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Panorama: „Rita“ wird zum Monster

Mehr als eine Million Menschen strömen ins Landesinnere – denn dieser Hurrikan ist noch stärker und größer als „Katrina“

Endlos scheinen die Autokarawanen, die sich seit Mittwochnacht über die High- ways im Großraum Houston schieben, Stoßstange an Stoßstange, stop and go. Man meint diese Fernsehszenen der großen Flucht vor dem Hurrikan zu kennen, aber eines ist anders als vor vier Wochen, als „Katrina“ die Region um New Orleans bedrohte. Es fehlen die parallelen Bilder von aufgepeitschten Wellen und sturmzerzausten Bäumen. Die Menschen haben sich diesmal früher aufgemacht, bei klarem Nachthimmel oder freundlicher Sonne. Neu ist auch der hohe Anteil gelber Schulbusse. Wer kein Auto hat, dem bleibt nicht nur die Zuflucht in lokalen Schutzräumen und Notquartieren wie dem Superdome in New Orleans, der zur Hölle wurde. Auch arme Menschen ohne Auto können und müssen raus aus der Gefahrenzone.

„Katrina“ hatte Stärke vier, „Rita“ erreichte gestern die höchste Kategorie fünf. Am Abend wurde „Rita“ wieder auf vier herabgestuft, doch droht sich der Wirbelsturm wieder aufzuladen. In der Nacht zum Samstag soll „Rita“ Texas treffen.

Mehr als eine Million Menschen flüchten ins Landesinnere. Weite Teile von Texas und Louisiana werden zwangsevakuiert. Wie ernst die Behörden die Bedrohung nehmen, illustriert die Warnung des Sheriffs von Matagorda County, James Mitchell, unweit von Galveston: Eltern, die nicht mit ihren Kindern fliehen, werde er unter Anklage stellen wegen verantwortungslosem Umgang mit Schutzbefohlenen. Den Sturm „ausreiten“, wie das Zehntausende in New Orleans versuchten, dafür gibt es heute weder Verständnis noch Pardon. Wenn der Hurrikan komme, könne auf Notrufe nicht mehr reagiert werden, machen auch Kollegen klar. Man könne nicht die Retter der Lebensgefahr aussetzen.

Für Tausende freilich ist dies bereits die dritte oder vierte Fluch. Glücklich schätzte sich, wer rechtzeitig vor „Katrina“ nach Texas geflohen war oder später von New Orleans Superdome nach Houston in den Astrodome verlegt wurde. Jetzt müssen die Gestrandeten wieder weiter und fühlen sich wie die Israeliten auf dem langen Weg durch die Wüste.

Auch Teile der mit zwei Millionen Einwohnern viertgrößten Stadt der USA werden evakuiert. Ältere Bewohner von Houston haben Hurrikan-Erfahrung. Im August 1983 wütete „Alicia“ über der Stadt, ein Sturm der Stärke 3, tötete sechs Menschen, rüttelte an den Hochhäusern und hinterließ viele Straßen knöcheltief bedeckt mit Glasscherben und anderen Trümmern. Houston liegt eine Autostunde landeinwärts und kann nur hoffen, dass „Rita“ über dem kühlen Land rasch an Kraft verliert. Vor Houston ist Galveston dran. Die Stadt, die im Jahre 1900 schon einmal vollständig verwüstet wurde – damals starben zwischen 8000 und 12000 Menschen – gleicht nach der Evakuierung einer Geisterstadt.

Präsident Bush und Texas’ Gouverneur Perry mahnten: „Häuser kann man wieder aufbauen, verlorene Leben nicht.“ Die schwierigste Aufgabe für die Rettungskräfte ist es derzeit, ihr Material so nahe wie möglich an die mutmaßlichen Notstandsgebiete zu bringen, damit man schnell helfen kann – aber weit genug weg, dass sie nicht selbst von „Rita“ getroffen werden. New Orleans hat die meisten seiner Polizeiautos während „Katrina“ verloren. Unter dem Eindruck der Verwüstungen durch „Katrina“ nehmen Behörden wie Bürger die Gefahr jetzt weit ernster und bereiten sich ganz anders vor. Bereits am Dienstag und am Mittwoch hat Präsident Bush auf Bitten der Gouverneure den Ausnahmezustand über die Staaten der Region verhängt, nicht erst ein bis zwei Tage zuvor wie bei „Katrina“. Überhaupt ist der Präsident diesmal der oberste Ratgeber, nutzt jeden öffentlichen Auftritt, und sei es bei der Republikanisch-jüdischen Koalition, um die Anwohner aufzufordern, sich in Sicherheit zu bringen.

Die Menschen sind seit Mittwoch auf der Flucht, nicht erst am Tag vor dem Hurrikan wie Ende August in New Orleans. Bei „Katrina“ brach Bush erst drei Tage nach der Zerstörung New Orleans’ den Urlaub auf seiner Ranch ab. Die Katastrophenschutzbehörde Fema hat bereits jetzt Stützpunkte in der Region und baut sie nicht erst Tage nach der Verwüstung auf, wenn alles zu spät ist.

Armee und Nationalgarde wurden diesmal im großen Maßstab vorbeugend mobilisiert. 13000 Soldaten und 35000 Nationalgardisten sind in Mississippi und Louisiana im Einsatz. Ein Teil von ihnen bereitet die Verlegung in die „Rita“-Gebiete vor, wo bereits 2000 Nationalgardisten aktiviert sind. Texas’ Gouverneur Perry hat weitere 5000 in Alarmbereitschaft versetzt – und die US-Regierung Fallschirmjäger der 82. Airborne, um unverzüglich mit der Hilfe zu beginnen. Die Navy hat zehn Schiffe, darunter ein Lazarettschiff, in den Nordosten des Golfs von Mexiko geschickt, wo sie am Rande des Hurrikans abwarten, um danach an die Küste zurückzukehren. .

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