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Das Leben – ein Kinderspiel. Auf Harbour Island sind auch Erwachsene meist bester Laune. Uhren sind überflüssig auf dem fünf Kilometer kurzen Inselchen.

© hemis/laif

Bahamas: Am South Beach ist es billiger

Baden, shoppen, staunen: Auf den Bahamas wird man leicht zum Insider, weil nette Einheimische die Besucher betreuen.

Laroma parkt ihren betagten blauen Toyota unter einer Palme und ruft fröhlich: „Angekommen: South Beach!“ Huch, in den Werbeprospekten der Bahamas sehen die Strände immer anders aus. Weißer und nicht so unaufgeräumt wie diese schmale Sandmeile. Am Tresen einer wackeligen Strandbaude sitzen drei Jungs mit Basecaps. Aus schief hängenden Lautsprechern scheppert Goombay, der karibisch-afrikanische Inselsound. „Cool and relaxing“ findet die Bahamaerin Laroma diesen Ort. Nicht immer sei es hier so ruhig wie an diesem Sonntagvormittag. „Vor allem sonnabends ist ’ne Menge los, junge Leute treffen sich, Familien kommen zum Picknick“, erzählt die 53-Jährige mit der burschikosen Cordkappe auf dem Kopf. So viele Alternativen haben die Bahamaer außerhalb der Hotelstrände nicht auf New Providence. Denn ihre Insel mit der Hauptstadt Nassau ist nur 35 Kilometer lang und 12 Kilometer breit.

Mit der Finanzangestellten Laroma wird man in Nullkommanichts zur Insiderin. Denn sie ist keine Fremdenführerin, sondern so eine Art Gästebetreuerin. Die Nassauerin will – wie etwa 400 andere Bewohner – interessierten Touristen „das wahre Leben und den Alltag“ auf New Providence zeigen. Und wenn eine Touristin sehen will, wo die Einheimischen ihre Küste genießen, dann fährt sie mit ihr eben zum South Beach. Seit gut dreißig Jahren schon gibt es das Programm „People-to-People“, das Besucher und Einheimische für einen Tag zusammenbringt. Wer sich darauf einlässt, bekommt ein anderes Bild von New Providence als tausende Kreuzfahrttouristen, meist Amerikaner, die sich durch die Bay Street, die Hauptstraße von Nassau zwängen. Bis zu sieben Riesenschiffe machen hier täglich fest.

Als hätten Zuckerbäcker als Architekten gewirkt, bestimmen weiße, rosa- und violettfarbene Gebäude das Stadtbild. Fein restauriert präsentiert sich britischer Kolonialstil am Parliament Square. Aber die hübschen Kulissen sind für viele Touristen zweitrangig. Sie wollen zollfrei einkaufen. „70 Prozent Discount für Kreuzfahrer“, lockt das Schild an einem Juwelierladen, mit „30 Prozent Rabatt auf alle Parfums“ wirbt das Nachbargeschäft. Für zehn Dollar gibt es gleich drei T-Shirts, und auch die geflochtenen Taschen und Hüte auf dem Straw Market, dem Strohmarkt, lassen sich auf erschwingliche Preise herunterfeilschen.

Der Handel floriert, die Sonne lacht, und selbst im Hafen leuchtet das Meer noch schön blau. Die Bahamaer sind zu beneiden. Laroma lacht, aber sie gibt zu bedenken: „Das Leben ist sehr teuer hier, viel teurer als etwa in Florida.“ Sie schlägt vor: „Fahren wir zu einem Supermarkt, dann sehen Sie’s selbst.“ Auf dem Riesenparkplatz des Megastores nimmt sich der Toyota bescheiden aus zwischen zahlreichen Pick-ups, Minivans und Landcruisern. Die Kunden, so scheint’s, kaufen allesamt für Großfamilien ein und müssen gigantische Kühltruhen füllen. Ob Cornflakes, Meatballs, Kartoffelsäcke oder Suppendosen, das meiste hat hier XXL-Format. Die Preise auch. „Klar“, sagt Laroma, „wir müssen natürlich alles importieren.“ Die Regierung ermuntere die Menschen deshalb, in ihren Gärten Gemüse und Obst anzubauen. Viele wüssten nicht, wie das geht, und deshalb gebe es neuerdings ehrenamtliche Helfer. „Die kommen sonnabends auf Wunsch vorbei und erklären zum Beispiel, wie man verhindert, dass die Schnecken die Salatköpfe fressen“, erklärt die Insulanerin.

Abseits des Zentrums, in der Mill Road, halten junge Männer am Straßenrand Telefonkarten hoch. Sind die billiger als im Laden? „Ich glaube nicht“, sagt Laroma. Die Leute versuchten nur, etwas Geld zu verdienen. Die Krise habe auch die Bahamas erwischt. Es kämen zwar so viele Kreuzfahrtschiffe wie immer, aber die Hotels seien schlechter gebucht. Manche seien jetzt geschlossen, und viele Angestellte ihre Jobs los. Die müssten sehen, wie sie über die Runden kommen. „Oft klopfen jetzt Menschen bei mir an und fragen, ob sie für ein paar Dollar die Fenster oder das Auto putzen sollen“, erzählt sie.

Als „Mittelklassegegend“ beschreibt Laroma ihr Wohnviertel zwischen Prince Charles Drive und Soldier Road. Knallbunt in Orange, Lila oder Pink sind viele Gebäude dieser Gegend gestrichen. Laromas Haus fällt in dezentem Grün ein bisschen aus dem Rahmen. Protzig ist es so wenig wie die übrigen. Ein bescheidener Salon, Küche, Bad, drei, vier Zimmer. Hier wohnt die Stadtangestellte mit ihrem Mann Dedley, einem Polizisten, und der 24-jährigen Tochter, die Jura studiert.

Wir kommen gerade richtig zum Mittagessen. Dedley holt Maiskolben und Kartoffeln aus dem Ofen, der Conchsalat steht frisch zubereitet im Kühlschrank. Conchs, das sind doch diese großen Meeresschnecken, deren rosafarbene Gehäuse überall als Souvenirs angeboten werden? Das Ehepaar nickt. „Wer sie kauft, kann in Europa Probleme bekommen. Die Tiere stehen unter Artenschutz“, erzählt die Besucherin. Artenschutz? Dedley ist erstaunt: „Bei uns gibt es tausende davon, so viele wie früher in meiner Kindheit, die werden doch nicht weniger.“ Er habe sogar schon gesehen, dass Straßenarbeiter mit den zerstoßenen Gehäusen Schlaglöcher verfüllten.

Die Bahamas gelten gemeinhin als Easy-Going-Islands. Was hat ein Polizist da groß zu tun? „Der Alltag ist schwieriger geworden in den vergangenen Jahren“, sagt Dedley. Viele Jugendliche wollten nur den schnellen Dollar machen, aber nicht mehr lernen und arbeiten. Es gebe eine wachsende Drogenkriminalität und sogar Morde, vor allem im Viertel jenseits der West Hill Road. Als er dort aufwuchs, sei es ruhig und nett gewesen. Nun sei aus der Gegend, die Einheimische schlicht „over the hill“ nennen, fast eine Art Slum geworden. Einige hundert Meter hinter dem ehrwürdigen kolonialen Graycliff Hotel wird die Armut schon sichtbar. „Abends sollten Sie dort besser nicht spazieren gehen“, warnt Dedley.

Downtown, im Zentrum, muss man sich nicht fürchten. Die meisten Touristen bleiben ohnehin in ihren Hotelanlagen, die Tag und Nacht Unterhaltung bieten. Das gilt einmal mehr für das Atlantis Resort auf dem vorgelagerten Paradise Island. Gleich zwei Brücken – mit Mautgebühr – verbinden Nassau mit dem Paradies-Eiland. Das Atlantis ist ein gigantischer Erlebnispark mit Strandanschluss, in dem man wohnen kann. 2355 Zimmer verteilen sich auf mehrere apricotfarbene Türme. Wildwassertouren sind auszuprobieren und Rutschen, die in gläsernen Rohren inmitten eines Haifischbeckens münden. Es gibt auf dem weitläufigen Resortgelände zahlreiche Restaurants, Diskotheken, Nachtclubs, Showtheater und ein Kasino, in dem man sich verlaufen kann. Niemand scheint sich daran zu stören, dass die deckenhohen Aquarien in einem Verbindungsgang auch nachts um vier Uhr noch hell erleuchtet sind, so, als müssten Fische niemals schlafen. „The show must go on“, lautet das Motto im Atlantis – und so müssen auch die Delfine täglich mehrmals ran.

Es gibt feinere Adressen auf Paradise Island. Den One & Only Ocean Club zum Beispiel, wo man Suiten im viktorianischen Stil buchen kann. Daniel Craig ist hier schon vorgefahren, im Bond-Film „Casino Royal“. Ist er auch – den feinkörnigen weißen Sand unter den Fußsohlen – mal ins Wasser gewatet? „Bestimmt“, sagt der Manager. „Die haben mehr als zwei Wochen am Ort gedreht.“ Wer hier logiert, hat wahrscheinlich eine goldene Kreditkarte. Unter 600 Dollar ist keine Nacht zu bekommen.

„Wenn Sie die Bahamas wirklich kennenlernen wollen, müssen Sie auf die Family Islands“, rät Dedley. Dort sei es noch wie vor 30 Jahren: mehr Platz, mehr Strände, mehr Muße. Laroma geht zur Landkarte an der Wohnzimmerwand und tippt auf verschiedene Inseln rund um New Providence. „Cat Island ist nett“, sagt Dedley, doch Laroma favorisiert klar Harbour Island. Ein fünf Kilometer langes Eiland vor dem nördlichen Zipfel der Insel Eleuthera. Nicht mal drei Stunden braucht „Bo Hengy II“ bis dorthin. Kaum hat man die Fähre verlassen, ist man schon verliebt. Auf Dunmore Town, das Inselörtchen, passt ein altmodisches Wort: beschaulich. Die Sonne bestrahlt die pastellfarbenen Holzhäuser, Uhren fehlen, Menschen schlendern. Oder sie sitzen in Elektrowägelchen, die sonst nur auf Golfplätzen herumfahren. Sogar wenn man das Gaspedal ganz herunterdrückt, bleibt’s beim gemütlichen Zuckeltempo. Mit so einem Zweisitzer fährt man dann zu einem Stück Bahamas wie aus der Werbung: „Pink Sands“. Ein Traumhotel mit einzeln stehenden Bungalows in herrlicher Parkanlage. Mehr als 25 Häuschen sind es nicht – und jedes hat viel Platz um sich herum. Freie Zimmer sind vorhanden, nur, wovon soll man sie bezahlen? La Toya, die patente Kellnerin in der blauen Strandbar des Hotels, hat Verständnis. „Es ist sehr teuer“, bestätigt die 32-Jährige. Und rät: „Wenn Sie etwas abseits vom Meer wohnen, finden Sie schon ab 70 Dollar eine Unterkunft.“ Die „Blue Bar“ könne man doch trotzdem genießen. In gehörigem Abstand lugen die Spitzen einiger Villen aus den Dünen. „Die gehören meist Ausländern, Amerikanern, Franzosen oder Deutschen“ sagt die Kellnerin. Schöne Anwesen. Sie lächelt. Kein Bahamaer würde diese Häuser haben wollen. „Denn wenn ein Hurrikan kommt, trifft er diese Küste mit voller Wucht.“

Ach, Hurrikan. Kann das Dasein schöner sein als auf Harbour Island? „Ich würde gern woanders hin“, sagt La Toya. „Wohin?“ – „Egal, nur weg.“ – „Warum?“ – „Auf unserer Insel kennt jeder jeden, schrecklich.“ Das würde man aushalten. Und an diesem rosafarbenen Strand liegen und weiterträumen: dass auch New Providence autofrei wird. Dass die Delfine aus dem Atlantis ins Meer ausbüxen können. Und dass sie am South Beach anständige Lautsprecherboxen installieren.

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