zum Hauptinhalt

Reise: Wo Simone de Beauvoir Martini trank

Schon nach den ersten Seiten sind wir Simone de Beauvoir unendlich dankbar, dass sie dies alles aufgeschrieben hat. Dass sie sich täglich hinsetzte, um ein „Reisetagebuch“ zu führen.

Schon nach den ersten Seiten sind wir Simone de Beauvoir unendlich dankbar, dass sie dies alles aufgeschrieben hat. Dass sie sich täglich hinsetzte, um ein „Reisetagebuch“ zu führen. Aber wie hätte sie all die Eindrücke, die bald im Minutentakt auf sie einprasselten, sonst verarbeiten sollen? Eine überzeugte Pariserin fliegt nach New York. Im Januar 1947 sieht sie aus dem Flugzeug, wie das Wunder näher kommt: „Die Perlschnüre werden zu Straßen, die kristallenen Blasen zu Kandelabern: eine Stadt tut sich auf.“ Aufgeregt notiert sie: „Ich bin da, und New York wird mir gehören.“ Für drei Dollar nimmt sie ein Zimmer im Hotel Licoln, 44. Straße/8. Avenue, und täglich zieht sie los. Erkundet zu Fuß Viertel um Viertel, geht in Museen, staunt über luxuriöse Auslagen mit bunten Blumen, Nylonstrümpfen, Seidenkleidern. Sie wundert sich über all die Drugstores und noch mehr über riesige Sandwiches und große Becher Orangensaft.

Als Leser folgt man Beauvoirs Beschreibungen beinahe atemlos, schaut mit ihr begierig um die nächste Ecke, betritt einen Shop oder Frisiersalon, hört Jazz und ordert Martini. Wie herrlich es ist, eine Stadt zu entdecken. Wie New York damals aussah, zeigen eindrucksvoll im Buch verteilte Fotos von Andreas Feininger.

Doch Simone de Beauvoir schwelgt nicht nur. Der spürbare Hass auf den Kommunismus ängstigt sie. An den Amerikanerinnen vermisst sie den erwarteten sportlichen Gang, noch mehr aber ein gesundes Selbstbewusstsein in Gegenwart von Männern. „Ich esse hastig, von der Kellnerin zur Eile angetrieben. Kein Fleckchen, um sich auszuruhen“, mäkelt sie. Ist entsetzt über den krassen Unterschied zwischen Arm und Reich – und spottet über Landsleute, die sich in Amerika abschotten. Denn sie will alles wissen, diskutieren, streiten.

Am Ende gewinnt New York. Eine Stadt, die Simone de Beauvoir zärtlich „mon amour“ nennt. Hella Kaiser







— Simone de Beauvoir
: New York – mon amour, Reisetagebuch, Fotos von Andreas Feininger, Edition Ebersbach, Berlin, 191 Seiten, 19, 80 Euro

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false