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Nur 40 Kilometer von den Unglücksreaktoren entfernt tanzen diese japanischen Hula-Hula-Tänzerinnen vor einem Einkaufszentrum, um eine Kampagne für den Kauf von Gemüse aus dem Fukushima-Anbaugebiet zu unterstützen.

© AFP

Reisebericht: Der andere Eindruck aus Fukushima

Ein Reisebericht eines Beobachters der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) aus Fukushima und dem Reaktorgebiet. An der Strahlung werde niemand sterben, sagt er.

Andreas Kronenberg, Fachmann für Kern- und Radiochemie, ist im Auftrag der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) im Reaktorgebiet Fukushima unterwegs, um mit seinem Team Messungen vorzunehmen. Den folgenden Reisebericht, den wir hier etwas gekürzt dokumentieren, schickte er an Forscherkollegen in Deutschland.

„Ich komme gerade von einem nachmittäglichen Spaziergang durch Fukushima City zurück, eine Stadt die aus dem völlig falschen Grund zu weltweiter Bekanntheit gekommen ist. Es ist eigentlich eine junge Stadt, wunderschön umgeben von Bergen. Ich sehe die jungen Menschen auf den Straßen, sie erinnern mich an Tokio oder Osaka. Das Leben ist normal: die Burschen flirten, die Mädels tratschen. Man trifft sich um auszugehen oder in den Parks Sport zu treiben oder einfach nur die Kirschblüte zu fotografieren.

So viele Dinge gehen mir durch den Kopf. Irgendwie passt das Bild von dem, was ich hier sehe und erfahre, gar nicht zu dem Bild, was die Medien in Deutschland vermitteln. Ich bin nun schon fast zwei Wochen in Japan, war mehrere Tage in Tokio und befahre nun täglich die Gegend um das Kernkraftwerk Fukushima-Dai ichi. Man fragt sich, was die Hysterie in Deutschland eigentlich soll. Hier haben die Leute ganz andere Probleme, 28 000 Menschen vermisst, viele haben durch den Tsunami ihr Hab und Gut verloren. Schon die Tage in Tokio gaben mir Zeit mich etwas umzusehen, die Zeitungen zu studieren und mit den Menschen zu sprechen. Hier genießen die Leute die Kirschblüte in den Parks und versuchen auf die ungewohnte Situation zu reagieren, dass es tatsächlich Blackouts in Tokio gibt, also Strom knapp ist. Die Straßen und Gebäude sind deutlich dunkler als sonst. Und was auch auffällt, ist, dass es keine Ausländer mehr auf den Straßen gibt. Die Tokioer schauen schon nach Fukushima, aber nicht mit der Panik, die wir in Deutschland haben. Sondern man möchte helfen, sammelt Geld für die Menschen. Einer meiner britischen Kollegen ist mit einer Japanerin verheiratet und lebt in Tokio. Seine Frau war stolz darauf, dass er mit unserer Gruppe nach Fukushima fährt. Sie muss in der Zwischenzeit allein auf das Baby aufpassen.

Auch hier in der Gegend, sowohl innerhalb der 20–30-Kilometer-Zone um den Reaktor, als auch darüber hinaus, begegnen uns die Menschen sehr freundlich und interessiert. Sie sind zumeist Bauern. Unsere Messgeräte sind zudem hochinteressant – wenn nur die Sprachbarriere nicht wäre. Aber so ist nur ein Japaner mit unserer Gruppe und er beantwortet freundlich die unzähligen Fragen, wo wir her sind, was das für Geräte sind. Angst oder Kernkraft-Feindlichkeit finden wir praktisch gar nicht. Nur ein junger Mann begegnet mir, der seinen Job gekündigt hat, um hier zu helfen, und er hofft, dass die Regierung nun aus der Kernenergie aussteige. Als ich ihn frage, wo dann die Energie herkommen soll und ob er sich bewusst wäre, dass die Solarzellenherstellung auch giftige Abfälle produziere und Windräder unzählige Vögel töten, zuckt er mit den Schultern. Das war das einzige Mal in all den Tagen. Man scheint hier zu wissen, was mikro-Sievert ist und die Zahlenwerte werden kleiner, auch das wissen die Leute ganz genau. Also verraten wir ihnen auch oft den Dosiswert, den wir gerade messen und das bringt ein freundliches Nicken. Ich denke die Bilder von der Küste nördlich vom Kraftwerk geben ein bisschen den Eindruck, welche Tragödien sich hier wirklich abgespielt haben; leider nur viel zu wenig wird in Deutschland über die 28 000 Toten durch den Tsunami berichtet. Eine ganze Kleinstadt ausgelöscht! Leute, die z.B. zu einem der Evakuierungszentren geflohen sind, sind dort vom Tsunami überrascht wurden. Man berichtet mir von einem Mann, der sich am Dachbalken dieser Sporthalle festgehalten hat, um nicht mit weggeschwemmt zu werden. Der Evakuierungspunkt wurde zur tödlichen Falle. Auch ein ganzer Zug ist verschwunden in den Fluten.

Zwei Dinge scheinen mir sehr wichtig in der deutschen Diskussion. Einmal die Tatsache, dass das Erdbeben, obwohl Stärke 9, dem Kraftwerk gar nix angetan hat. Wenn man die Zerstörungskraft des Erdbebens um das Kraftwerk sieht, die aufgerissenen Straßen, die verbogenen dicken Beton- und Stahlträger, dann muss man fast sagen, dass die Kerntechnik ja geradezu gezeigt hat, dass sie sicher ist. Die Straßen sind aufgerissen, massive Beton- oder Stahlkonstruktionen sind gebrochen oder verbogen, aber der Reaktor hat durch das Erdbeben KEINEN Schaden genommen. Daher ist die Diskussion in Deutschland über mögliche Erdbeben völlig unsinnig.

Viel beeindruckender ist aber das Gebiet, wo der Tsunami alles zerstört hat. Man erkennt, wie das Wasser alles weggespült hat; nur noch die Hausfundamente stehen und verraten etwas von dem, wie das Haus einmal aufgeteilt war und wo die Leitungen hereinkamen. Es ist kaum zu begreifen. Wenn ich durch das Gebiet fahre, kann ich das eigentlich nur mit der Druckwelle einer Atombombenexplosion vergleichen. Wie beschämend, dass unsere deutschen Medien kaum darüber berichten, sondern nur unsachlich und oft auch falsch über das Kraftwerk. Man bezeichnet das Kraftwerk als „Schrottreaktor“ und die Arbeiter im Werk als „Todeskandidaten“, was ich wirklich als eine Unverschämtheit empfinde – nicht nur gegenüber den Arbeitern, sondern auch gegenüber der japanischen Regierung. Die meisten japanischen Firmen haben nicht einmal den 250-milli-Sievert-Grenzwert (der Regierung) angenommen, sondern sind bei einem Grenzwert von 100 milli-Sievert für ihre Arbeiter geblieben (dasselbe, was für jeden Strahlenexponierten gilt, überall in der Welt).

Falls die Japaner nicht lügen (was sehr unwahrscheinlich ist), dann hat bisher niemand die 250 milli-Sievert erreicht, also wird niemand sterben. Nicht nur der Reaktor, nicht nur der Unfallhergang, alles ist völlig anders als in Tschernobyl. Man spielt in Deutschland mit den Ängsten der Leute, lässt bewusst Fakten weg oder verdreht Tatsachen. Dann lese ich in Deutschland, dass Greenpeace Empfehlungen ausspricht zur Erweiterung der Evakuierungszone und angeblich vor Ort misst. Nur frage ich mich, warum ich oder meine japanischen Kollegen sie in all den Tagen nie gesehen habe. Zudem hätte Greenpeace ja gar keinen Zutritt in die 20-Kilometer-Zone. Dort kommen wir nur mit speziellen Papieren rein und alle Straßen sind abgeriegelt.

Die IAEA wird die Messwerte unserer Teams veröffentlichen und wir haben sowohl Dosiswerte, Oberflächenkontaminationen als auch in-situ- gamma-spectroscopy gemacht und Bodenproben genommen. Nur mit all diesen Techniken zusammengenommen können klare Aussagen getroffen werden. Alles andere ist blanker Unsinn.“

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