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Vom Wasser aus bietet sich mal eine andere Perspektive. Wohnhäuser an der Havel am Mühlenkontor in der Stadt Brandenburg.

© Jens Wolf, Picture Alliance

Schiffsausflug in Brandenburg: So viel Himmel über der Havel

Ein Weinberg schwebt vorbei, Gärten, immer wieder Kirchtürme: Eine Dampferfahrt von Tegel zur Stadt Brandenburg verzaubert.

Ein Hauch von Kreuzfahrt stellt sich ein, als die „Havelstern“ um 8 Uhr früh von der Greenwichpromenade in Tegel ablegt. Das Durchschnittsalter der Mitreisenden entspricht in etwa dem bei Flusskreuzfahrten (60 plus), ebenso die Gelassenheit und die Erwartung: zwölf Stunden an Bord, eine gute Stunde Landgang in der Stadt Brandenburg. Es gibt viel zu sehen, niemand wird überfordert.

Die kundige Bordansage vom Band schlägt den Bogen vom Humboldtschloss in Tegel zur reformpädagogischen Schule auf der Insel Scharfenberg. Backbord (für Landratten: links) starten und landen die Jets – immer noch! – im Minutentakt. Davon ahnte Fontane freilich noch nichts. Aber ansonsten kann man seine „Wanderungen“ getrost als Reiselektüre zur Hand haben.

Spandau zeigt sich dem Kreuzfahrer gegenüber abweisend: Weil eine der Havel- brücken zu niedrig ist, heißt es: Oberdeck bitte räumen – bis Gefahr für Leib und Leben vorüber ist. Dafür steht die Schleuse an der Zitadelle einladend offen, als habe sie nur auf die „Havelstern“ gewartet. Natürlich hat Fontane zu allem etwas parat: zur Zitadelle, zur Nicolaikirche und schließlich, als das Schiff die Unterhavel erreicht hat, auch zur Halbinsel Schildhorn. Eine Reise – tausend Jahre rückwärts – beginnt.

Albrecht der Bär hatte Brennibor, so hieß das Reiseziel Brandenburg früher, erobert und die heidnischen Wendenheere zurückgedrängt. Der Wendenfürst Jaczko sammelte seine Getreuen zum letzten Kampf, unterlag und floh samt Pferd in die Havel. Angesichts des drohenden Untergangs „warf das Herz des Wendenfürsten die alten Heidengötter von sich und die Hand, die den Schild hielt, hoch gen Himmel erhebend, rief er den Gott der Christen an...“ Selbstverständlich wurde er gerettet, und der Name Schildhorn war geboren. Dass die Legende bis heute lebt, erfahren die Kreuzfahrer später im Brandenburger Dom.

Die Zeitreise geht weiter: Wannseevilla, Liebermann-Villa, Glienicker Brücke, Potsdam. Auf dem Templiner See weht den Passagieren der Hauch des Kalten Krieges entgegen. Der See war das letzte große Hindernis bei der Fertigstellung des Berliner Eisenbahn-Außenrings, und dieser wiederum war die verkehrstechnische Voraussetzung zur Abriegelung West-Berlins. So wurde wenige Jahre vor dem Mauerbau mitten durch das Gewässer ein breiter Bahndamm aufgeschüttet. Fazit: Zur geteilten Stadt gehörte auch ein geteilter See. Der Blick zurück auf Damm und Plattenbauten ist Fontane glücklicherweise erspart geblieben.

Mit Caputh erreicht das Schiff wieder liebliche Gefilde. Das schön herausgeputzte Schloss blitzt hinter mächtigen Bäumen hervor. Einsteins Sommerhaus auf der Anhöhe ist hingegen nur zu erahnen. Auch hierum ranken sich Geschichten, zum Beispiel die des findigen Architekten der Fertighausfirma Christoph & Unmack in Niesky/Oberlausitz, der mit Einstein schnell handelseinig wurde – fast so schnell wie heutzutage nur die Mitternachtsnotare –, mit ihm gemeinsam das Haus plante und es sicherheitshalber vor der Lieferung zur Probe schon einmal aufgebaut hat – offenbar erfolgreich, denn es hat die Jahrzehnte überdauert.

Als das Schiff hunderte Meter später auf die weite Fläche des Schwielowsees sticht, kommt Meeresstimmung auf. Es stürmt, und die Wellen klatschen an die Bordwand. Zitat Fontane: „Der Schwielow ist gutmütig…; aber wie alle gutmütigen Narren kann er heftig werden…, und dann ist er unberechenbar.“ Genauso unberechenbar wie das Fontane noch unbekannte gleichnamige Resort am Westufer, das vom unrühmlichen Abgang eines Parteivorsitzenden bis zur Inhaftierung, Verurteilung und vorläufiger Freilassung seines Bauherrn schon etliche Turbulenzen erlebt hat. Die „Havelstern“ meistert die maritime Herausforderung, folgt dann der Havel und steuert wenig später auf eine Fata Morgana zu: Ein Weinberg schwebt über dem Wasser. Sauber und frischgrün stehen die Rebstöcke in Reih und Glied. Rechts daneben ein (neu-)gotischer Kirchturm. Cochem? Meißen? Falsch: Werder. Der Wachtelberg mit dem nördlichsten Weinbaugebiet Europas lässt grüßen und südliche Gefühle aufkommen.

Hinter Werder – der halbe Weg ist geschafft! – taucht das Schiff in eine märchenhafte Flusslandschaft ein. Mal weitet sich die Havel zum See, verengt sich wieder, umfließt grüne Inseln, bildet Verzweigungen und unzählige Buchten. Wie gut, dass der Kapitän bei dem Wirrwarr an Wasserflächen den Kurs nicht verliert!

Weil es kaum Deiche gibt, schweift der Blick vom Oberdeck ungehindert über das weite Land; über Erlenwälder am Ufer, Wiesen, Felder bis hin zu ziegelroten Kirchtürmen am Horizont. Wie ein Raumschiff aus einer anderen Welt gleitet die „Havelstern“ auf dem Wasser dahin. Am Ufer steht ein einsamer Traktor und erinnert den Städter an etwas, das völlig aus dem Blickfeld verschwunden ist: Autos. Keine Straße säumt das Ufer. Die einzigen Geräusche sind das dezente Brummen des Schiffsdiesels und die krächzenden Schreie der Wasservögel.

Damit die Idylle nicht überhand nimmt, lohnt sich hinter Ketzin ein Blick nach links: Ein kleines Hafenbecken, eine Hügelkette – und schon wieder grüßt die Ost-West-Geschichte. Hier ließ das eingemauerte West-Berlin gegen Devisen seinen Müll auftürmen. Jetzt wächst im wahrsten Sinne des Wortes Gras über die Vergangenheit.

Beim Dörfchen Klein-Kreutz biegt das Schiff in den Brandenburger Stadtkanal ein. Der Verkehr auf dem Wasser ist spärlich: Die eine oder andere Jacht und ein paar polnische Frachtschiffe aus Breslau oder Bromberg. Noch mag man nicht an die vorhergesagten Warenströme auf der Elbe-Havel-Wasserstraße glauben. Und so taucht statt eines Containerstapels die Spitze des Brandenburger Doms auf. Das Fahrtziel ist zum Greifen nahe.

Aber erst einmal entfaltet sich dem Schiffsreisenden das beeindruckende Panorama der einstigen Hansestadt Brandenburg: Von links nach rechts die Neustadt mit der mächtigen St. Katharinenkirche, dann die Altstadt mit dem Turm von St. Gotthardt. Und schließlich, von Bäumen versteckt, als wolle sie bescheiden im Hintergrund bleiben, die Dominsel, die Keimzelle der Mark Brandenburg. Kein Plattenbau verstellt das Panorama der drei Stadtkerne. Am Ufer geht es beschaulich zu: Ein Kremser wartet (nicht vergeblich) auf Fahrgäste; ein Fischrestaurant bietet Selbstgefangenes an. Fontane wär’s zufrieden...

Zum Landgang bleiben 70 Minuten. Zeit genug, eine Runde durch die Jahrhunderte zu drehen: über den Neustädtischen Markt, an dem eifrig gebaut wird, zum Rathaus mit Roland und schließlich zur Dominsel, die durch das Domgymnasium samt Grundschule zu neuem Leben erwacht ist. Die Erhaltung des Brandenburger Doms bereitet bis zum heutigen Tag Probleme, weil er auf den Resten einer Slawenburg gebaut wurde. Und dieser Untergrund gibt manchmal nach... Jaczko lässt grüßen.

Um die Rückfahrt zu verkürzen, nimmt das Schiff die Route über Paretzer Kanal und Schlänitzsee, passiert die Schlösser Marquardt und Cecilienhof – Potsdamer Konferenz! –, bevor es wieder in vertraute Berliner Gewässer gelangt. Als Schildhorn auftaucht, denkt man nicht nur an die Legende von Jaczko, sondern auch an seine späte Rache – siehe oben. Offenbar kann eine Bekehrung mit drastischen Mitteln am Ende sehr teuer werden... Mit dieser humanistischen Einsicht passiert der Reisende die Schulfarm Scharfenberg und das Schloss der Humboldt-Brüder. Ankunft an der Greenwich-Promenade. Der Reisende verlässt das Schiff – und kehrt zurück in die Gegenwart.

Die kleine Reise auf der „Havelstern“ findet bis zum 27. August immer montags statt. Fahrpreise: einfach 23, hin und zurück 28 Euro. Essen an Bord sollte vorab bestellt werden (14 Euro). Die Fahrten können online gebucht werden (sternundkreis.de) oder telefonisch unter Telefon: 030 / 536 36 00

Roland Künzel

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