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Warten auf Kunden gehört heute auch in Hurghada zum Geschäft.

© Peter Lehner, mauritius

Reisewarnung für Ägypten: Plan B in der Schublade

Noch gibt es keine Stornierungswelle: Reiseveranstalter hoffen auf Beruhigung der Lage in Ägypten.

Ägypten wird immer kleiner. Zumindest aus Sicht von Urlaubern. Einzig die Touristengebiete am Roten Meer sind nach Einschätzung des Auswärtigen Amts in Berlin (AA) von einer expliziten „Reisewarnung“ auszunehmen (Stand bei Redaktionsschluss dieses Teils der Zeitung am Freitagmittag, 12. Juli), obwohl die Behörde dazu rät, auch in den Küstenorten erhöhte Wachsamkeit walten zu lassen. Die Auswirkungen der Unruhen im restlichen Ägypten auf die Touristengebiete seien derzeit nicht absehbar. Deutsche Reiseveranstalter, deren Ägyptengeschäft einmal mehr einbricht, schäumen jedoch aus einem anderen Grund: Klaus Brähmig, Vorsitzender des Tourismusausschusses des Deutschen Bundestags, äußerte öffentlich seine Befürchtung, Islamisten könnten nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi „Terrorakte ohne Rücksicht auf Touristen“ verüben.

Der Deutsche Reiseverband (DRV) hält diese publizierte Sicht des CDU-Politikers für wenig hilfreich, die Aussage sei sogar „unverantwortlich“, heißt es in einer Mitteilung. „Wir sind sehr verwundert, dass nun ohne Grund eine unsachliche Diskussion über die aktuelle Lage und die weitere Entwicklung in Ägypten losgetreten und angeheizt wird. Wer jetzt über mögliche Anschläge spekuliert, handelt grob fahrlässig und schürt geradezu Panik“, betont DRV-Präsident Jürgen Büchy.

Unverständnis für Brähmigs Einschätzung artikuliert auch Karl Born, Tourismusprofessor an der Hochschule Wernigerode und ehemaliger Deutschland- Chef von Tui: „Man muss wissen, dass es bei dieser Diskussion nicht nur um die Interessen der Reiseveranstalter geht (im Zweifel buchen die ihre Kunden in ein anderes Zielgebiet), sondern vor allem um das Überleben der vielen Angestellten in der ägyptischen Tourismusindustrie rund um das Rote Meer. Statt diesen Menschen zu helfen, entzieht man ihnen durch solche leichtfertigen Aussagen (…) die Erwerbsgrundlage. Das haben diese Menschen wirklich nicht verdient.“

Das Schlimme an dem Ganzen sei, dass Klaus Brähmig „Wiederholungstäter“ sei. Schon im März vergangenen Jahres, unmittelbar vor der Tourismusbörse in Berlin, hatte Brähmig ausdrücklich vor Reisen nach Ägypten gewarnt. Auch damals sah das AA keine Veranlassung dazu. Born fragt sich nun in seiner wöchentlichen Online-Tourismuskolumne „Borns bissige Bemerkungen“ (karl-born.de): „Hat Herr Brähmig eine Art Ägypten-Phobie? Oder hat er als Kind zu viele schreckliche Mumien- Filme gesehen (,Die Rache der Mumie‘ o. ä.)? Vielleicht leidet er auch an schwerwiegender Islamophobie (Angst gegenüber Muslimen/dem Islam)? Er ist und bleibt eine Belastung für die Tourismusindustrie, obwohl das Gegenteil, als Vorsitzender des Tourismusausschusses, sein Job sein müsste.“

Die großen deutschen Reiseveranstalter, die in diesen Tage ihre Programme für den kommenden Winter vorstellen, halten sich eher bedeckt in Bezug auf Einschätzungen ihres Ägypten-Geschäfts. Marktführer Tui hat derzeit 5000 Gäste aus Deutschland am Roten Meer. Die Situation sei nach Angaben der dortigen Reiseleiter ruhig und friedlich, sagte eine Sprecherin. „Es ist nichts vorgefallen, was eine Neubewertung der Lage erforderlich macht.“ Gäste, die ihre Reise bald antreten, riefen verstärkt in den Callcentern an und stellten viele Fragen, aber es gebe keine Stornierungswelle. Ähnlich ist die Lage bei Thomas Cook mit den Marken Neckermann oder Bucher Reisen. Ägypten werde weiterhin gebucht, sagte eine Sprecherin, wenn auch weit weniger als „normal“.

Im Land der Pharaonen beginnt eigentlich die Hochsaison im November und dauert bis April. Ob nun für die Ägypter ein weiteres Mal die wichtige Devisenquelle tröpfelt statt sprudelt, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Befürchtungen bestehen, doch es gibt auch Hoffnung. FTI etwa setzt auf baldige Beruhigung in Ägypten und baut entsprechend sein Programm aus: Aktuell machten 10 000 Kunden Urlaub am Roten Meer, die von den politischen Unruhen im Land nichts mitbekämen, sagt Chef Dietmar Gunz. Noch im laufenden Sommer und im Herbst will er weitere 100 000 Gäste nach Ägypten bringen. Ohnehin sei FTI „kein Veranstalter, der davonläuft, wenn es schwierig wird“, und „wir haben auch eine soziale Verantwortung“, sagt Gunz. „Wir gehen davon aus, dass wir in ein bis zwei Wochen wieder relativ normale Verhältnisse im ganzen Land haben.“ Dennoch liege ein Plan B bereits in der Schublade. Weil das Unternehmen weder eigene Hotels im Land habe noch auf die Auslastung eigener Flugzeuge angewiesen sei, halte sich das finanzielle Risiko ohnehin in engen Grenzen, sagte Gunz, der gern mal gegen den Branchentrend handelt.

Zog es 2010 noch mehr als 14 Millionen Urlaubsreisende zu Stränden und Tauchrevieren am Roten Meer sowie zu den Pyramiden und Sehenswürdigkeiten am Nil, brachte der Arabische Frühling im Jahr darauf erst Machthaber Mubarak zu Fall und dann die Urlaubslust zum Erliegen – ein Albtraum für die Tourismusbranche, die zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ernährt. Doch bereits im vergangenen Jahr kehrten die Urlauber nach und nach zurück, darunter vor allem Russen, Briten und immerhin 1,2 Millionen Deutsche. Auch dieses Jahr begann vielversprechend: Von Januar bis Mai kamen offiziellen Angaben zufolge nahezu fünf Millionen Touristen in den bevölkerungsreichsten arabischen Staat.

Mit Blick auf die Wintersaison greifen die Veranstalter jetzt zu einem bereits bei anderen Krisen erprobten Mittel gegen den totalen Einbruch im Ägyptengeschäft: Preisoffensive, sprich Ermäßigungen. Die sind offenbar unvermeidlich, denn schon in der laufenden Sommersaison verzeichnen die Veranstalter durch die Bank weniger Buchungen (minus 20 Prozent) als im vergangenen Jahr. Von den etwa 200 Kreuzfahrtschiffen auf dem Nil waren bereits im vergangenen April, also noch zur besten, weil nicht so heißen Reisezeit, nur rund 50 unterwegs. Und die waren zum Teil so schlecht gebucht, dass oft mehr Servicepersonal an Bord war als Gäste.

Nun ist weder den Veranstaltern noch den Hoteliers daran gelegen, die „Ware Urlaub“ zu verschleudern. Die Veranstalter, die bekanntlich den Bettenbesitzern gern die Daumenschrauben anlegen, um bestmöglich einzukaufen, haben darauf geachtet, nicht zu stark zu drehen und so dem Hotelier die Luft abzuschnüren. Erstens nutzt ein Pleitehotel niemandem und den Veranstaltern ist durchaus daran gelegen, die Menschen in den Ferienanlagen in Lohn und Brot zu halten, allein schon um die gesamte Infrastruktur nicht zu gefährden.

Trotz allem hofft Mohammed Gamal, Leiter des Ägyptischen Fremdenverkehrsamtes in Deutschland, auf Wachstum. Natürlich gebe es besorgte Anfragen von Reisebüros und Reiseveranstaltern, doch die Urlaubsregionen am Roten Meer seien „zu 100 Prozent sicher“, sagte er dem Nachrichtendienst tdt. In Hurghada oder Scharm El Scheich beispielsweise gebe es nicht einmal „besondere Vorkehrungen, die über die normalen Sicherheitsstandards hinausgehen“. Anders als in den Badezielen sei der Kulturtourismus in Luxor, Assuan oder Kairo jedoch „geradezu eingebrochen.“

Dennoch wird der staatliche Tourismuswerber seiner Jobbeschreibung gerecht und versprüht Optimismus: „Wenn die politische Lage nicht weiter eskaliert, rechnen wir bei Ankünften und Übernachtungen mit einem deutlichen Wachstum.“

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