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Panorama: Reizendes Verbot

Istanbul verbietet Bikini-Werbung und bringt damit nicht nur Unternehmer gegen sich auf

„Sind wir hier im Iran?“ Zeki Baseskioglu ist außer sich. Der Chef der türkischen Bikini-Firma Zeki sieht sich als Opfer von Zensur und islamistischer Zwangsherrschaft: Die Stadtverwaltung von Istanbul verhindere aus Rücksicht auf ihre fromm-konservative Klientel, dass Bilder von Models mit knappen Badeanzügen und viel nackter Haut auf Reklametafeln in der Metropole gezeigt würden, klagen Unternehmer wie Baseskioglu. Wie eine Art Sittenpolizei sollen städtische Beamte einige Geschäftsinhaber sogar gezwungen haben, Bikini-Fotos aus ihren Schaufenstern zu entfernen. Von einem „Bikini-Krieg“ ist in der Boulevardpresse schon die Rede.

Dass dieser Krieg ausgerechnet jetzt ausbricht, ist kein Zufall. Schließlich steht nicht nur der Wahlkampf, sondern auch der Sommer vor der Tür, und Unternehmer wie Baseskioglu wollen möglichst vielen Menschen ihre neuen Entwürfe zeigen. Doch die Istanbuler Stadtregierung mache ihnen das Leben schwer, klagen sie. Istanbul wird von der AKP regiert, der Partei des frommen Moslems und Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Glaubt man den Bikini-Firmen, hat die AKP in Istanbul schon vor Jahren einen Heiligen Krieg gegen aufreizende Schwimmtextilien ausgerufen. Mal würden Anträge auf Bikini-Poster abgewiesen, mal werde die Bearbeitung bis zum Ende der Badesaison verschleppt, so dass sich das Problem von selbst erledige. In dieser Saison fragten einige Firmen informell bei den zuständigen Stadtbeamten an, ob ein möglicher neuer Antrag Aussicht auf Erfolg haben würde. Nein, kam die Antwort. Alles gehe mit rechten Dingen zu, verteidigt sich die Stadtverwaltung. Zumindest in einigen Fällen wurden Schwimmposter tatsächlich genehmigt. Bürgermeister Kadir Topbas, der vom „Bikini-Krieg“ während einer Auslandsreise überrascht wurde, ließ erklären, es gebe kein Bikini-Verbot. Lediglich die großflächige Werbung für die besonders freizügigen Tanga-Modelle sei unerwünscht. Der AKP-Politiker legte sogar ein Bekenntnis zum knappen Badeanzug ab: Wenn er gegen Bikinis wäre, hätte er als Bürgermeister wohl kaum so viele neue Badestrände eröffnet, betonte Topbas.

Die geltenden Vorschriften verbieten die öffentliche Präsentation von Bildern, die grausam und herabwürdigend sind – oder die gegen die „Regeln der allgemeinen Moral“ verstoßen. Was die „allgemeine Moral“ verbietet oder erlaubt, ist aber umstritten. In einem Fall sollen Werbebilder mit dem prominenten Model Kate Moss beanstandet worden sein, obwohl Moss auf den Fotos lediglich Bein zeigte. Selbst an den Außenwänden ihrer eigenen Büro- und Fabrikgebäude durften einige Firmen keine Poster ihrer neuen Modelle aufhängen.

Beamte der Stadtverwaltung verweisen auf Beschwerden von Bürgern gegen die Bikini-Poster. Die meisten Einsprüche würden damit begründet, dass die Bikini-Mädchen auf den Billboards viele Unfälle auslösen, weil Autofahrer auf die Models statt auf den Verkehr achten. Die Sorge um die Verkehrssicherheit ist aber offenbar nicht das einzige Motiv. Selbst aus Schaufenstern, die längst nicht so sehr im Blickfeld von Autofahrern sind wie Werbeplakate am Straßenrand, mussten Bikini-Bilder entfernt werden.

Der Istanbuler Bikini-Streit könnte leicht zu einem Thema im gerade angelaufenen Parlamentswahlkampf werden. In den vergangenen Wochen hatten Millionen von Türken bei Großdemonstrationen gegen eine Islamisierung des Landes protestiert. Dabei wurden unter anderem Versuche von AKP-Regionalpolitikern beklagt, Alkoholverbote durchzusetzen. Jetzt könnten die Bikinis dazukommen – das kann Erdogan, der seine Partei als modern und pragmatisch bezeichnet, nicht recht sein. Zeitungsberichten zufolge interessiert sich inzwischen auch die Justiz für die Bikini-Zensur. Die AKP-Führung wolle sich jetzt des Themas annehmen.

Den Unternehmer Zeki Baseskioglu kann die AKP mit einer Überprüfung der Reklameregeln nicht mehr milde stimmen. Da er keine Bikini-Mädchen zeigen darf, hat er sich zu einer neuen Werbestrategie entschlossen, mit der er die Zensur der frommen Stadtbehörden aufs Korn nehmen will: Statt Bikinis sollen große Poster knackige Auberginen und Salatgurken zeigen – in eindeutig phallischer Darstellung.

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