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Wenn er könnte, würde sich dieser Mann am Strand der tunesischen Insel Djerba vermutlich gern ein paar Touristen angeln.

© Uli Schulte Döinghaus

Stille Tage in Tunesien: Wechselnd bewölkt

Djerba lebt von Touristen. Den Fortgang der Revolution in Tunesien sehen die Menschen dort gelassen.

Das Dutzend Männer trägt korrekte Radfahrertrikots, buckelt gegen den Wind über den Lenker, man ruft sich was zu. Winterspeck lappt über, und im sehr eiligen Wechsel wechselt jeweils der Spitzenmann in den Windschatten. Ächz. So metern die älteren Herren dahin über die flache, gut asphaltierte Straße auf Djerba, die in Sichtweite des Strandes zur Blauen Lagune an der Ostspitze der Insel führt. Der Berliner Tourist, der da oben im Bus die da unten auf dem Rad beneidet, fragt abends in seinem renommierten Prachthotel nach einem Mietfahrrad und muss sich nach einigem Hin und Her mit einer Art klapprigem Kinderrad begnügen. Ächz.

Die Geschichte könnte illustrieren, wie es Djerba einerseits noch nicht gelingen will, das Image von der tunesischen Badeinsel abzuschütteln, auf der sonst wenig im Angebot ist – etwa für Radler, die sich schnell, gesund und speckmindernd über die hübsch platte Insel bewegen möchten. Solche Einsichten kommen übrigens nicht unbedingt nur von den Touristen selbst, sondern auch von verantwortlichen Einheimischen. Erst neulich klagte der Vizepräsident des Hotelierverbandes, Ridha Taktak, in „La Presse de Tunesie“, dass in konkurrierenden Urlaubsgebieten wie Ägypten, Griechenland oder der Türkei fürs gleiche Geld oft mehr geboten werde als in Tunesien.

Andererseits sind die Voraussetzungen in Tunesien günstig, und erste Ansätze sind da, um dem Insel-Image einen positiven Ruck zu geben. Djerba scheint sicher. Bisweilen übertrieben sicher, wovon Strandspaziergänger berichten können, die sich in der Dämmerung in den Sonnenuntergang bewegen. Sicherheitsleute verscheuchen jeden, der sich zu nahe auf die Hotelanlagen zu bewegt.

Djerba zeigt sich von den postrevolutionären Unruhen unberührt, die vor Wochenfrist die Hauptstadt und einige größere Städte auf dem Festland erschütterten, nachdem der Oppositionsführer Chokri Belaïd ermordet worden war. Auch der Selbstmord-Sprengstoffanschlag von 2002 bei der al-Ghriba-Synagoge im Dorf Erriadh, als 19 Menschen getötet wurden, bleibt weithin unerwähnt.

Wer im Tourismusgeschäft sein Brot verdient – und wer täte das auf Djerba nicht? –, beeilt sich, Gelassenheit zu vermitteln. Kritisches Interesse am zivilen Fortgang der Revolution, gewiss. Doch die Gäste haben Vorrang, sagt etwa Lajid Lamine, dem das gut frequentierte Fischrestaurant Lagune Saguia im Südosten der Insel gehört. Fast notorisch schimpft er auf die Journalisten: „Vor der Revolution haben sie nichts geschrieben und jetzt übertreiben sie es!“ Und er fügt etwas rätselhaft hinzu: „Sonne ist wichtiger als Öl.“

Umtriebe kommen und gehen, aber Stinkefüße bleiben

Slimane Sakal aus dem Töpferdorf Guellala sieht die Situation im Land gelassen.
Slimane Sakal aus dem Töpferdorf Guellala sieht die Situation im Land gelassen.

© Uli Schulte Döinghaus

Ähnlich gelassen gibt sich Slimane Sakal, der abseits des Töpferdorfs Guellala teils mannshohe, teils armlange Töpfe, Vasen und Amphoren herstellt und auch Touristen in das Formen und Brennen der Tonerzeugnisse einführt. Ihm und seinem Bruder sei besonders daran gelegen, die Hotels mit seinen Produkten zu beliefern – und die seien nun mal von den Touristenströmen abhängig. Aber er sei selbstverständlich froh, dass vor zwei Jahren das alte Regime gestürzt worden sei, sagt er und bespringt den Tonschlamm unter seinen Füßen, als wär’s eine Traubenernte. Die Zuschauer sind beeindruckt.

Auf Djerba weilen zu dieser Jahreszeit viele europäische Gäste im Rentenalter. Sie überwintern hier. Es ist kühl und sonnig, das Leben ist angenehm und wird mit reichlich seniorenfreundlichen Thalasso-Angeboten unterstützt, einer Gesundheitskur aus Meerwasser, Meeresluft, Sonne, Algen, Schlick, Sand und Knetmassagen. Das Einzige, was der Endsechziger Urs aus der Schweiz zu bemängeln hat, ist das, was wohlhabende eidgenössische Senioren auf der ganzen Welt jenseits der Berge stets beklagen – die öffentliche Arbeitsmoral. Die sei vor wie nach der Revolution unverändert zweifelhaft, sagt er.

Kopfschüttelnd spaziert er weiter, ohne dem Strandverkäufer Abdul auch nur ein Gramm Amber abgekauft zu haben, wo der doch so gut gegen „Stinkefüße“ sei – was der schnauzbärtige Abdul übrigens in perfektem Deutsch formuliert. Die Revolution vor zwei Jahren habe er natürlich begrüßt, und das Attentat auf Chokri Belaïd sei schändlich, aber all das habe sich gottlob nicht auf seine Geschäfte ausgewirkt. Und er sagt das wie einer, der weiß, dass revolutionäre und konterrevolutionäre Umtriebe kommen und gehen, aber Stinkefüße bleiben.

Der gedankliche Sprung zu der kultivierten Ex-Anwältin Isabelle Planchon scheint gewagt, ist es aber nicht unbedingt, weil ihr Geschäft mittelbar auch mit der Revolution zu tun hat. Gemeinsam mit dem Architekten Gérard Gridelet führt die Belgierin das Gästehaus Dar Bibine, ein ehrgeiziges Designprojekt inmitten des alten jüdischen Quartiers in Erriadh, südlich der Inselhauptstadt Houmt Souk. „Ich bin überrascht!“ Bisher seien Absagen europäischer Gäste ausgeblieben, sagt sie am Tage von Unruhen und Streikaktionen in Tunis, über die in Europa ausführlich berichtet wurde. Ihr Geschäft gehe überraschend gut.

Die Belgierin Isabelle Planchon kann sich über einen Mangel an Gästen aus Europa nicht beklagen.
Die Belgierin Isabelle Planchon kann sich über einen Mangel an Gästen aus Europa nicht beklagen.

© usd

Vor der Revolution, sagt Isabelle Planchon, sei es höchst mühsam gewesen, private, eher staatsferne Hotellerie für gehobene Ansprüche zu betreiben. Fünf Angebote dieser Art habe es vorher gegeben. Heute, nachrevolutionär, seien es abseits der massenkompatiblen Hotelanlagen rund 150 private und anspruchsvolle Gästehäuser, die sich an überlieferte morgenländische Wohnkultur anlehnen und abendländisches Nobeldesign integrieren, mitunter ein wenig prätentiös. Selbstverständlich liegt auf den arabischen Sitzkissen das In-Magazin „Elle Décoration“ dekorativ herum, und zwar in der streng komponierten Anordnung des wie Zufälligen. Mit Erfolg.

Buchstäblich blendend und faszinierend ist es, in zwei, drei Metern Höhe über das Flachdach des Dar Bibine von Zimmer zu Zimmer zu balancieren, immer auf der Hut vor einem falschen Tritt, der einen in den kleinen, ebenerdigen Pool plumpsen ließe. Oben gibt es einen Blick über die grellweiße Dachlandschaft des Dorfes Erriadh, die sich hart gegen das Blau des Himmels konturiert und die von den allfälligen, kindshohen Halbkuppeln der Wohnhäuser überragt wird. Unten spazieren Passanten über die Rue de Palestine, eine typische Mischung aus Touristen, säkular gekleideten einheimischen Männern und Frauen, die vom Französischen ins Arabische wechseln, Männern in Abas (Umhängen) aus Kamelhaar und vermummten Frauen, die sehr vereinzelt Lasten auf dem Kopf balancieren.

Schließlich – siehe da! – saust sogar ein touristisch wirkender Radfahrer auf einem schnittigen Velo vorbei, verschwindet hinter einer Häuserecke. Voilà, ein Trendsetter? Offenbar einer, der es sogar auf Djerba zu mehr als einem klapprigen Kinderfahrrad gebracht hat.

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