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Ruppiner Land: Götterrat im Wald

Im Sommer wird im märkischen Netzeband großes Theater gemacht. Ahorn, Eichen und Ulmen bilden die natürliche Kulisse.

Wotan, der Weltbeherrscher, zweifelt an der Zukunft. "Alles im Weltkreis bewegt sich im Wandel, Verwandlung, Trug und Selbstbetrug. Menschenhoffen und Sachenwirbel im Wandelchaos verschlingen die Zeiten und Dinge und Leute …" Frigga, seine Frau, schaut betroffen. Und auch die Götter im Rat wissen keine Antwort auf Wotans bange Frage: "Wo stehen wir in der Zeit?" Wir sind im Theater. Die Kulisse bilden efeuumrankte Ahornbäume, Tannen, Eichen. Linden und Ulmen. Und: Sie sind echt. Diese Bühne hat weder Bretter noch ein Dach, und sie befindet sich in einem Gutspark im Ruppiner Land. Es ist Theatersommer in Netzeband, auf dem Programm stehen "Die Nibelungen".

Monumentaler Stoff für eine Aufführung in einem 200-Seelen-Dorf zwischen zwei Autobahnabfahrten, inmitten von Feldern, Wiesen und Seen. Netzebands Bahnhofsgebäude ist längst verwaist. Immerhin, der Regionalexpress RE 38608, aus Berlin-Spandau kommend, hält hier noch, wenn auch - wie die Internetseite der Bahn mahnt - "nur bei Bedarf".

Dabei war Netzeband Mitte der neunziger Jahre drauf und dran, zu einem Vorzeigedorf in Brandenburg zu werden. Der Düsseldorfer Landschaftsarchitekt Horst Wagenfeld ließ die bröckelnde Kirche - heute ein Schmuckstück - restaurieren, aus einem alten Gehöft wurde ein Landhotel, hinter vormals heruntergekommenen Backsteinfassaden entstanden ansprechende Eigentumswohnungen. 1996 wurde der Theatersommer ins Leben gerufen. Der findet nun zum zwölften Mal statt und hat den zeitweiligen Niedergang des Dorfes - das Landhotel ging in Insolvenz - wie durch ein Wunder überdauert. Und auch die Einheimischen, Ende der 90er Jahre gegenüber Besuchern noch misstrauisch und manchmal auch ein bisschen unfreundlich, sind mittlerweile stolz auf ihr Kulturdorf.

Unterhalb der Kirche, hinter den Wiesen am Wald ist die Naturbühne. "Ein großer Raum" schwärmt Regisseur Frank Matthus, und der brauche eben "einen großen Stoff". Unter dem Pseudonym Anton Perrey hat Matthus die mittelalterliche Nibelungensaga neu gedeutet und "rhythmisch" geschrieben. Mit "Der Fluch des Ringes" ist jetzt der erste Teil einer Trilogie zu sehen, die in den kommenden beiden Sommern fortgesetzt werden soll. Seit 1990 arbeitet Matthus, Absolvent der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch", als Regisseur an verschiedenen Bühnen und ist seit 1996 künstlerischer Leiter des Theatersommers in Netzeband. Nicht um irgendein schrilles Open-Air-Spektakel, womöglich noch mit Abschlussfeuerwerk, geht es ihm, sondern um wahre Kunst. "Hier kann ich Bilder bauen, die eine Gewalt haben", erklärt er und schwärmt davon, "150 Meter in die Tiefe" spielen zu können. Doch wie kann das gelingen, mit nur fünf Profis (zwei Tänzer und drei Schauspieler) neben einer großen Schar Laiendarsteller? Etliche von ihnen kommen aus Netzeband, einige sind Schüler aus Neuruppin.

"Normalerweise müssen Schauspieler auf Open-Air-Bühnen brüllen, damit man sie überhaupt verstehen kann", sagt Matthus. Auf der Netzebander Naturbühne aber hört man die Darsteller sprechen, wispern, stöhnen und kichern. Jede Nuance der tiefgründigen Nibelungenbotschaften teilt sich mit. Der Kunstgriff: Die Wörter kommen vom Band - und sie klingen wunderbar. Zahlreiche namhafte Schauspieler, darunter Corinna Harfouch, Gerd Silberbauer und Daniela Ziegler haben Göttern und Zwergen ihre Stimmen "geliehen". Nun ist ein grandioses Hörspiel daraus geworden, dem man auf verblüffende Weise zuschauen kann. Denn: Die Akteure tragen Masken. Seltsam faszinierende Gipsgebilde sind das, die durch den Zauber der Stimmen und die einfachen Bewegungen der Darsteller lebendig zu werden scheinen. So sieht der Zwergenkönig Alberich mal verschlagen, mal triumphierend oder verzweifelt aus. Mucksmäuschenstill sitzen die Zuschauer da - und staunen. Siegfried kämpft mit dem Drachen, der nüchtern betrachtet nur eine Silhouette aus roten, huschenden Lichteffekten ist. Doch im Kopf des Zuschauers wird ein reales Monster daraus. Was ist hier wirklich und was inszeniert? Wenn Siegfried mit den Waldvögeln spricht, ist man nicht sicher: Kommt all das Gezwitscher wirklich vom Band, oder mischen sich unter dem nun dunklen Himmel echte Vogelstimmen hinein?

"Da war so viel zum Nachdenken drin", sagt eine Zuschauerin am Ende des Stücks. Darüber etwa, was Brünhild ihrem Vater zurief: "Sorge dich nicht darum, was andere glauben: glaube selbst!" Ein Besucher fürchtet, dass er von all den Masken wohl träumen werde in der Nacht. Wenn er Glück hat (und rechtzeitig gebucht), darf er das am Ort tun, in den "Märkischen Höfen". Zwanzig Zimmer und fünf Appartements hat das liebenswürdige Landhotel, das ein Südtiroler Ehepaar 2003 von den gescheiterten Vorbesitzern übernahm. Und: Die Untersteiner, so scheint's, haben den Betrieb gut im Griff. So schön die Lage von Haus, Hof und Garten ist, so stimmig ist das Konzept. Jeweils zwei Menüs - zwischen 15 und 18 Euro - stehen im Restaurant zur Auswahl. "A la carte hat sich nicht bewährt", erzählt Hans Untersteiner. Zuviel Unterschiedliches habe man vorhalten, und schlimmstenfalls viel wegwerfen müssen. "Man weiß ja nie, wie viele Gäste bei uns essen wollen."

Etliche kommen wegen der Reitmöglichkeiten. Vier Kleinponys und sieben Haflinger stehen im Stall. Und einen Teich zum Bötchenfahren gibt es auch. Immer öfter mieten sich auch Hochzeitsgesellschaften ein. Am Theatertag war eine gar aus der Toskana angereist. Vor dem Fest am Abend wollten die Herren Fußball spielen, und prompt wurden auf der großen Wiese zwei Tore aufgestellt. "Was geht, wird möglich gemacht", ist die Devise des Hotelehepaares.

Im nahe gelegenen Katerbower See könne man baden, erzählt Untersteiner. Im vergangenen Jahr hat er dort einen Steg gebaut. Für seine Gäste - und für alle übrigen Netzeband-Besucher. Aber so ein Holzsteg müsse gepflegt werden, sagt er und dazu fehle ihm die Zeit. Nun sitzen eben die Angler aus dem Dorf drauf. "Nicht alle hier haben verstanden, dass man etwas tun muss für den Tourismus", sagt Untersteiner zurückhaltend. Die Natur ringsherum gibt sich hingegen alle Mühe, die Besucher zu bezaubern. Über den weiten Wiesen hinter dem Hotel kreisen zwei Störche, steigen schwebend höher und lassen sich wieder fallen. Die beiden üben für die lange Rückreise. Berliner haben es da bequemer. Eine Autostunde, und sie sind zu Hause.

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