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Reise: Willkommen am Eisernen Tor

Der Donau-Radweg ist auch in Serbien komplett. Jetzt führt er bis zum Schwarzen Meer

Verzweifelt ringt Radko die Hände, rollt mit den Augen und stößt einen serbokroatischen Wortschwall hervor: Das muss doch irgendwie klarzumachen sein! Also – hat er zwei Jahre in Deutschland gearbeitet? „Dada, jaja.“ Und ist dort für die AEG auf so etwas wie hohen Strommasten herumgeturnt? Heftiges Nicken. Und von dem Geld hat er 1986 das Haus in den Hügeln über Donji Milanovac gebaut und auch den klapprigen Ford gekauft? Genau so, na endlich – freudestrahlend klopft der knochige Rentner dem Gast auf die Schulter und zündet sich noch eine „Classic“ an.

So könnte seine Geschichte zumindest gelautet haben – wenn die Gesten und wenigen deutschen Brocken nicht allzusehr trögen. Denn ganz so einfach ist die Sache mit der Unterhaltung nicht, wenn man in einer Gegend unterwegs ist, in der der Tourismus erst Fuß zu fassen beginnt und man bei Menschen übernachtet, die nur ihre eigene Sprache sprechen. Doch schließlich kommen die Familienfotos auf den Tisch, und Katze Maz will gestreichelt werden. Mit vielen gegenseitigen „dobra, dobra“-Komplimenten – für den selbst gebrannten Tresterschnaps, den wunderschönen Donaublick und die stolze Leistung der Radfahrer bei 35 Grad Celsius – stellt sich schließlich das Gefühl ein, einander ganz sympathisch zu sein. Dass sowohl die Politik, die die Menschen auseinanderbringt, als auch die Braunfäule, die den Tomaten im Garten zusetzt, von Übel sind – darauf können sich Radler und Rentner in diesem Stadium der „Unterhaltung“ ebenfalls schnell einigen.

Jedenfalls haben die Radfahrer ein sauberes Zimmer und freundliche Gastgeber gefunden, diese verdienen ein paar Dinar, und gerade das ist schließlich die erklärte Absicht, mit der die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) seit 2004 den Tourismus in der serbischen Donauregion fördert.

2888 Kilometer misst die Donau von der Quelle bis zur Mündung ins Schwarze Meer, 588 Kilometer davon liegen in Serbien. Den Donau-Radweg parallel dazu hat die GTZ zu ihrem wichtigsten Projekt erklärt und eben den zweiten Streckenabschnitt von Belgrad nach Bulgarien eröffnet.

Von der ungarischen Grenze führt der Weg zunächst durch die Weiten der Vojvodina, läuft über Dämme und durch vogelreiche Sümpfe nach Belgrad, wo freilich noch auf 100 Kilometer Länge die Schilder fehlen. Nach der mal quirligen, mal verschlafenen Hauptstadt ziehen Fluss und Weg träge zwischen Sonnenblumenfeldern dahin, golden steht der Weizen, dunkelgrün der Mais. Teppiche aus Wasserrosen überziehen die Buchten, morsche Boote dümpeln, Angler starren selbstvergessen auf ihre Schwimmer. Im Schilf schnarrt und schmatzt es, Bienen summen im Schatten der Walnuss- und Maulbeerbäume und draußen schiebt die „Karin III“ auf gleich zwei Schleppkähnen 50 Meter Kies vor sich her. Und hin und wieder lugt aus einem Park eine jener protzigen Villen mit griechischen Säulen und römischen Dächern, die so unübersehbar vom miserablen Geschmack ihrer wie auch immer reich gewordenen Besitzer künden.

Der Weg führt meist über kleine Teerstraßen, Autos kommen selten entgegen. Radfahren, weiß man spätestens jetzt, ist genau die Art der Fortbewegung, die dem stetigen, ruhigen Strömen des Flusses angemessen ist.

Wo immer Kreuzungen sind, weisen blau-weiß-rote Schilder den Weg. Neben der Richtung und der Entfernung zum nächsten größeren Ort haben sie fast immer auch eine Lebensweisheit parat: „Samo opusteno: dak koji sacuvate je vas sopstven“, rät etwa Tafel 400. „Take it easy: The breath you save is your own.“ Anderswo tröstet die Erkenntis: „Mitten in Serbien und kein Geld in der Tasche? Nimm’s leicht – so geht es den meisten Leuten hier.“

Verantwortlich für den hilfreichen Zuspruch auf den meisten der fast 300 Wegweiser ist Jovan Erakovic. Der 49-jährige Programmierer hat den Verlauf des Weges erkundet und festgelegt. Er hat Karten erstellt, an Broschüren mitgearbeitet und die Schilder entworfen. Zuvor hat der Weltenbummler mit dem unstillbaren Weltenhunger in Japan und Südafrika gelebt und auf zwei Rädern den indischen Himalaya erkundet.

Trotzdem ist er kein Rad-Fanatiker: „Radfahren ist nur eine Form des Reisens. Das Wichtigste ist das Reisen selbst. Reisen lehrt uns Toleranz – und die haben wir alle bitter nötig.“ Der Mann ist offenbar einer der besseren Botschafter seines Landes.

Etwa 120 Kilometer hinter Belgrad rücken die Ufer näher zusammen. Hier ist der Anfang des „Eisernen Tores“, jenes fast 100 Kilometer langen Streifens, in dem sich die Donau durch die Ausläufer der Karpaten zwängt. Grau und grün und bis zu 500 Meter hoch ragen die Felswände auf. Eine spektakuläre Gegend, fanden auch schon frühere Generationen: Im 14. Jahrhundert errichteten die Serben die immer noch imposante Festung Golubac, von deren acht Türmen später auch Türken, Ungarn und Österreicher den Fluss kontrollierten.

Mehr als ein Jahrtausend davor hatten bereits die Römer Löcher in den Fels getrieben, Bohlen hineingesteckt und einen hölzernen Galerieweg durch die Schlucht gebaut. Kaiser Trajan ließ diese Großtat auf einer immer noch vorhandenen Tafel festhalten. Vom rumänischen Ufer starrt grimmig Dakerkönig Dezebal herüber, Trajans großer Gegenspieler. Er brachte sich um, ehe er in die Hände der Römer fallen konnte. 1998 beschloss ein rumänischer Privatmann, dem Nationalhelden ein Denkmal zu setzen. 20 Alpinisten arbeiteten sieben Jahr lang daran, die 130 Meter hohe Figur aus der Felswand zu meißeln. 55 Meter hoch ist das Gesicht, sieben Meter allein die Nase.

Doch noch viel früher, schon etwa 6500 Jahre vor Christus, hatten sich die ersten Menschen an den Ufern niedergelassen. So viele Fische schwammen im Fluss, so viele Früchte gab es zu sammeln, dass sie das übliche Nomadenleben aufgaben und sich für 2000 Jahre ansiedelten. In Lepenski Vir entdeckte man die Fundamente der ersten dauerhaft bewohnten Dörfer Europas. Seltsam fremde Köpfe blicken den Besucher aus den Vitrinen des Museums an: Die Fisch-Mensch-Wesen waren die Götter, die unsere frühen Vorfahren verehrten.

Am Abend liegt die Donau flach geriffelt wie geschmolzenes Silber. Die Sonne gießt diffuses Licht darüber, an den Ufern lassen einzelne Badegäste den Tag am Grill ausklingen. Sanft surren die Räder, der warme Abendwind trocknet den Schweiß.

So menschenleer, so naturbelassen, so schön wird dieses abgelegene Stück Land nicht mehr lange sein. Drüben am rumänischen Ufer wachsen bereits die Pensionen in die Höhe. Geheimtipp Serbien? Zumindest Radko und seine Landsleute hoffen, dass es damit bald vorbei ist.

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