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Sachsen-Anhalt: Aufstieg zum Kalimandscharo

Schneeweiße Berge gibt es in Sachsen-Anhalt. Halden aus Abraumsalz, die stetig wachsen. Gipfelstürmen ist erlaubt.

Die Halde ist der Wetterhahn. Schon Tage vorher erkennen die Menschen drüben an der Elbe in Rogätz, ob’s bald regnen wird oder nicht: Bei zunehmender Luftfeuchtigkeit verfärbt sich der salzige Abraum der Halde und sagt – weit ins Land – voraus, dass es demnächst nass runterkommen wird. Aber auch oben auf der 120 Meter hohen Halde sind Vorhersagen ziemlich treffsicher: Wenn der Brocken, der rund 100 Kilometer südwestlich von hier aufragt, klar zu erkennen ist, wird’s Wetter umschlagen, sagt Joachim Baersch. Und der muss es wissen.

Seit 35 Jahren arbeitet Baersch in, um und unter Zielitz in der sachsen-anhaltinischen Altmark, wo die K+S Kali das Kaliumchlorid aus der Tiefe holt, Ausgangsprodukt für Düngemittel und Chemikalien. Baersch ist einer von 1700 Mitarbeitern, die hier beschäftigt sind. Viele bearbeiteten schon beim Vorgänger, dem VEB Kalibetrieb Zielitz, über und unter Tage das Steinsalz – so wie der Elektriker Achim Baersch, der am Wochenende gelegentlich hier als Bergführer agiert und in dieser Funktion immer am glatt polierten Edelholzstock mit dem eingravierten Wappen zu erkennen ist, mit dem er für die Besucher hierhin oder dorthin weist. Halde 2 darf nämlich bestiegen werden. Dem Einsatz des Bergmannsvereins Zielitz sei’s gedankt.

Bergfex Baersch nennt seine Wochenendbeschäftigung die Besteigung des „Kalimandscharo“. Damit unsereins kapiert, warum sich über den Salzbergwerken von Zielitz zwei weiß-gelb-gräuliche Giganten aufgetürmt haben, braucht man eigentlich nur zwei Zahlen zu kennen. Von 42 000 Tonnen Material, die hier tagtäglich ans Tageslicht befördert werden, sind 30 000 Tonnen nicht zu gebrauchen. Die landen als Abraumsalz auf der Halde. So kommt es, dass Halde 1 auf rund 40 Meter und Halde 2 auf rund 120 Meter hoch gewachsen ist. Für das stetige Wachstum sorgt ein zwei Kilometer langes Transportband, das die weißliche, grobkörnige Salzlast zu einem sogenannten Bandabsetzer führt, eine gewaltige Maschine, die die Fracht in hohem Bogen auf den Bergrücken pustet, Tonne um Tonne.

Wie seltsame Wahrzeichen, die an gigantische Dünensolitäre erinnern, ragen die beiden Abraumhalden über die Magdeburger Börde und fallen allen Durchreisenden auf – ob sie die B 189 befahren, die Bahnlinie Magdeburg–Stendal oder über die Elbe in Höhe der Fähre von Rogätz schippern. Die salzigen Silhouetten sind nicht zu verfehlen. Bis Calvörde im Westen und noch weiter sollen die tiefen Kalistollen vorangetrieben werden, in östlicher Gegenrichtung bis zur Stadt Burg, deren Bismarckturm vom Haldenplateau aus gut zu erkennen ist.

Oben auf dem Gipfelplateau haben Wind und Regen die Ablagerungen teilweise zu bizarren Formationen gefeilt; dies hier könnten Lavakanäle sein, die ins Salz geschwemmt worden sind, jenes ein Pferdekopf, der den heftigen Winden der vergangenen Tage getrotzt hat. Der Anschein trügt, die körnige Masse unter den Stiefeln ist weder leicht noch locker: Luft und Wasser haben das Abraumsalz ausgehärtet und zu festem Gestein gebacken.

Wohl deswegen ist beim Aufstieg kein Knirschen zu hören, vielleicht aber auch deswegen nicht, weil das gleichmäßig sirrende Rumpeln des Transportbandes alle leisen Geräusche übertönt. Der Haldenweg ist kein Klettersteig; entgegen den Schildern, die vor 16-prozentigen Anstiegen warnen, ist der Aufstieg leicht und schnell zu schaffen – die Tour dauert zwei- bis zweieinhalb Stunden, Zwischenstopps mit Erklärungen inbegriffen.

Nach Norden hin, in die Brache aus Büschen und Wiese, darf sich der Koloss erweitern, das Bergamt hat nach jahrelangen Erwägungen und Prüfungen zugestimmt. Halde 1 hingegen darf kaum noch wachsen, jedenfalls nicht in die Höhe – die benachbarten Dörfler haben sich dagegen gewehrt, da die Halde ihnen dann zur Mittagszeit schon die Sonne nähme.

Fast hochzeitlich weiß blendet das Salz, wo es noch frisch und eben erst aus den 500 bis 1500 Metern der „Scholle von Calvörde“ geholt ist, wie die Salzlagerstätten offiziell heißen. Sie entstanden vor rund 250 Millionen Jahren durch die Verdunstungsablagerungen eines weiträumigen Binnenmeeres. Das muss bis dahin gereicht haben, wo sich heute südwestlich der Brocken über dem Harz reckt.

Magdeburg ist nicht so gut auszumachen, weil die Fabrikanlagen der Kaliwerke die Sicht versperren. Die Elbe, einen Katzensprung östlich, ist nicht zu sehen. Der Strom verschanzt sich hinter dem Grün auf den Dämmen. Westlich, den Besuchern scheinbar direkt zu Füßen, breitet sich zwischen Haldensleben und Gardelegen die Colbitz-Letzlinger Heide aus, wo die Bundeswehr in einer nachgebauten Kulisse namens „Stullenstadt“ den asynchronen Krieg übt. Links unten ist das Fachwerk des ehemaligen Forsthauses von Ramstedt zu erkennen, wo nur 56 Dörfler leben.

Nebenan, aus den Buchen- und Eichenkronen, ragt zinnenartig ein steinerner Stummel. Er gehört zu einem ansehnlichen Anwesen, das jetzt ein wenig vergammelt, davor ein Investitionsobjekt war, davor ein sozialistisches Behindertenheim und davor wiederum, bis zur Enteignung, ein Gutshaus, das bis dahin den einflussreichen Adelsgeschlechtern Schulenburg und Ziethen zu eigen war.

Der Schlosspark zum Gut, leider hermetisch umzäunt, wurde von Peter Josef Lenné entworfen. Aber auch außerhalb des Lenné’schen Entwurfs ist Ramstedt einen Spaziergang wert, schon wegen der betagten, schönen Buchen und Eichen in den Waldstücken ringsum. Ihr dichtgrünes Astwerk gibt immer mal wieder den Blick frei auf die fahlgelben Halden von Zielitz über der Magdeburger Börde.

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