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New York

© laif

USA: Warme Stiefel in Manhattan

Im Winter ist New York cool – und bitterkalt. Aber die meisten Attraktionen sind überdacht. Auch Kirchners "Berliner Straßenszene" in Lauders Galerie.

Mit der U-Bahn nach Chelsea. Aussteigen an der 23. Straße. Regen peitscht über den Asphalt. Wind zerrt am Schirm. Doch wir sind tapfer, denn wir haben es uns ausgesucht. New York City im Winter. Zugegeben, ein etwas unwirtlicher Ort zu dieser Jahreszeit. Doch der Besucher aus Europa wird entschädigt. Das Preisniveau ist erträglich, und die meisten Attraktionen der Stadt findet man ohnehin „indoors“, also überdacht. Vor allem in Museen und Galerien.

Zwischen 10. und 12. Avenue hat sich in den neunziger Jahren ein Kunst- und alternatives Einkaufsviertel etabliert, das wollen wir sehen. In dem lange verwahrlosten Quartier zeigen rund 200 Galerien zwischen alten Lagerhäusern und neuen Hotels überwiegend moderne Kunst. Wir streifen auch durch den Chelsea Market, im Gebäude einer ehemaligen Lebens mittelfabrik eingerichtet, mit einer überwältigenden Ansammlung von Restaurants und Feinkostläden. Neuester Hit: „Presidential Sweets“ – essbare Obama- Konterfeis in allen Variationen.

An der Ecke 11. Avenue dann – eher abweisend als einladend – ein Bau aus Stahl, Glas und Beton: Jim Kempner Fine Art. An den Wänden Warhol und Rauschenberg, im Raum Skulpturen von Charles Hewitt und Carole Feuerman. Und seit Neuestem: „Hope“, Robert Indianas lang erwartetes Gegenstück zu seinem Klassiker „Love“. Die 1,80 Meter hohe Stahlskulptur ist hier erstmals öffentlich zu sehen, nachdem sie im vergangenen August den Obama-Anhängern auf der Democratic National Convention in Denver gezeigt wurde. Bei Jim Kempner relativiert sich der Begriff „niedriges Preisniveau“ übrigens sehr schnell.

Dicht an dicht sind hier die Galerien, bis runter zu den Piers am Hudson, die allerdings längst zu Fernsehstudios um gebaut wurden oder zu Fitnesscentern. Klar: Während die Touristen Chelsea noch gar nicht richtig auf dem Plan haben, zieht die Karawane schon weiter. Kamen die Galerien in den neunziger Jahren aus Soho, so sind sie mittlerweile in der Lower East Side, der jahrzehntelang verrufenen Gegend zwischen East River und Broadway, zwischen Canal und Houston Street. Einst Armeleuteviertel, erste Heimat für Einwanderer, geht es mit dem Quartier steil aufwärts. Und mittendrin die Bowery. Hier waren Mieten niedrig und Morde alltäglich. Lange vorbei. Die Bowery ist hip.

Also, rein ins Taxi, ab zur Bowery. 10 000 maisgelbe Taxis lassen New York selbst an grauen Tagen leuchten. Sie sind günstig. Sie sind multikulti. Und bei Regen leider schwierig zu erwischen.

Unlängst ist das New Museum for Contemporary Arts von Chelsea in die Lower East Side gezogen. Ein 50-Millionen-Dollar-Neubau: sechs silbergraue Schachteln, leicht versetzt übereinander. Die Japaner Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa haben das Haus entworfen, Architekten, die sich für Bautraditionen, für Kontext, für die Lower East Side anscheinend nicht sonderlich interessieren. Der Bau ist im Grunde eine Vergewaltigung seines Umfeldes – und vielleicht deswegen ein Publikumsmagnet. Das „Wall Street Journal“ schrieb, der Zweck solcher Architektur sei es, „dich aus den Socken zu hauen“. Das immerhin gelingt.

Ein Spaziergang von der Bowery zum Broadway, von Soho nach Noho (South of Houston Street/North of Houston Street), führt vorbei an kleinen und feinen Geschäften oder auch der x-ten Filiale bekannter Handelsketten. Hier haben die Häuser noch Feuertreppen, und gusseiserne Säulen zieren die Fassaden.

Für ein Schälchen Heißes, nein, nicht zum erdrückend allgegenwärtigen Starbucks, sondern zu Le Pain Quotidien (38 East, 19. St. – und 16 weitere Standorte in New York), einer belgischen Kette ganz wunderbarer Cafés im Landhausstil. Brot, Kuchen, Kaffee – und der Kakao mit geschmolzener belgischer Schokolade!

Ein Tag muss fürs Museum of Modern Art (MoMA) sein. Die Beuys-Ausstellung läuft immer noch, „Dreamland“, eine Ausstellung zu Experimenten in der Architektur noch bis Mitte März. Die Kunstsammlung dieses in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Hauses umfasst mehr als 150 000 Werke. Man muss selektiv vorgehen – und sieht nie alles. Seit der Renovierung und Erweiterung 2004 verlangt das Museum of Modern Art 20 Dollar Eintritt. Das schmälert den Zuspruch nicht. Wer sich langes Warten ersparen will, bestellt die Eintrittskarten vorab im Internet – für ein bestimmtes Zeitfenster, zu dem man dann ins Haus gelassen wird. Freitags sind die Schlangen besonders lang. Denn nach 16 Uhr ist der Eintritt frei.

Queens – das Tempelhof New Yorks. Nicht nur, weil dort zwei Innenstadtflughäfen ihre Heimat haben – La Guardia und John F. Kennedy. Hier ist alles ein bisschen kleinstädtischer als in Manhattan. Die Mieten sind niedriger, und noch immer überragen die Kirchtürme die Häuser. Allerdings: Queens kommt in Mode, auch bei Investoren. Nur eine Station von Grand Central Station entfernt, durch den Tunnel unterm East River mit Manhattan verbunden, beginnt der Kleine-Leute-Bezirk. Ein Spaziergang führt schnell zur Public School No 1. Längst keine Schule mehr, sondern eine Außenstelle des MoMA, spezialisiert auf besonders frische Kunst der Gegenwart. Sehens- und begehenswert: der verblüffende Swimmingpool, eine Arbeit von Leandro Erlich. Praktisch: Mit einem MoMA-Ticket gibt’s freien Eintritt im P.S.1.

Sonntag. Sonnig, zugig, kalt. Die Subway-Linie 2 uptown nach Harlem. Die Abyssinian Baptist Church ist eine stolze und mächtige Gemeinde, die den Weg in diverse Reiseführer geschafft hat. Touristen willkommen! Das hat sich herumgesprochen. Fröstelnd stehen die Wartenden in langer Schlange um den Block. Vier Straßen weiter ein anderes Bild. Die Saint Philip’s Church auf der 134. ist kaum besser besucht als eine Gemeinde in Berlin. Aber wenn der Chor loslegt, erfüllt Gospel den Raum. Und ein Gemeindeglied lädt Neugierige ein zum Gottesdienst.

Mit dem Bus Richtung Downtown zur Upper East Side. 86. Straße, Ecke Fifth Avenue: eine prächtige Stadtvilla, einst Residenz von Mr. und Mrs. Vanderbilt III., jetzt die von Ronald Lauder finanzierte „Neue Galerie“ – Museum for German and Austrian Art. Hier hängt jetzt Kirchners „Berliner Straßenszene“, die bis 2006 im Brücke-Museum war. Verführerisch ist auch das Café Sabarsky im Hochparterre: ein klassisches Wiener Kaffeehaus mit Apfelstrudel, Einspänner und Wiener Tagespresse.

Vor ein paar Wochen wurde auf dem Times Square der neue TKTS-Schalter eröffnet. Zwei Jahre war die Kasse für reduzierte Tickets der Theater und Musicals geschlossen, nun hat sie mehr Schalter als zuvor. Vor allem aber hat sie eine Treppe: eine gläserne rote Treppe mit 27 Stufen, die ins Nichts führen, aber jedermann einen glanzvollen Auftritt auf dem Times Square ermöglichen. Bis nachts um eins kann man hier stehen, sehen und gesehen werden. Für die Karten allerdings steht man nicht auf der Treppe, sondern in einer Schlange, doch die bewegt sich zügig.

Zum Abschluss aufs Rockefeller Center. Satte 20 Dollar kostet der Zutritt zum „Top of the Rock“, der Aussichtsplattform in der 70. Etage, die – zugegeben – einen eindrucksvollen Blick bietet auf die Stadt, auf Central Park nach Norden und Empire State Building nach Süden. Fast 20 Jahre war die Plattform geschlossen, gut vier Jahre nach 9/11 wurde sie wieder geöffnet. Die nächtliche Skyline gibt’s aber auch warm und trocken aus der nur fünf Stockwerke tiefer gelegenen Rainbow Bar zu sehen. Die Auffahrt ist gratis, und für die 20 Dollar bekommt man dort ein Glas Wein nebst ein paar Erdnüssen.

Drei der schönsten Attraktionen sind weiterhin gratis: ein Bummel durch den Central Park, eine Fahrt mit der Staten Island Ferry (ideal bei Sonnenuntergang) und der Gang über die Brooklyn Bridge Richtung Manhattan (unbedingt im Dunkeln!). Aber bitte warm anziehen, im Winter, wenn New York nicht nur cool ist wie immer, sondern auch richtig kühl.

Christian Walther

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