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Spiegelsaal. Nahezu unbeschadet konnte einer der zentralen Räume des Schlosses die Zeitläufte überstehen.

© Stefan Berkholz

Sachsen: Man reiche mir einen Federkiel

Das Barockschloss Gaußig in der Oberlausitz wurde mit Liebe zum Detail restauriert. Wer dort verweilt, versinkt in alten Zeiten.

Schmal schlängelt sich die Straße durch die hügelige Landschaft der sächsischen Oberlausitz. Ein paar Dörfer hier und da, nicht verträumt wirkend, sondern einfach nur verschlafen. Das Örtchen Gaußig passt dazu. Einen Gasthof gab es mal, aber das ist lange her. Welcher Tourist sollte hier anhalten? Bis zum Ende der Welt kann es nicht weit sein. Doch dann biegt man um eine Ecke – und da ist es: das Schloss. Wuchtig, in düsterem Beige steht es da, stumm und ein wenig trist, hinter einem stolzen Tor in einem stattlichen Park.

Ein einschüchterndes Trumm, um 1700 nicht unbedingt fürs Volk gebaut. Das soll ein Hotel sein? Der Besucher klingelt am Tor, wartet ein Weilchen. Dann ertönt eine Stimme, man erklärt sein Begehr – und wie von Geisterhand öffnen sich die Metallgittertore. Knirschend rollt der Gast mit dem Auto über Kies, ein kleiner Parkplatz ist ausgewiesen. Etwas beklommen schaut sich der Ankömmling um.

Um 1800 wurde das barocke Schloss im palladianischen Klassizismus umgestaltet. Auch die griesgrämig blickenden steinernen Löwen wurden damals auf ihre Sockel rechts und links der Treppe gehievt. Zwischen diesen beiden Figuren funktioniert das märchenhafte Sesam-öffne-dich nicht mehr. Der Besucher muss sich gegen die schwere Holztür lehnen, um sie aufzudrücken. Dann steht er drin – und ist verblüfft über die alte Pracht.

Gräfliche Gastgeber. Marlies und Andreas Brühl-Pohl.
Gräfliche Gastgeber. Marlies und Andreas Brühl-Pohl.

© Constanze Amador, promo

Dass man hier schwärmen kann, liegt an den Eigentümern, dem gräflichen Ehepaar Brühl-Pohl. 2005 haben die beiden das Anwesen gekauft und damit vor dem Verfall gerettet. „Wenn ich im Vestibül stand und hinaufguckte, sah ich den Himmel“, sagt Marlies Brühl-Pohl. Das Dach war halb eingestürzt. „Jeder Investor hätte gesagt: Finger weg“, pflichtet der Graf bei. Dabei war das Gebäude ziemlich unbeschadet durch die DDR gekommen.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs waren die damaligen Besitzer, die gräfliche Familie Schall-Riaucour, vor der herannahenden Roten Armee geflohen. Nach 1945 wurden sie im „Arbeiter- und Bauernstaat“ enteignet. Bald darauf wurde das Schloss als Erholungsheim für die Technische Universität Dresden genutzt. „Den Professoren sollte ein schönes Ambiente geboten werden, auch um zu verhindern, dass sie in den Westen gingen“, sagt Andreas Brühl-Pohl. Das Schloss war noch immer fast so eingerichtet, wie es die Schall-Riaucours verlassen hatten – recht spartanisch. In den ersten Jahren mussten die Akademiker Bettwäsche und Handtücher selbst mitbringen, und im Winter saßen sie in dicke Jacken gemummelt beim Tee. Die hohen Räume ließen sich kaum heizen. Duschmöglichkeiten waren beschränkt, es gab nur eine Toilette pro Etage.

Die vielen Farben der Zeit

Himmelbett. Solche Schlafstätten stehen in Zimmern und Suiten.
Himmelbett. Solche Schlafstätten stehen in Zimmern und Suiten.

© Marco Klinger, promo

Bis 1992 gehörte das Schloss der TU Dresden. Dann bekam der ehemalige Eigentümer sein Inventar zurück – vieles davon wurde später auf einer Stuttgarter Auktion versteigert und in alle Winde verstreut. Das Schloss blieb, nunmehr als leere Hülle, im Eigentum des Freistaates Sachsen. 1999 wurde es schließlich an eine irische Investmentgesellschaft vergeben. Geplant war die Umgestaltung zu einem „Business Club“. Doch in den folgenden sechs Jahren rückten keine Bautrupps an, selbst einfachste Sicherungsarbeiten unterblieben. Der Freistaat enteignete das Unternehmen und verkaufte das Schloss 2005 zu einem „symbolischen Preis“ an Andreas Graf Brühl-Pohl.

Ein Schlosshotel im englischen Stil sollte entstehen. „Wir wollten zunächst nur drei, vier Zimmer renovieren und sie als Bed & Breakfast führen“, berichtet der Graf. Aber auch dafür hätte man jemand einstellen müssen. So entschloss man sich „zur großen Lösung“ und sanierte das Objekt über drei Jahre hinweg komplett. Eine Heidenarbeit. „Das Parkett war mit Teppichen überklebt, man brauchte Tage, um einige Quadratmeter freizulegen“, erinnert sich die Gräfin. 150 Fenster wurden von Hand aufgearbeitet. „Heute ärgern wir uns, dass wir nicht mehr Fotos vom damaligen Zustand gemacht haben, aber es sah einfach zu schrecklich aus“, erzählt Marlies Brühl-Pohl.

Einen Architekten gab es nicht. „Wir hatten sehr gute Handwerker“, sagt die Gräfin. Menschen mit Ideen, die viel dazu beitrugen, dass Originales unter Tapetenschichten hervorgezaubert werden konnte.

Einige Zimmer nutzt die unter der Woche in Berlin arbeitende Familie privat. Dazu gehört der Bibliothekssaal mit einst rund 7000 wertvollen Bänden. Fest montierte Regale reichen dort rundum vom Boden bis zur Decke. Als die Brühl-Pohls das Schloss übernahmen, waren sie leer. Nun stehen wieder Bücher darin, auch wenn längst nicht alle Reihen gefüllt sind. „Wir hatten zu Hause so viele Bücher und keinen Platz mehr dafür“, erzählt Marlies Brühl-Pohl. „Aber dieses Schloss scheint einfach alle zu verschlucken.“

Die Privatgemächer der Familie bleiben den Hotelgästen natürlich verschlossen. Doch es ist ja so viel Platz im Schloss. Der anmutige Spiegelsaal kann durchschlendert werden, der Kaminsaal, der nicht enden wollende Flur im ersten Stock. 13 Zimmer und drei Suiten stehen zur Verfügung. Jeder Raum ist anders eingerichtet, mit wertvollen antiken Möbeln. „Wir haben auf den Dachböden unserer Familien gestöbert und Sachen gefunden, die hervorragend ins Schloss passen“, sagt Marlies Brühl-Pohl. Nur die Himmelbetten sind Nachbauten, die antiken wären schlicht zu kurz. Weinrot, senfgelb, tannengrün oder taubenblau sind die Wände in den Zimmern. „Jede Zeit hat ihre Farbe“, sagt der Graf. Und damit sie stimmig eingefangen wurde, hat man die Farben gleich in England bestellt, wo historisches Erbe akribisch konserviert wird. Auch die Badezimmer zeugen von Wanne und WC bis hin zu den Armaturen vom englischen Stil.

Die Gäste frühstücken gemeinsam an einer langen, weiß gedeckten Tafel im Kaminsaal. Auch abends ist hier fein eingedeckt. Gläser, Geschirr und Besteck, alles fügt sich ins Ambiente. Im Idealfall auch die Gäste, die gern elegant gekleidet erscheinen dürfen. Kinder unter zwölf Jahren sollten nicht unter den Schlossgästen sein. Auf der Website wird der Wunsch der Hausherren vornehm diplomatisch beschrieben: „Wir wissen, wie sehr Kinder dieses Alters einen legitimen Drang nach Bewegung, gepaart mit ganz viel Neugier haben und finden es schade, sie in diesem Drang bremsen zu müssen.“

"Dresdner und Leipziger wissen, was Luxus ist"

Schloss Gaußig im romantischen Winterkleid.
Schloss Gaußig im romantischen Winterkleid.

© Frank Neumann, promo

Als wir beim Frühstück sitzen, kommt der Weimaraner, der Jagdhund der Familie, freundlich angetrottet,schnuppert ein wenig. Und dreht sofort ab, als Frauchen ihn leise ermahnt.

Für ein privates Dinner zu zweit gibt es die Delfter Stube, ein kleiner, mit dunklem Holz vertäfelter Raum. Die fest eingelassenen blau-weißen Motivkacheln haben Jahrhunderte überstanden. Doch zwischen den Delfter Schmucktellern sind einige Haken leer. „Wenn ich irgendwo unterwegs einen schönen Teller entdecke, sehe ich ihn schon an der Wand und kaufe ihn sofort“, sagt die Gräfin. Geld spielt hier anscheinend keine Rolle, und auf die Frage, was die Sanierung denn gekostet habe, hüllen sich die Besitzer vornehm in Schweigen.

Lieber zeigt man seinen Stolz auf den herrlichen Park, in dem noch eine Christuseiche von 1450 steht oder eine Götterplatane von 1750. Man kann ahnen, wie prachtvoll der Park in Lila wirken muss, wenn erst die vielen Rhododendren blühen. Dabei war die grüne Oase durchaus ein kleines Problem. Denn nur der Außenbereich ist noch öffentlich zugänglich, rund ums Schloss bleibt der Park Hotelgästen vorbehalten. „Da lagen immer wieder Kippen und Unrat vorm Schloss, das ging nicht“, erklärt der Graf die Entscheidung. Die Bevölkerung habe das, nach anfänglichem Unmut, akzeptiert. „Viele hier in der Gegend besitzen ein Häuschen mit Garten und wollen auch nicht, dass Fremde einfach so durchspazieren“, verdeutlicht Brühl-Pohl. Dörfler hätten ihn dazu beglückwünscht, dass das Schloss nun wieder ein Juwel sei. „Sachsen war ja immer eher reich“, sagt er. „Vor allem die Dresdner und Leipziger wissen, was Luxus ist.“

Der Luxus im Schloss ist nicht protzig, sondern gediegen. Und er verändert den Besucher. Man schreitet langsam übers knarzende Parkett, verharrt – wie im Museum – vor dem einen oder anderen Gemälde, staunt über freigelegte Details aus verschiedenen Epochen. Nur die beiden hohen gewölbten Nischen in der Beletage mit ihrem stilisierten Mauerwerk wirken irritierend kitschig. „Das meinen viele“, sagt die Gräfin und lächelt vergnügt. „Aber es ist original Barock, wir fanden es genau so hinter einer vorgesetzten Wand.“ Und damit das jeder Gast erkennt, klebt – ganz dezent – ein erklärendes Schild daneben.

„Das Schloss ist alt, aber technisch ist es ein Neubau“, erklärt der Graf. Rohre, elektrische Leitungen – alles nach modernstem Standard installiert. Im Untergeschoss gibt es sogar einen Wellnessbereich. „Es war nicht einfach, ihn so zu gestalten, dass er zum Schloss passt“, sagt die Gräfin. Kühles Design oder romantischer Firlefanz verboten sich.

Selbstverständlich ist auch W-Lan überall im Gebäude verfügbar. Aber wer wollte hier Mails beantworten oder in die zerstreuende Welt des Internets tauchen? Man reiche mir einen Federkiel, möchte man flüstern und sich ganz tief in die Vergangenheit fallen lassen. In jene Zeit, als König Friedrich August III. hier nächtigte. Seine „Suite du Roi“ kann übrigens auch gebucht werden.

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