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Reise: Wo Füchse aus Eisen sind

Munster in der Lüneburger Heide lebt mit und von der Bundeswehr. Die Truppe wird von der Stadt auch touristisch vermarktet

„Guck mal! Rehe! Ausgerechnet hier!“ Ein „Sprung“ Rehwild, sechs Stück vielleicht, äst am Waldrand. In überschaubarem Tempo verziehen sich die Tiere zwischen den Eichen und Buchen, als nebenan ein Reisebus passiert. Hundert Meter weiter hält der Bus in einer Waldschneise, die Passagiere gruppieren sich vor einer mannshohen Landkarte des Truppenübungsplatzes Munster Nord.

Forstdirektor Werner Tünsmeyer, Chef des Bundesforstbetriebs Lüneburger Heide, berichtet jetzt davon, wie der üppige Wildbestand aus Anlass von Bundesjagden hier regelmäßig im Gleichgewicht gehalten wird und die Bundeskasse bei Freizeitjägern, die es dann für Geld krachen lassen dürfen, ordentlich abkassiert.

Die Hände in Thronfolger-Charles-Manier hinter dem Rücken verschränkt, die Dienstmütze, eine Art Entwicklungshilfeminister-Niebel-Gedächtniskappe, in die Stirn geschoben, auf den grünen Achselklappen drei silberne Forstdirektoren-Eicheln, erzählt der Mittfünfziger davon, dass hier kürzlich ein Wolf gesichtet wurde und dass immer häufiger die seltenen Birkhühner über die Schießbahnen des Truppenübungsplatzes fliegen.

Wenn im Wald nordöstlich der niedersächsischen Stadt Munster nicht eben Bustouristen vor einer Lehrtafel verharren und wenn nicht gerade Forstdirektor Tünsmeyer über die heimische Flora, Fauna und Forstwirtschaft referiert, dann rummst es rundherum gewaltig. Explodierende Geschossmunition reißt Krater in den Schießbahnen auf, Panzerketten zerwühlen das Gelände, Drohnen zischen durch die Luft. Kommandos, Gebrüll, Manöverspektakel! An solchen Tagen zieht sich das Wild in die Waldstücke hinter den Schneisen zurück, ansonsten entwickelt es sich prächtig – unbehelligt von Straßenverkehr, Touristenneugier, Landmaschinerie.

Zwei, drei Mal im Jahr ist diese unerwartete Eintracht zwischen Natur und Militär von jedermann zu besichtigen, wenn die städtische Munster Touristik zu Truppenübungsplatztouren einlädt. Die Touren sind schnell ausgebucht – Reservistengruppen sind zur kollektiven Erinnerung angetreten oder Männer, die ihren Frauen schon immer mal den Unterschied zwischen „Fuchs“ und „Marder“ erklären wollten. Der eine ist nämlich ein Transport-, der andere ein Schützenpanzer.

Wie solche Fahrzeuge über die Heide rumpeln, dieser Anblick bleibt den Bustouristen heute versagt beziehungsweise erspart. Dafür sind auf dem dreistündigen Weg durch die Truppenübungsplätze „Munster Süd“ und „Munster Nord“ zahlreiche Panzerskelette zu sehen, rostige Eisenungetüme, die im Manöverjargon „Hartziele“ genannt werden und Übungsziele abgeben. Zwischen ihnen erheben sich da und dort Beobachtungstürme, von denen aus die Herren Offiziere erkennen können, wie gut ihre Panzersoldaten Schrotthaufen vernichten können. Die „abgesessenen“ Panzergrenadiere trainieren derweil in der Übungssiedlung „Barbaradorf“ den Häuserkampf. Das Dorf, umzäunt von roh gezimmerten Zaunlatten, ist eine Ansammlung von eingeschossigen Siedlungshäusern und ausrangierten Stahlcontainern. Am sandigen Wegesrand, in perfekt zivilem Muscheldesign, steht etwas deplatziert eine Art Bushaltestelle.

Rund 2700 Heeressoldaten können in Munster-Nord und Munster-Süd gleichzeitig üben. Nebenan, in den Kasernen des Standorts Munster, sind bis zu 10 000 Soldaten stationiert, jeder dritte Bundeswehroffizier wird hier militärisch ausgebildet. Wahrscheinlich gibt es keinen deutschen Standort, an dem seit 120 Jahren so viele Soldaten gedrillt wurden. „Munster, wenn ich dein gedenk, dann zittert mir    das Kniegelenk“ war in einer Glasmalerei zu lesen, auf der sich Rekruten verschiedener Epochen über die Heide quälen.

Zwischen Dienstschluss und Zapfenstreich geht es auf den Straßen der 16 000-Einwohner-Stadt fast mediterran zu. Machokult. Ellbogen winkeln aus den Seitenfenstern von Autos, die an den Ampeln gerne aufbrettern. Die Fahrer lassen dazu Hardrock aus den Lautsprechern wummern. Die Munsteraner sind daran gewöhnt. Seit Generationen ist dieses Gemeinwesen eine Garnison voller junger Männer, um die herum sich eine Stadt gebildet hat. Eine Stadtentwicklungsgarantie kann aber auch die Bundeswehr nicht geben – links und rechts der Einkaufsmeile in der Innenstadt ist Leerstand, wo einst Läden und Kneipen wirtschafteten.

Als „ein erheblicher Wirtschaftsfaktor für die Stadt Munster“ lobt sich das munstersche Panzermuseum, in das durchschnittlich 400 Besucher täglich finden. In vier großen Hallen und auf einem Freigelände kann hier die Geschichte des modernen Landkrieges nachvollzogen werden und wie die Menschheit es im Laufe der vergangenen 100 Jahre verstand, Blutrünstigkeit beziehungsweise Wehrbereitschaft mit Hochtechnologie zu kombinieren. Auf sehr anschauliche Weise ist die museale Präsentation der Panzerwaffe zugleich ein Gang durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, übrigens auch durch die Skandalgeschichte des Rüstungswesens, für die in der Bundesrepublik der Name HS 30 steht. Bei der 500 Millionen Mark teuren Beschaffung von rund 2000 dieser Schützenpanzer sollen in den 50er- und 60er Jahren millionenfach Schmiergelder zu illegaler Parteienfinanzierung verwendet worden sein; Franz Josef Strauß war in die Skandalgeschichte ebenso verwickelt wie die Luxusprostituierte Vera Brühne. Das Ding sei ein gepanzerter Nichtsnutz gewesen, findet Hartwig Wunderlich. Der pensionierte Berufssoldat führt heute so kenntnisreich wie kritisch durch die Sammlungen des Panzermuseums – natürlich auch in die Halle 2 und zum Exponat des technisch und militärisch perfekten aktuellen „Skandal“-Panzers Leopard 2, dessen Verkauf an Saudi-Arabien derzeit debattiert wird…

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