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Gregor Hecker an der Gedenkstätte der Loveparade-Opfer in DuisburgDer gelernte Rettungsassistent hatte als privater Besucher vergeblich versucht, ein Loveparadeopfer wierderzubeleben.

© dpa

Rettungsassistent Gregor Hecker: Der lange Weg zurück ins normale Leben - ein Loveparade-Opfer erzählt

Ein bisschen Loveparade gucken und dann noch zu einer Geburtstagsparty. Das war der Plan des Rettungsassistenten Gregor Hecker. Es kam anders - und ist es bis jetzt geblieben.

Am 24. Juli 2010 ändert sich das Leben des Rettungsassistenten Gregor Hecker. Der bis dahin schon viel Schlimmes gesehen hatte. Im Sommer 2010 ist Hecker 44 Jahre alt. Zur Loveparade fährt er privat mit einem Freund, nicht als Sanitäter, wie er erzählt. Am Samstagnachmittag will er das Gelände über die Rampe, die Zugang und Ausgang zugleich ist, wieder verlassen. Er gerät ins Gedränge, Geschiebe, Gequetsche. Mehrmals hilft er anderen wieder auf die Beine. Dann lichtet es sich. Er sieht eine Frau bei der Herzdruckmassage an einem Mädchen. Der Rettungsassistent löst sie ab. „Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass das Mädchen kaum noch eine Chance hat, wenn nicht schnell der Notarzt eintreffen würde. Ich drückte aber weiter, bis ich auf einmal an den Schultern von meiner Patientin gerissen wurde“, erzählt er.

Ein Polizist hatte ihn fortgezogen. Hecker erklärt ihm, dass er wisse, was er tue. Danach macht er weiter, bis ein Notarzt kommt. „Leider kam für die Frau alle weitere Hilfe zu spät.“ Wer das Mädchen war, weiß Hecker nicht. Jede Erinnerung an ihr Gesicht ist verschwunden. Wie sich später herausstellte, war sie eine der 21 Toten. Hecker kann sich noch erinnern, dass er durch den Tunnel lief und sich auf die Treppenstufen eines Hauseingangs setzte. Wie er wieder zurück in seine Dortmunder Wohnung kam, ist seinem Gedächtnis verloren gegangen. Erst am Sonntagnachmittag kommt er wieder zu sich.

Am Montag nach dem Unglück fährt er wie immer zur Arbeit nach Köln. Sein Zustand ist so, dass ein Notarztkollege ihn zu seinem Hausarzt schickt. Der schreibt ihn erstmal krank. Auch der zweite Anlauf, wieder zu arbeiten, misslingt, „weil meine Konzentration einfach nicht so da war, wie ich es und die Kollegen auch von mir gewohnt waren“. Hecker wird erstmal vom Dienst befreit, sucht Psychologen auf, wird in einer Tagesklinik behandelt. Diagnose: PTBS - Posttraumatische Belastungsstörung. Ein Jahr nach dem Unglück kommt er stationär in eine Reha-Klinik. Nach drei Monaten ist er guter Dinge, der Schlussbericht ist kurz vor seiner Entlassung schon fertig. „Laut dem sollte ich wieder eingeschränkten Dienst beginnen - begleitet mit ambulanter Therapie.“

„Ohne betreutes Wohnen hätte ich es nicht geschafft“

Dann habe sich plötzlich die Unfallkasse Nordrhein-Westfalen angemeldet. Im Büro des Chefarztes habe man ihm eröffnet, „dass ich wegen Rückfallgefahr einer erneuten Traumatisierung nicht mehr in meinen Beruf zurückkehren würde“. Später spricht Hecker von „Berufsverbot“. Die Unfallkasse will sich zu dem Fall nicht äußern und verweist auf den Datenschutz. Heckers Welt bricht zusammen. Er erleidet eine schwere Depression. „Ohne betreutes Wohnen hätte ich es nicht geschafft“, sagt er und deutet nur an, wie schlimm es war. Mittlerweile geht es etwas besser. „Einige Dinge funktionieren wieder einigermaßen gut, andere Dinge gehen weiterhin überhaupt nicht.“

Es bringt Hecker nach wie vor in Bedrängnis, wenn er in der Nähe vieler Menschen ist. Einkaufen geht er nur in Begleitung durch einen Mitarbeiter des Betreuten Wohnens am frühen Morgen oder abends, wenn es leer ist an der Kasse. Auch Busse und Bahnen sind schwierig, er probiert es aber immer wieder. Große Hilfe erfahre er durch ein „inoffizielles Netzwerk“, wie er es nennt. Notfallseelsorgern und anderen Betroffenen kann er seine Schwierigkeiten schildern. „Es werden dann auch Lösungen gesucht und meistens auch gefunden“, sagt er. Diesen Menschen und den Ombudsmännern sei er zu großem Dank verpflichtet.

Seit einem halben Jahr hat er einen Therapiehund. Moritz heißt er. „Durch ihn habe ich nun wieder eine kleine Tagesstruktur, die mich sicherer werden lässt.“ Beim Jobcenter hat er einen Zuschuss für ihn beantragt, was aber abgelehnt wurde. „Er wäre für mein Leben nicht wichtig“, sei die Begründung gewesen. Dagegen hat Hecker jetzt Klage beim Sozialgericht eingereicht. Seinen erlernten Beruf hat er nicht aus den Augen verloren. „Ich kämpfe dafür, dass ich wieder in meinen Beruf zurückkehren kann. Mittlerweile bin ich privat auch schon an Unfallereignissen gewesen - dort hat alles super funktioniert.“ Für die Entscheidung des Landgerichts, die Anklage gegen zehn Beteiligte nicht zur Hauptverhandlung in einem Strafprozess zuzulassen, hat Hecker kein Verständnis. „Das kann doch nicht sein“, sagt er am Dienstag, als die Entscheidung bekannt wird. (dpa)

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