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Reise: Verse über Hals und Kopf

Wandern wie der Dichter: Auf den Spuren von Hölderlin nach Frankreich.

Thomas Knubben, Kulturmanager aus Ludwigsburg, ging auf Hölderlins Spuren nach Bordeaux. Das klingt nach einer asketischen Fußreise, gekoppelt mit germanistischen Recherchen. Doch diese Tour ist eine vergnügliche Angelegenheit, jedenfalls für den Leser. Anfang Dezember 1801 war Friedrich Hölderlin nach Frankreich aufgebrochen. Er ging von Nürtingen aus über den Schwarzwald, Lyon und die Auvergne nach Bordeaux. Dort sollte er eine Stelle als Hauslehrer antreten. Lediglich vier Briefe und einige Gedichte legen Zeugnis ab von dieser Zeit. Eineinhalb Jahre später ist er zurück in Schwaben, „abgemagert, … gekleidet wie ein Bettler“. Was war vorgefallen? Diese Frage beschäftigt Knubben seit Jahrzehnten. Er hat alles gelesen, was zu Hölderlin und zu seiner Zeit in Frankreich veröffentlicht wurde. Knubben gelingt es, aus seinem immensen Wissen nur die wesentlichen Passagen in den Text einfließen zu lassen.

Er wandert ebenfalls im Winter los. Während alle Welt auf Jakobswegen pilgere, will er „das Land des Dichters mit den Füßen suchen“. Mit detektivischem Eifer recherchiert Knubben unterwegs und enthüllt nebenbei „die wirkliche Tragik in Hölderlins Leben“: Es wäre genügend Geld da gewesen, um sorgenfrei als Schriftsteller zu leben. Aber die pietistische Mutter rückte das Erbe nur Gulden für Gulden heraus. Und er korrigiert das Bild vom zerbrechlichen Dichter. Hölderlin war mit 1, 80 Meter ein stattlicher Kerl. Knubbens Recherchen ergeben, dass Hölderlin nicht die gesamte Strecke zu Fuß gegangen sein kann, einige Abschnitte in Frankreich muss er mit der Postkutsche zurückgelegt haben.

Knubben selbst schleppt sich über Berge und bewältigt die Mühen der Ebenen. Er will immer das Tagesgericht essen. Jeden Tag tut ihm etwas anderes weh, einmal erwischt ihn eine derbe Magenverstimmung.

Dynamik bekommt das Buch durch die Balance zwischen literarisch-wissenschaftlichem Schreiben mit Recherche und Hintergrund und den lakonischen Wanderpassagen. Wie viele Weitwanderer weiß auch Knubben kurz vor der Ankunft nicht, ob diese Erlösung, Erfüllung oder Enttäuschung bedeuten wird. Die Frage, warum Hölderlin so plötzlich zurück nach Deutschland kam, kann Knubben nach 53 Wandertagen nicht klären.

Knubbens Winterreise macht große Lust darauf, Hölderlin zu lesen, ein „Typ für die Masse“, dessen Werke man „auch mal locker am Strand lesen kann“, wie Harald Schmidt sagte, auch er ein Nürtinger. Besser noch: Losziehen und sich eine Hölderlin-Ausgabe in den Rucksack packen. Denn wie Knubben weiß: Hölderlins Verse sind aus dem Gehen geboren, sie lassen sich am ehesten im Gehen verstehen. O-Ton des Dichters: „Auf meinen Spaziergängen reim' ich allemal in meine Schreibtafel, ich mache wirklich über Hals und Kopf Verse.“Barbara Schaefer





— Thomas Knubben:
Hölderlin. Eine Winterreise. Mit einer Carte Itinéraire von 1806 auf der Innenseite. Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen 2011, 256 Seiten, 19,90 Euro

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