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Reise: Wörter wogen wie Wellen

Befragt nach ihrer Vorstellung von Glück hatte Irene Ferchl einmal geantwortet: „Den Bodensee vor mir, eine Bibliothek hinter mir, und dann nur lesen und schreiben.“ Offensichtlich teilen viele Autorinnen diese Leidenschaft, und so stellte Ferchl eine Anthologie zusammen.

Befragt nach ihrer Vorstellung von Glück hatte Irene Ferchl einmal geantwortet: „Den Bodensee vor mir, eine Bibliothek hinter mir, und dann nur lesen und schreiben.“ Offensichtlich teilen viele Autorinnen diese Leidenschaft, und so stellte Ferchl eine Anthologie zusammen. „Auf dem Badesteg“ versammelt Lyrik und Prosa deutschsprachiger Schriftstellerinnen aus zwei Jahrhunderten. Das titelgebende Zitat lieh Ferchl sich bei Sarah Kirsch: „Ich lag auf dem Badesteg als Wind kam / Er zerblies den See alles geriet in Bewegung.“ Kirschs Lyrik sind die Seiten im Buch, bei deren Lektüre die Gedanken anfangen, über den See zu schweben.

Irene Ferchl, 1954 am Bodensee geboren, kam 1972 nach Stuttgart, wo sie bis heute als freie Kulturjournalistin arbeitet. Gerade im an Seen armen Baden- Württemberg, wo der Karst jeden Wassertropfen verschluckt, ist ihre Anthologie ein erfrischendes Sommerbuch.

Viel Überraschendes findet sich über rund zwei Dutzend Gewässer zwischen Kanada und Italien. Wieder einmal nimmt man sich vor, alles von Vicky Baum zu lesen, der Unterschätzten. Der Auszug aus dem Roman „Hell in Frauensee“ ist dicht, spannend und wasserreich. Zsuzsanna Gahse spielt in Licht-Logbuch mit der Sprache, Wörter wogen da wie Wellen, auf und abschwellend. „Der See liegt still im Abseits.“ schreibt sie, und weiter: „Nicht melancholisch, sondern leer. Sie weit reicht meine Seele, dass sie die Landschaft entleert.“ Darin steckt viel Wahrheit darüber, wie Natur und Literatur zusammenkommen: Das Außen wird zum Schauplatz der Innerlichkeit. Sage mir, wie es dir geht, und ich sage dir, was für einen See du siehst. Klugerweise hat Ferchl das Buch in Kapitel gegliedert, mal dürfen die Gewässer düster sein, mal heiter, und auch mal verführerisch. Fatal liest sich das in einem Text von Marie Luise Kaschnitz, und in Virginia Woolfs „Faszination des Teichs“ liest man ihr tragisches Ophelia-Ende immer mit.

Andere Abschnitte tragen den Charakter von Reisereportagen, etwa wenn Geno Hartlaub amüsiert eine „Tour du lac“ beobachtet. Die verblüffende These: „Vielleicht bewegt sich der Dampfer schon lange nicht mehr, und sie lassen da hinten ein Fließband mit aufgemaltem Panorama ablaufen: Fischerhafen, Kastell, Pinienhain, Kapelle auf dem Bergvorsprung, dann fängt das Programm wieder von vorne an.“ Wird man noch einmal eine Seerundfahrt antreten können, ohne diesen Verdacht zu hegen?

Gegen Ende stößt man noch einmal auf Sarah Kirsch, genervt vom dauernden Seenbeschreiben: „Meingott ich habe in diesem Jahr, dacht ich / reichlich Verse vom See geschrieben der dort / im Brandenburgischen liegt“. Es sei nun an der Zeit, sich in eine andere Gegend zu begeben, doch „Da begann ich eines Tages das Angeln und alles war neu.“ Sich Seen immer wieder neu anzueignen, das kann man, wenn man sich ihnen immer wieder nähert. Am Ufer oder auf dem Badesteg – oder mit dieser Anthologie. bär

— Irene Ferchl (Herausgeberin): Auf einem Badesteg – Schriftstellerinnen

am See. Aviva-Verlag 2009, mit Schwarz- Weiß-Abbildungen, 192 Seiten, gebunden, 17,80 Euro

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