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Die alten Fahrensleute Niels Rohde aus Sylt und den 86-jährigen Günter Zikarsky (rechts) wissen, wie man Flaschenpost richtig verschickt.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 9: Wellenritt auf der Erbse

Christoph Columbus berichtete in seinen Aufzeichnungen vom Jahre 1492 von heftigen Nordostenwinden, was unser Redakteur Reinhart Bünger auf See erlebt lesen Sie hier.

Durch den Wind

„Der heftige Nordost ließ die Schiffe eine Kabellänge vor Anker treiben, was mich in Staunen versetzte; ich schrieb es dem Umstande zu, dass man zu sehr in Ufernähe vor Anker gegangen war und der Wind vom Lande kam.“ Christoph Columbus in seinem Bordbuch mit seinen Aufzeichnungen seiner ersten Entdeckungsfahrt nach Amerika 1492-93 unter dem Datum des Montag, 10. Dezember 1492

 Weißt Du wie viel Sternlein stehen?

Vor dem Sonnenaufgang steht der Mond leuchtend und fast kreisrund über dem Horizont. Ein Schwarm fliegender Fische kreuzt die schnelle Fahrt unter Segeln. Das ist ein besonderer Tag. Unser Lektor Prof. Dr. Erich Übelacker hat heute an Bord sein 75. Lebensjahr vollendet.

Die Passagiere sagen ihn vorm Diner ein Ständchen nach der Melodie „Wie Du wie viel Sternlein stehen?“ Besonders hübsch im ungetexteten Refrain die Zeile: „Weißt Du wie viel Vulkane glühen?“ Übelacker beriet weltweit viele Städte bei der Planung und Aufstellung von Planetarien; von 1975 bis 2000 leitete de gebürtige Österreicher das Hamburger Planetarium.

Nach seiner Promotion war er neun Jahre bei der Firma Carl Zeiss in Oberkochen tätig. An Bord der „Sea Cloud“ ist er der Lektor, der den Tagen mit spannenden Vorträgen zum Fahrtgebiet und – natürlich – zum Sternengeschehen eine besondere Note gibt.

Immer wieder überrascht er die Reisenden mit seinen Erkenntnissen. „Wenn man sich die Sonne als einen Meter groß vorstellt“, erklärt er etwa, „dann ist die Erde eine Erbse.“ Überhaupt die Sonne, die unseren Wellenritt auf der Erbse an diesem Tag so trefflich begleitet!

Der Lektor, Prof. Dr. Erich Übelacker, an Bord der Sea Cloud.
Der Lektor, Prof. Dr. Erich Übelacker, an Bord der Sea Cloud.

© Reinhart Bünger

Oder der Merkur, der so klein ist, „dass er in den Atlantik passen würde“. Übelackers größter Wunsch ist es, noch zu erleben, ob es auf einem anderen Planeten Leben gibt. Wer diesen hellwachen Mann erlebt, der da täglich seine Laufrunden auf dem Promenadendeck absolviert, weiß, dass der Wunsch in Erfüllung gehen könnte. Der Tagesspiegel gratuliert dem Wissenschaftler, Autoren und Redner der Urania.

Sonne, Mond und Sterne

Der 1. Offizier der „Sea Cloud“, Dr. Christian Haas, präsentiert heute nach dem morgendlichen Briefing einen Sextanten. „Damit können wir die Sonne und die Sterne ,schießen' um unsere Position zu bestimmen.“ Dass heißt er kann durch ein Visier, Spiegel- und andere Winkelvorrichtungen die Sonne auf das Niveau des vermeintlich, bzw. des tatsächlichen Horizonts bringen.

Der Nostalgie-Viermaster hat zwei Sextanten an Bord und die Offiziere wissen damit auch umzugehen – wenngleich Plotter und GPS den Standort des Schiffes auf dem offenen Meer ständig elektronisch anzeigen. Solange Strom fließt. „Es ist klar, dass auf Schiffen wie diesem klassische Navigation stattfindet – mit Seekarten und terrestrischer Navigation“, sagt Haas.

Einige Passagiere nehmen den Sextanten selbst in den Hand, um ein Gefühl dafür zu bekommen. „Wir segeln vom Feinsten“, sagt Haas, der ein Mann von einigem Gewicht ist. „Das Schiff läuft bei achterlichem Trimm noch schneller, deshalb stehe ich hinten.“

Wir sitzen alle in einem Boot.

„Es ist ein großer Fehler in de r modernen Seefahrt, die traditionelle Navigation zu vernachlässigen“, sagte die Amerikanerin Pam Wall zu Haas zu Haas' Demonstration. „Was macht man, wenn elektronische Systeme aus- oder einem terroristischen Anschlag zum Opfer fallen?“ Ein Blitz kann überdies alle Systeme lahmlegen.

Pam Wall arbeitet für die Firma West Marine in Florida und berät Segler auf Bootsmessen in ganz Amerika. Sie segelte auf ihrer Hochzeitsreise mit ihrem Mann Andy über den Atlantik – in einem 30-Fuß-Holzboot. Pam Wall wurde im Jahre 2009 als Lektorin für die Transatlantik-Reisen der Sea Cloud engagiert.

Sie hält an Bord Vorträge über ihre Weltreisen. Heute las sie den englisch-sprachigen Passagieren aus Frederick Forsyths „The Shepherd“ vor.

Seemannsgarn.

Seemannsgarn.

Der Kapitän der „Sea Cloud“  Vladimir Pushkarew ist seit den frühen Morgenstunden bester Dinge und besticht seit der Wind ordentlich weht mit Charme und Witz. „Captain, irgendwelche Schiffe in der Gegend?“, fragt eine Passagierin aus den USA als sie Pushkarew am Radargerät stehen sieht.

„Nein, nichts mehr zu sehen,“ antwortet Pushkarwe, „wir haben alle überholt und laufen derzeit 9,3 Knoten.“ Tatsächlich war um vier Uhr morgens in einer Entfernung von 28 Seemeilen ein Tanker auf dem Radar zu sehen gewesen – aber auch nur dort. Landratten schwant: Im Gericht und auf hoher See wird nicht immer die Wahrheit und nichts anderes als die Wahrheit gesagt.

Messages in a bottle

 Der Sylter Niels Rohde ist einer der jung gebliebenen alten Seebären auf der Passagierliste der „Sea Cloud“. Er hat viel zu erzählen. Wie alle, deren  Leben reich an Erfahrungen ist. Eine besonders schöne Geschichte gab er heute zum besten, da das Versenden von Flaschenpost-Nachrichten am Heck zelebriert wurde.

Rohde hatte vor einigen Jahren auf einer Crossing der „Sea Cloud“ eine Flaschenpost auf der Mitte des Atlantiks über den Rücken ins Wasser geworfen. Es dauerte eineinhalb Jahre da bekam er Briefpost aus Texas. Der Meeresbiologe Anthony Amos fand die Flasche, als er nachts am Strand in Port Lavaca/Texas nach einer seiner erkrankten Meeresschildkröten schauen wollte.

Er antwortete Rohde, rechnete vor, dass die Flasche in einer Strömung mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei Knoten in die Karibik geflossen sein musste und kam sogar zu Besuch nach Sylt. Der geborene Schotte Amos sei begeistert gewesen von der deutschen Nordseeinsel.

Unter anderem, weil sie eine ähnliche geologische Beschaffenheit aufweise wie Inseln in Amerika. „Ein toller Kerl“, sagt Rohde, der in Sylt ein Hotel betreibt und Ferienwohnungen vermietet. Man habe sich sofort verstanden. Als er dann von Amos eine Einladung zum Gegenbesuch in Texas erhielt, zögerte er keine Minute und brach auf.

Allerdings hatte er die Einladung zur Goldenen Hochzeit seines Flaschenpost-Empfängers zunächst unbeantwortet gelassen – und stand wie ein Geist aus der Flasche im Türrahmen. „Das war natürlich ein großes Hallo“, erzählt Rohde in breitem norddeutschem Slang.

Eine Botschaft hatte Rohde in der Flasche nicht platziert – nur die Adresse stand da auf einem Blatt Papier. An diesem Vormittag macht Rohde es anders, als eine neue Wurfsendung startklar macht. Er schreibt seine Adresse und das Kürzel „CQD“ auf das Blatt Papier.

Das ist der internationale Seenotspruch, der gefunkt wird, wenn es um Leben und Tod geht. Er steht für „Come-Quick-Danger“.

Wie Niels Rohde ist auch der 86-jährige Marine-Veteran und langjährige Siemens-Mitarbeiter beim Bau für elektrische Anlagen im Schiffbau, Günter Zikarsky, ein Stammgast auf der „Sea Cloud“.

Beide kennen sich und ihre Stories. Dass eine Flaschenpost gefunden wird, das hat auch der ehemalige Minenräumer Zikarsky schon erlebt. Seine Flasche erreichte die Kleinen Antillen in der Karibik und dort die halb holländische, halb französische Insel St. Martin.

Zikarsky hatte in der Flasche neben seiner Adresse noch die Zusage, der Finder werde 50 US-Dollar erhalten, auf einen Zettel geschrieben. Und so geschah es. Zikarsky erhielt eine Karte der Insel mit dem markierten Funkort der Flaschenpost, der Empfänger erhielt 50 US-Dollar.

Das A und O beim Versenden einer Flaschenpost sei aber das Etikett, schwört Zikarsky. Auf Billigmarken habe er noch nie eine Antwort erhalten...

Reisekoordinaten

Position um 8 Uhr morgens:

23 Grad, 55 Minuten nördlicher Breite,

34 Grad, 08 Minuten westlicher Länge

(auf geografischer Höhe von Havanna/Kuba)

Wassertiefe: zirka 5760 Meter

Außentemperatur: 24 Grad Celsius

Wassertemperatur: 24 Grad Celsius

Luftdruck 1014 Hektopascal

Fahrtgeschwindigkeit aktuell unter Segeln: 10,5 Knoten

(alle Rahsegel gesetzt, sowie das Vorstengestagsegel, der Innenklüver, das Großstengestag und das Kreuzstengestagsegel wie auch der Besan)

Kurs über Grund: 270 Grad

Gesegelte Entfernung von Freitag, 9.12.2011 (8 Uhr)

bis Sonnabend, 10.12.2011 (8 Uhr): 219 Seemeilen

Windstärken 5 bis 6 aus östlicher Richtung

Entfernung bis zum Fahrtziel St. John's (Antigua): 1623 Seemeilen (=Reststrecke).

Point of no Return (die Hälfte der Gesamtstrecke) um 9 Uhr morgens passiert

Rücklaufender Golfstrom schiebt weiterhin mit 0,5 Knoten

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