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Reise: Wo die Zarentochter flanierte

Schloss Belvedere bei Weimar wird von Besuchern oft übersehen. Zu Unrecht

Folgt man der schnurgeraden Allee stadtauswärts, steigt die Landschaft allmählich an, und nach einer nur viertelstündigen Busfahrt ist Schloss Belvedere erreicht. Eine Überraschung für die meisten Weimar-Besucher. Bekannt als Stadt der deutschen Klassik, gehören Goethe- und Schillerhaus zwingend zu den Besichtigungsstationen. Auch der Besuch von Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm verzaubert den Reisenden, denn er erlebt eine wunderbare Mischung aus kleinen Architekturen und gestalteter Natur. Doch Schloss Belvedere steht eher selten auf dem Besuchsprogramm. Zu Unrecht.

Im Bus sind mehr junge Menschen als erwartet. Darunter viele Japaner mit Geigen- oder anderen Musikinstrumentenkästen und -koffern. Die wollen allerdings kein Konzert im Schloss geben, vielmehr besuchen sie entweder das Musikgymnasium Schloss Belvedere oder die Hochschule für Musik Franz Liszt.

Der Besucher nähert sich seitlich dem barocken Komplex, der auf einer sanften Anhöhe über Weimar liegt. Vorbei am alten Gasthof und dem Dreiseithof mit dem Gymnasium ist bald der überraschend große Schlossplatz erreicht, der von je zwei Kavaliershäusern und zwei Uhrenhäusern in leuchtendem Gelb gesäumt ist. In der Mitte thront das Hauptgebäude, das Corps de Logis, das eine prächtige Laterne, also ein turmartiger Aufsatz, mit Umgang ziert.

Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar hatte sich 1724 ein Jagdschloss bauen lassen. Nach einem Besuch in Wien im dortigen Schloss Belvedere änderte er jedoch seine Pläne, ließ sein Belvedere umbauen und erweitern. Der Zentralbau wurde um zwei Flügel mit Durchfahrten verlängert, die jeweils in einen ovalen Pavillon mit Kuppel münden. Im Schloss, das von der Klassik Stiftung Weimar verwaltet wird, ist eine prächtige Porzellanausstellung zu bestaunen, die auch jene zu begeistern vermag, die sich normalerweise weniger für Tischgeschirr und Dekorationen interessieren.

Hier sind jedoch alle bedeutenden europäischen Manufakturen repräsentativ vertreten. Außerdem gewährt der Besuch der Sammlung herrliche Aussichten auf die Landschaft. Denn unter der Zarentochter Maria Pawlowna und dem Erbprinzen Carl August wurde der Schlossgarten ab 1815 in einen englischen Landschaftsgarten umgestaltet. So erstrecken sich gleich hinter dem Schloss Langgraswiesen, auf denen vereinzelte mächtige Bäume stehen. Alles ist eingebettet in eine liebliche, idyllische Landschaft mit Hügel und Tal.

Geradeaus am Schloss vorbei geht es auf die u-förmige Orangerie zu. Eine Arie klingt aus diesem, Violintöne aus jenem offenen Fenster. Die Studenten der Hochschule bescheren dem Spaziergänger wunderbare Hintergrundmusik, die zur Architektur und der idyllischen Landschaft passt. Beschaulichkeit herrscht oben auf dem Hügel: nur die Töne der Natur und – mit etwas Glück – die der musizierenden Studenten sind zu hören.

Im Hof der Ora3ngerie, die soeben ein neues Dach bekommt, stehen die Palmen und Agaven wie jeden Sommer. Sie vermitteln zumindest einen Hauch von höfischer Exotik. Doch wenigstens ebenso spannend wie das Schloss mit all seinen Nebengebäuden ist der Landschaftsgarten, dessen hohe Bäume in klassischen Sommern wohltuenden Schatten auf den Pfaden entlang dem Hügel spenden könnte. Eine elf Meter hohe Fontäne versprüht ihren und bringt kühle Erfrischung. Romantische Gefühle hingegen wecken eine künstlich angelegte Grotte und eine scheinbar mittelalterliche Ruine im Schatten hoher Tannen. Zur Ruine, die einem Bild von Caspar David Friedrich entsprungen scheint, gehört auch eine recht wacklig aussehende Steinbrücke, leicht überwuchert – es ist wohl ratsam, nur zu schauen.

Zum abwechslungsreichen Parkbild gehören auch eine Mooshütte samt Moosbassin mit fein sprühendem Springbrunnen. In einem Park dieser Art, noch dazu in Weimar, darf ein Gelehrtenplatz natürlich nicht fehlen – mit Steinbüsten von Goethe, Schiller, Herder und Wieland.

Langgraswiesen wechseln mit dichtem hohen Baumbestand. Die prächtige Allee aus 200 Jahre alten Linden bildet das Zentrum dieser Gartenanlage. Der Besucher spaziert hin und her, auf und ab, gewinnt ständig neue Ansichten und entdeckt immer wieder sanfte Eingriffe des Menschen in die scheinbar natürliche Landschaft. Hier vergeht die Zeit wie im Fluge.

Damit sich Maria Pawlowna wohlfühlte im fernen Weimar, hat ihr Großherzog Carl Friedrich gleich am Schloss einen Russischen Garten errichtet, der bis ins Detail an den Garten der Zarenfamilie in Pawlowsk bei St. Petersburg erinnert. Heckentheater und Irrgarten ergänzen diesen hübschen kleinen Komplex mit seinen überdachten Laubengängen.

Wer denkt, dass er in diesem Idyll einmal den deutschen Klassikern entronnen ist, irrt. Großherzog Carl August und Goethe hatten gemeinsame Freude an naturwissenschaftlichen Forschungen und so wurden besonders Orangerie und Gärtnerei zu neuem Leben erweckt. Auf 7900 in- und ausländische Arten brachte es der Botanische Garten, der hier um 1820 entstand.

Ein kleines Café am Rande des Schlossgartens und des Musikgymnasiums ermöglicht dem fußlahmen Wanderer heutiger Zeit ein wenig Erfrischung und Stärkung, kombiniert mit prächtiger Aussicht auf das moderne Weimar. Rolf Brockschmidt

Auskunft: Klassik Stiftung, Telefon: 036 43 / 545-401, -402, -403; der Park kann ganzjährig besichtigt werden, das Schloss von Anfang April bis Ende Oktober, täglich außer montags von 10 bis 18, im Oktober bis 16 Uhr. Eintritt fünf Euro. Übrigens: Mit der Bahn braucht man nur zweieinviertel Stunden von Berlin bis Weimar.

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