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Fein geflochten. Die Korbverkäuferin wartet auf Kunden. Foto: Vario Images

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Reise: Stolz hat Kraft

Die Kalinago, Ureinwohner auf Dominica, lieben ihre Heimat – und feiern sie ausgiebig

Die letzten Passagiere besteigen nach Festumzug und viel Rumpunsch etwas erschöpft, aber glücklich ihr schneeweißes Kreuzfahrtschiff. Derweil versinkt im Karibikmeer um die kleine grüne Insel Dominica allmählich die Sonne. Die Insulaner tanzen am Pier und in den engen Straßen des Hauptstädtchens Roseau noch bis in die Nacht. Denn für sie ist der Karneval längst nicht vorbei. Echte Kariben feiern eben auch am Aschermittwoch noch – mit Musik, Sarg und Feuer.

Es ist stockdunkel. Wolken verhüllen Mond und Sterne. In der Ferne ist die Brandung zu hören, die sich tosend an der felsigen Steilküste im Osten Dominicas bricht. Die drei Männer gehen sehr vorsichtig. Sie sind Nachfahren der Ureinwohner, die vor knapp 2000 Jahren in Einbaumbooten von Südamerika auf die Inseln kamen. „Wir nennen uns nicht ,Kariben‘. Den Namen haben uns die Europäer gegeben“, sagt Masclam Frederick. Der 60-jährige Gelegenheitsmaler ist zwar arm, doch stolz auf seine Herkunft. „Wir sind Kalinago “, erläutert er.

In Salybia, dem Hauptort des „Carib Territory“, brennen nur noch wenige Lichter. Ein paar Kurven weiter ist ein Feuerschein zu sehen. Trommelklang ertönt. Eine Menschenmenge umringt das Feuer. Väter strecken ihre Kinder in die Höhe. Junge Männer springen über die Flammen. Bei der Zeremonie muss Vaval, der Geist des Karnevals, im Feuer sterben.

Gelbe Masken schimmern in der Nacht. Die symbolische Beerdigung der Puppe aus Stofffetzen wird nicht nur bei den Urkariben gefeiert, sondern auch im Inseldorf Dublanc im Nordwesten. Die Insulaner sind hier – anders als in Roseau – fast unter sich. Immerhin: Zwei Kleinbusse haben etwa zwölf Touristen von ihren Hotels zum Feuer gebracht. Auch den früheren Chief der Kalinago, Charles Williams, aus der nahen Siedlung Crayfish River treffen wir in der Menge. „Ich weiß nicht, warum Kolumbus mancherorts so gefeiert wird. Unser Volk war schon lange vor den Europäern hier, die uns so viel Leid zugefügt haben“, sagt er.

Auf vielen Karibikinseln kämpften die Ureinwohner tapfer gegen Spanier, Franzosen und Engländer. Doch sie hatten mit Pfeilen und Messern keine Chance gegen Gewehre und Kanonen. Ein kleines Stück Land durften die Kalinago auf Dominica behalten. Das wurde mit den Briten 1903 vereinbart. Doch an der felsigen Küste im Nordosten ist der Zugang zum Meer für die Fischer sehr schwierig.

Die „Caribindians“ (Karibikindianer), wie die Kalinago auch genannt werden, beginnen ihr Aschermittwochsfest nachmittags. Junge Leute tragen den Sarg mit Vaval über die Asphaltstraße, die sich durch die acht Dörfer der Ureinwohner schlängelt. Sie ziehen gemächlich mit vielen anderen „Trauergästen“ vorbei an Holzhäusern, von denen viele auf Stelzen stehen, vorbei an Bananenstauden, Bäumen, Hibiskus und Gestrüpp. Die kleine Parade vereint an diesem Mittwoch alle Hautfarben der Welt. Tiefschwarze Menschen, ein paar bleiche Touristen aus Japan und viele Insulaner mit bronze-brauner Haut und dunklen Haaren, die lang und glatt wachsen.

Die Nachfahren der karibischen Ureinwohner haben sich über die Jahrhunderte mehr und mehr mit den aus Afrika stammenden Menschen der Insel gemischt. Knapp 3000 Ureinwohner leben noch auf Dominica und ein paar hundert verstreut auf Trinidad, St. Vincent, St. Lucia und Kuba. Auch Arawaks, Amerindians, Ciboney und Taino zählen zu den Völkern, die vor der Eroberung durch die Europäer einen großen Teil der Karibik bevölkerten.

Der Aschermittwochszug führt auch am „Carib Territory Guest House“ von Charles Williams vorbei, der etliche Jahre Kalinago-Führer war. Bei den Wahlen von 2009 wurde er vom noch amtierenden Garnet Joseph abgelöst. Die Liste der dokumentierten Oberhäupter des Volkes geht bis ins Jahr 1800 zurück. Williams’ Gästehaus hat nicht viele Kunden: „Wir wünschen uns mehr Besucher in unseren Döfern, nicht allein Kreuzfahrtpassagiere, die nur zwei Stunden bleiben.“

Die Regierung in Roseau nimmt die Probleme der Urkariben heute ernster als noch vor einigen Jahren. Deren Kinder werden endlich besser bei Fahrten in die Schulen und bei der Ausbildung unterstützt. Etwas traurig meint Pfarrer Faustulus Frederick: „Wir waren ein großes Volk. Aber wer kennt uns heute noch?“

Auf alle Fälle besuchen heute mehr Touristen die Karibikdörfer als vor zehn Jahren. An manchen Tagen spazieren mehr als 200 Kreuzfahrttouristen durch Kalinago Barana Aute, das Kulturdorf direkt am Meer, das 2006 als Open Air Museum entstand. Dominica lockt auch mit Naturparks, Bergen, zahlreichen Flüssen, heißen Quellen, Papageien und der „Aerial Tram“. In Kabinen an Stahlseilen gondeln die Urlauber teils auf Wipfelhöhe durch den Regenwald.

Und auch die Bewohner Dominicas interessieren sich nun mehr und mehr für die Geschichte ihrer Insel. „Ich war noch nie im ,Carib Territory‘ “, erzählt eine junge Frau aus dem nur eine Autostunde entfernten Portsmouth im Nordwesten. Kalinago-Führerin Fatima Williams erklärt zwischen Mandelbaum, Klippen und schäumendem Meer die Bedeutung einiger Heilpflanzen, „die unser Volk schon seit Jahrhunderten verwendet“. Die 19-Jährige mit der helleren Haut und die ältere Insulanerin mit afrikanischen Vorfahren verstehen sich gut. Demnächst wollen sie gemeinsam Karneval feiern, erst in Portsmouth, dann in Roseau und am Aschermittwoch schließlich in den Kalinago-Dörfern.

Michael Würfel

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