathryn Wittaker aus Kanada erklärt uns die Brücke und ihren Brückendienst. Eigentlich gibt es nur vier Aufgaben, die erfüllt werden müssen. Uneigentlich noch einige mehr, die aber nicht so richtig bedeutend für das Führen eines Schiffes sind. Kathryn kann sich also kurz fassen. Die erste Aufgabe: nach Schiffen schauen. Wir wollen ja keinem zu nahe kommen, zumal gestern ein Schiff der Costa-Linie vorbei donnerte. Es war die „Costa Serena“. Aufgabe Nummero Zwo: nach dem Wind sehen. Das ist wichtig für die Stellung der Segel.

Drittens: nach den Segeln sehen. Stimmt da oben alles, müssen wir umbauen, nachjustieren, irgendwo nach dem Rechten sehen, weil ein Schäkel geräuschvoll scherzt? Viertens gilt es zu vermeiden, dass uns einer den Wind aus den Segeln nimmt, wir ihn also verlieren. Zusammengefasst geht es in diesem Raum also um die Navigation des Schiffes, der Dreh- und Angelpunkt dafür ist der Kartentisch – wie eh und je. Trotzdem bestimmt die Technik das Bild der Kommandobrücke.

Die Crew hat alle Hände voll zu tun, damit die "Sea Cloud II" Kursstabil und sicher durch die Wellen gleitet.
Die Crew hat alle Hände voll zu tun, damit die "Sea Cloud II" Kursstabil und sicher durch die Wellen gleitet.

© Reinhart Bünger

Besonders wichtig sind das „Automatic Identification System (AIS)“, das Radar, das die Position der Schiffe im Fahrtgebiet zeigt. Das kann man übrigens nicht nur am Karten-, sondern auch am heimischen Schreibtisch abrufen:www.bootskennzeichen.biz/ais-radar-live.html. Ein zweites wichtiges System an Bord ist das „Global Maritime Distress Safety System (GMDS)“, das den „Radio Officer“ ersetzt hat, den Funker also. Hier können elektronisch Notrufe und andere Signale abgegeben werden.

Die Signale, die mir der sternenklare Himmel sendet: Wir nähern uns dem Wendekreis des Krebses, kaum noch etwas Bekanntes im Sternenmeer zu erkennen. Es wird Zeit, „Das Segel“ auswendig zu lernen und es dann zu streichen. 

Zur Startseite