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Meister der Kügelchen. Samuel Hahnemann ist allgegenwärtig in Köthen. Zu DDR-Zeiten wusste man wenig über ihn.

© dapd

Sachsen-Anhalt: Verborgen im Rosenholzkästchen

Samuel Hahnemann, Erfinder der Homöopathie, fand in Köthen auch seine große Liebe.

Als ein indischer Arzt einst die Türschwelle ihres Hauses in der Wallstraße von Köthen küsste, verstand Liane Just die Welt nicht mehr. Sie ahnte nicht, dass ein früherer Bewohner des Hauses Samuel Hahnemann war, der Begründer der Homöopathie. „Ich kannte zu DDR-Zeiten niemanden, der wusste, wer Hahnemann war“, erzählt die Köthenerin. Der indische Arzt wusste es genau. In Indien ist Homöopathie weit verbreitet, Hahnemann wird dort verehrt. Mittlerweile kennt ihn auch in Köthen fast jeder.

Im Jahr 2004 wurde das ehemalige Wohnhaus des gebürtigen Meißners dank Spendengeldern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Rauchfang des Hahnemann’schen Labors ist heute noch im Inneren erhalten. Im Erdgeschoss ist heute das ursprüngliche Arbeits- und Wohnzimmer zu besichtigen, in dem Hahnemann seine Patienten empfing. Dort steht noch der Originalschreibtisch. Der schwarze Ohrensessel zeigt deutliche Gebrauchsspuren und wirkt, als hätte ihn der Meister gerade eben noch benutzt.

Liane Just holt ein Rosenholzkästchen aus dem Schrank und lüftet den Deckel. Es tauchen 950 winzige, beschriftete Glasfläschchen auf, gefüllt mit unterschiedlichen Globuli: Hahnemanns Reiseapotheke. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts experimentierte der Mediziner damit, „Gleiches mit Gleichem“ zu heilen und verwendete immer geringere Dosen von Arzneien. In einem Aufsatz schrieb er etwa „Ueber die Kraft kleiner Gaben der Arzneien und der Belladonna insbesondere“. 1805 führt er erstmals den Begriff „homöopathisch“ ein. In Köthen können Besucher in Hahnemanns Welt eintauchen. In Vitrinen sind Ausgaben der „Allgemeinen Homoeopathischen Zeitung“ von 1832 ausgestellt. Die Publikation wurde damals in Köthen erstmals herausgegeben. Daneben liegen Aufzeichnungen von Hahnemann, klein geschrieben mit schöner Handschrift. Fast andächtig stehen Besucher davor.

Der Rundgang durch das Hahnemann-Haus endet im schmalen, langen Garten. An seinem Ende ist die neue Laube zu sehen – als Ersatz für die ursprüngliche, in der Hahnemann gern gesessen und einige seiner Bücher geschrieben haben soll.

Hahnemanns Thesen waren umstritten. Vor allem, nachdem 1833 das erste homöopathische Krankenhaus in Leipzig eröffnet hatte, tobte ein Glaubenskrieg. In schärfster Form nahm Hahnemann Stellung gegen jeden Versuch, die dortige Praxis nach seiner Lehre mit herkömmlichen Methoden wie Aderlass oder Abführmitteln zu verbinden.

Gleich neben dem Garten befand sich zu seiner Zeit das Spital des Klosters der Barmherzigen Brüder, in dem Hahnemann auch Kranke behandelte. Inzwischen ist das historische Gebäude aufwendig renoviert und 2009 als Europäische Bibliothek für Homöopathie wiedereröffnet worden. „Unsere 3500 Bücher zum Thema Homöopathie und Medizin sind für jedermann zugänglich“, erklärt die Bibliothekarin Sabine Radtke. Das „Organon der Heilkunst“, Hahnemanns Grundlagenwerk, liegt in Köthen sogar auf Japanisch und Urdu vor.

Dort erlebte er die große Liebe – eine Geschichte wie im Roman

Ansehnlich. Gegenüber dem Rathaus in der Köthener Altstadt steht die Jakobskirche. Samuel Hahnemann ging hier sonntags zum Gottesdienst.
Ansehnlich. Gegenüber dem Rathaus in der Köthener Altstadt steht die Jakobskirche. Samuel Hahnemann ging hier sonntags zum Gottesdienst.

© picture-alliance/ZB

In den 1960er Jahren gab es in der DDR nur noch 60 Homöopathen. Sie wurden mit Argwohn betrachtet, aber geduldet. Heute finden in Köthen Fortbildungen für homöopathische Mediziner statt. Es ist wie eine Rückkehr an den Ort des Ursprungs, denn der immer noch bestehende Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte wurde 1829 in Köthen gegründet.

Wer an Köthen zu Hahnemanns Zeiten denkt, muss sich den Ort als Residenzstadt des Fürstentums Anhalt-Köthen mit etwa 6000 Einwohnern vorstellen. Fürst Ferdinand holte Hahnemann als Hofarzt in sein Reich. Der hatte in Leipzig gerade Ärger mit den Apothekern und war froh, nun in Köthen uneingeschränkt praktizieren zu können.

Die Jakobskirche am Marktplatz hat Hahnemann wohl zum Gottesdienst aufgesucht. In ihrem Untergeschoss ist die restaurierte Fürstengruft mit den prunkvollen Sarkophagen zu besichtigen. Von der Kirche ist es zu Fuß nicht weit bis zum Rathaus, von dessen Turm sich ein Rundblick auf die Stadt und das Umland ergibt.

Im Zentrum sind viele Gebäude aus Hahnemanns Zeit erhalten. „Die Zahl der Besucher hat sich in den vergangenen fünf Jahren vervierfacht“, berichtet Christian Ratzel vom örtlichen Tourismusbüro. Viele der Gäste kommen wegen Johann Sebastian Bach. Der Komponist wirkte in Köthen als Hofkapellmeister. „Doch auch die Homöopathietouristen nehmen zu“, sagt Ratzel.

Nirgendwo in Deutschland lebte Hahnemann länger als in Köthen, insgesamt 14 Jahre, von 1821 bis 1835. Dort erlebte er die große Liebe – eine Geschichte wie im Roman. Die französische Malerin Mélanie d’Hervilly reiste extra von Paris nach Köthen, um sich vom damals schon berühmten Hahnemann behandeln zu lassen. Sie war 34, er 79 Jahre alt. Die beiden verliebten sich und heirateten. Die Trauung fand in Hahnemanns Haus in der Wallstraße statt. Danach zog das Paar allerdings nach Paris und unterhielt dort gemeinsam eine homöopathische Praxis mit prominenten Patienten. Auch Niccolo Paganini gehörte dazu.

Das Puppenspiel „Liebesperlen“ – als Anspielung auf die homöopathischen perlenförmigen Globuli – erinnert an die stürmische Liebesgeschichte des deutschen Arztes und der französischen Künstlerin. Außerdem haben die Köthener Hahnemanns Frau Mélanie einen gleichnamigen Kräuterschnaps gewidmet. In den Lokalen der Stadt wird er ausgeschenkt – und soll, so wird geworben, zahlreiche Leiden lindern.

Begraben liegt Samuel Hahnemann nicht in Köthen, sondern auf dem größten Friedhof von Paris: Père Lachaise. Doch sein Bett, in dem er 1843 in der französischen Hauptstadt starb, hat es über Umwege nach Köthen geschafft. Es bildet heute das Kernstück der kleinen Homöopathieausstellung im Apothekergewölbe von Schloss Köthen. (dpa, Tsp)

Daniela David

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