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Auf eigene Rechnung. Immer schon verkauften Bauern einen Teil ihrer Produktion privat. Nun, so fordert Rául Castro, soll das kapitalistische Marktmodell ausgedehnt werden.

© Miethig

Kuba: Der Comandante weiß von nichts

Wer noch originales Kuba erleben will, fährt mit dem Mietwagen durch den Westen der Insel, zu einsamen Stränden und offenen Menschen.

Saftige Ananas warten verlockend in einer Holzbude an der Piste entlang der Nordküste. Mmmh, que rico, lecker. Ich kaufe gleich vier Stück. Joaquín Pérez will keine der begehrten Devisen-Pesos namens CUC von der Touristin, er nimmt lächelnd den einheimischen „Peso cubano“ – und legt noch eine Ananas für die Blondine obendrauf. Undenkbar in Havanna, wo es mittlerweile in der Bilderbuch-Altstadt vor Schleppern, Taschendieben, Heiratswilligen und den immergleichen Zigarre schmauchenden „Fotomodellen“ auf Devisenjagd nur so wimmelt. Wer im Westen Kubas unterwegs ist und noch ein bisschen originales Kuba kennenlernen will, sollte sich mit Zeit, Geduld und ein paar Worten Spanisch kreuz und quer treiben lassen mit Abstechern in die tiefste Provinz – in nahezu tourismusfreie Zonen abseits der bekannten Trampelpfade in Las Terrazas, Soroa und Viñales.

Vamos – los geht’s – auf zwei der schönsten Straßen Kubas. Von Havanna zuerst holpernd über den Circuito Norte nach Westen bis San Vicente: eine herrlich zeitraubende Alternative zur schnurgeraden und perfekt asphaltierten A 4, der „autopista“ Havanna – Viñales. Die Panoramastrecke führt zwischen Meer und Cordillera de Guaniguanico entlang, beim Auf und Ab zwischen den Städtchen Bahía Honda und La Palma möchte man alle 100 Meter anhalten und Fotos schießen: üppig grüne Flusstäler und Palmenhaine, „guajiro“-Bauern und Obstplantagen. Ein guajiro mit Machete und ausgefranstem Strohhut lädt mich beim Plausch am Wegesrand ein – am Wochenende spielt seine Rentnerband im Touristen-Mekka Viñales.

Aber ich habe schon Ruhe und Faulenzen gebucht auf Cayo Levisa, einem Inselchen in Sichtweite vor Palma Rubia: eine Handvoll Bungalows an einem circa drei Kilometer langen Strand, begrenzt von dichten Mangroven. Tagesbesucher aus Havanna und Viñales zieht es hier zum Schnorcheln ans vorgelagerte Korallenriff. Am Nachmittag wird es einsam, nachts lassen sich nur die Jutías, katzengroße „Baumratten“, auf den sandigen Wegen zwischen den Cabañas blicken.

Das Städtchen Viñales, vor rund 15 Jahren noch ein verschlafenes Nest, ist heute an manchen Tagen regelrecht überschwemmt von Tagesausflüglern aus Havanna und Varadero. Immerhin: Die Häuschen strahlen in frischen Pastellfarben – der Tourismus scheint den rund 5000 Bewohnern gutzutun, kein Ort in Kuba hat mehr Privatpensionen, die „casas particulares“, mit Klimaanlage und Heißwasserduschen. Beides übrigens keine Selbstverständlichkeit in der kubanischen Provinz. Bisweilen „duscht“ man noch mit der Schöpftasse aus dem Eimer, dessen Wasser zuvor mit dem Tauchsieder erhitzt wurde. Rund um das bezaubernde Unesco-Tal von Viñales mit seiner Patchwork-Kulisse aus grünen Tabakfeldern und kupferrotem Erdboden ist jede Strecke attraktiv, aber die kaum befahrene Straße nach Guane ist der Knüller: Das schmale Sträßlein schlängelt sich mitten durch den urzeitlichen Jurassic Park, haarscharf vorbei an jahrmillionenalten buckligen Kalkbergen und zigtausenden Höhlen der Sierra de los Órganos. Es geht vorbei an sattgrünen Tabakpflanzen, palmblattgedeckten Hütten und „secadero“-Trockenschuppen für die Tabakblätter. Aus den Tälern ragen himmelhohe kerzengerade Königspalmen. Landwirte treiben ihre Ochsen mit lautem „hohoo“ über die Felder. In San Carlos wartet Fidel auf eine Mitfahrgelegenheit. Nein, nicht der alte Herr und einstige „Comandante en jefe“, nur ein Namensvetter, der 1979 in Halle in einer landwirtschaftlichen Kooperative gearbeitet hat. Sechs Monate DDR nur, aber Fidel schwärmt gleich los auf Deutsch: „Bier! Kartoffeln! Tanzen mit die deutsche Frau, jaaaaah!“ Fidels Freund pflanzt pfeilblättrige Malangas an, die mineral- und vitaminreiche Alternative zur Kartoffel. Er verrät seine Meinung zu den jüngsten Reformplänen von Staatschef Raúl Castro, wie die Landvergabe an Privatbauern: „Wir Kleinbauern haben nichts davon, wir haben nicht genug Maschinen, Düngemittel oder Leute. Wovon sollen wir das bezahlen – etwa von den Preisen, die der Staat uns zahlt?!“ Es klingt, als würde sich am Brachliegen von fast der Hälfte der Agrarfläche Kubas so schnell nichts ändern ...

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Eine Tramperin, die ein paar Kilometer weiter am Straßenrand steht, entpuppt sich als Agraringenieurin. Sie nennt einen der alltäglichen Gründe für den anhaltenden Pessimismus vieler Kubaner: „Einmal am Tag kommt der Bus nach Guane vorbei“, sagt Mirella, während wir im Schneckentempo über abenteuerliche Stahlbrücken rumpeln, „wenn er nicht kaputt ist oder wieder mal Benzin fehlt ...“ Der folgende 30-Kilometer-Abstecher ab La Fé musste einfach sein, obwohl die ungeheuerliche Piste mit den badewannentiefen Schlaglöchern allein schon fast zwei Stunden in Anspruch nahm: Wenn es schon ein nach mir benanntes 5000-Seelen-Kaff in Kuba gibt! Außer einer schmucken Kirche, einer Schule mit der kubanischen Flagge, dem Baseballstadion und jeder Menge Pferdekutschen gibt es nicht viel zu sehen. Aber das Nest hat ein eigenes Kino im typischen Betonklotz-Format. Und überraschend kontakt- und auskunftsfreudige Kubaner. Eine mitfahrende Mulattin erzählt bei unserer „Stadtrundfahrt“ von ihrer Tochter, die unbedingt ausreisen will: „US-Visa-Lotterie oder einen Ausländer heiraten – egal, Hauptsache raus!“

Von hier ist es nur noch ein Katzensprung auf die menschenleere Halbinsel Guanahacabibes, ein Unesco-Biosphärenreservat. Auf dem flachen Eiland rasten zwischen November und März tausende Zugvögel. Auf dem Weg zum Inselende stehen zwei kämpfende Zebu-Stiere auf der Piste. Was tun? Umdrehen? Eine Beule im Mietwagen durch die „toros“ riskieren? Aber die beiden kubanischen Machos sind vernünftig und weichen. Zweibeiner trifft man nur an der Bahía de Corrientes: In der weiten Mangrovenbucht hat sich das Bungalow-Hotel María La Gorda einen Namen als Tauchzentrum gemacht: mehr als 50 Tauchgebiete mit imposanten Wänden aus Korallen, Tunneln und Schächten, Wracks von spanischen Galeeren und einer Unterwasserfauna, die in der Karibik ihresgleichen sucht. Von der Nationalpark-Schranke bei Bajada sind es rund 60 Kilometer auf das letzte unwirtlich-karge Stück Kuba, gesäumt von mannshohen Kakteen, Meerestrauben an einigen verwaisten Stränden und dem kleinen Hotel Cabo San Antonio am westlichen Ende der kubanischen Welt – Mexiko ist rund 250 Kilometer entfernt, Havanna ganze 340.

Auf der Rückfahrt gen Havanna geht es schnurstracks nach San Diego de los Baños. Die Kleinstadt döst vor sich hin zu Füßen der Sierra de Güira mit Nationalpark. Bekannt wurde die Gegend aufgrund ihrer Rolle während der Kubakrise: In die Cueva de los Portales zog sich Che Guevara im Oktober 1962 mitsamt seinem Hauptquartier aus Havanna und 200 „compañeros“ zurück – aus Angst vor US-Luftangriffen. Am Eingang zur Höhle stehen einfache Cabañas auf einem „Campismo“ mit Betongrill und Spielplatz – den Peso cubano zahlenden Kubanern vorbehalten.

Berühmt ist San Diego aber für seine Heilbäder: Schon die spanischen Kolonialherren nutzten die Heilkraft des Río San Diego mit Kureinrichtungen ab 1891. „Ay mi madre“ (ach, du liebe Güte!), möchte man beim Besuch des Kurmittelhauses mit dem Schwefelgeruch ausrufen. Das „balneario“ erscheint wie aus einem sozialistisch-stalinistischen Albtraum: Ein Tunnelgang schraubt sich immer tiefer ins Erdinnere – das Katakomben-Thermalbad hätte auch gut in die Verfilmung von „1984“ gepasst. Die Angestellten sind furchtbar nett, offenbar ist ihnen der marode Zustand ihrer düsteren Badehöhle peinlich bewusst. Dafür sind die Anwendungen spottbillig, und die Gäste scheinen zufrieden. Massagen – elf Euro für Ausländer –, Fango und Wannenbäder für Unerschrockene gibt’s im skurrilen Kurhaus, Zigarren bei ... nennen wir ihn Alejandro. Der 67-Jährige demonstriert als alter „torcedor“ in seiner Hinterhofwerkstatt die Kunst des Zigarrendrehens – ohne Lizenz. Die hellbraunen Tabakblätter und die schönen Kisten samt Banderolen sind wie bei allen illegalen Schwarzmarkt-Offerten irgendwann beim Transport „vom Laster gefallen“. Ob Alejandros Zigarren dem echten aficionado tatsächlich so gut munden wie die weltberühmten Cohíbas und Montecristos aus den staatlichen Läden (dreimal so teuer), lassen wir hier mangels Sachkenntnis offen. Alejandro versichert: Alle „puros“ sind „hecho con amor“, mit Liebe gedreht.

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ANREISE

Von Berlin-Tegel zum Beispiel mit Air France über Paris nach Havanna für rund 880 Euro (im November).

EINREISE

30-Tage-Touristenkarte bei der kubanischen Botschaft in Berlin (22 Euro), Telefonnummer: 030/44 79 31 09/- 105, www.botschaft-kuba.de,

sechs Monate gültiger Reisepass und Auslands-Reisekrankenversicherung.

GELD

Für Ausländer gilt im Land die Währung CUC, Umtausch in Banken und Cadeca-Wechselstuben (1 Euro = 1,28 CUC).

UNTERKUNFT

Villa Cristal (99 Calle Rafael Trejo, in Viñales, www.rentroomvinales.com): ein privates Zimmer in einem Häuschen mit Garten, ruhig und sehr beliebt (früh buchen!; DZ 20 Euro).

Guanahacabibes:

Villa María La Gorda (140 Kilometer westlich von Pinar del Río, www.gaviota-grupo.com):

20 rustikale Cabañas und einige Hotelzimmer (Klimaanlage, Sat.-TV, Minibar), teils mit Meerblick (DZ ab 60 Euro mit Frühstück).

San Diego de los Baños:

Hotel Mirador, Stadthotel neben dem Thermalbad mit 45 einfachen Zimmern, gutes Grillrestaurant, DZ rund 30 Euro mit Frühstück, Internet: www.islazul.cu

MIETWAGEN
Rund 52 Euro pro Tag.

VERANSTALTER

Wikinger Reisen (Telefon: 023 31/90 46, www.wikinger-reisen.de) bietet eine 14-tägige Gruppenreise mit Radtouren und den Klassikern Soroa, Viñales, Trinidad und Varadero (ab 2298 Euro inklusive Flug und Halbpension).

Beim Kubaspezialisten aventoura (Tel.: 0761/2116991, www.aventoura.de) gibt es zum Beispiel ein zweiwöchiges Mietwagen-Hotel-Paket „Flexi Drive“ für zwei Personen ab 1360 Euro zuzüglich Versicherung.

Martina Miethig

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