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Panorama: Robbenjagd: Morden für das weiße Fell

Dicke, mit Blut vermischte Tränen rinnen aus dunklen Kulleraugen und tropfen langsam auf das weiße Fell. Der erste Schlag mit dem Knüppel auf die Nase ging daneben.

Dicke, mit Blut vermischte Tränen rinnen aus dunklen Kulleraugen und tropfen langsam auf das weiße Fell. Der erste Schlag mit dem Knüppel auf die Nase ging daneben. Ein zweiter folgt, dann ein Schrei voll Schmerz, dann zucken die Flossen ein letztes Mal. Harte, mit Blut bespritzte Hände greifen das Robbenbaby, packen es mit bis zu 250 anderen in ein riesiges Fischernetz, das unter den Bauch eines Hubschraubers gehängt wird, und ab geht die Fuhre zum Festland.

Nur ein einziges Junges bringen die Robbenmütter pro Jahr zur Welt. Elf Monate tragen sie es aus, dann wird es auf einer Eisscholle geboren: in Kanada, Norwegen und in der russischen Arktis am Weißen Meer. Allein hier erblicken jeden März rund 300 000 Robbenbabys das Licht der Welt. 70 000 - jedes vierte - werden keine vier Wochen alt. Bald schon nach der Geburt nimmt das weiße Fell eine silbrig glänzende Farbe an und wird uninteressant für Kürschner und Kunden.

Jedes dritte Robbenbaby lebt noch, wenn die Hubschrauber zum Festland starten. In den Fischerdörfern wartet der Robbenkindergarten auf sie. Das russische Wort für Garten - sad - schimpft die Journalistin Marina Losinskaja, die in der "Obschaja gaseta" eine ganze Seite für ihre Reportage über das Gemetzel bekam, leite sich in diesem Falle von Sadismus her. Wohl wahr: Weil die Arbeiter an Land mit dem Abhäuten nicht nachkommen, wird ein Teil der Babys in Käfige gesperrt, wo sie bis zu zwei Wochen vor Hunger und Angst schreien. Wie Neugeborene, sagt Losinskaja, die beobachtet hat, dass die Mütter sie hören und immer wieder versuchen, sich den Käfigen zu nähern, um ihre Kleinen zu befreien. Die Dörfler gehen dann mit Bootshaken auf sie los.

"Wenn jemand hier eine Massenschlachtung von Wildschweinen oder Elchen organisieren würde", sagt Losinskaja, der beim Erzählen immer noch die Tränen kommen, würde er als Wilddieb sofort vor den Kadi gezerrt. Nicht so die Robbenjäger. Schuld daran sind schlampig abgefasste Gesetze. Sie erklären die Robben, die Säugetiere sind und Schmerzen empfinden, einfach zu Fischen.

Das Gemetzel kann daher nur als Sittenwidrigkeit geahndet werden. Artikel 245 des russischen Strafgesetzbuches sieht dafür Geldbußen vor, so lächerlich gering, dass sie eher ermuntern statt abzuschrecken.

Russland ist außer Norwegen das einzige Land, in dem die Massentötung der Robben legal ist. Doch die Norweger beschränken sich auf das Erlegen erwachsener Tiere. Offiziell. Inoffiziell, schrieb Losinskaja, mache Russland die Drecksarbeit für den Nachbarn in Nordwesten. Der sponsort die Killerkampagne und verdient dabei offenbar nicht schlecht. Die "Jäger" bekommen für jedes erschlagene Robbenbaby maximal zwei und für das Abhäuten einen Dollar. Auch die Preise, die die Hubschrauberpiloten verlangen, sind moderat - eine Flugstunde kostet maximal 600 Dollar.

Nach weltweiten Protesten rang sich die Duma im letzten Frühjahr zu einem Tierschutzgesetz durch, mit dem auch das Blutbad am Weißen Meer beendet werden sollte. Doch Wladimir Putin, damals nur Interimspräsident, kassierte die Vorlage per Veto. Der Grund: Der Gouverneur des Gebietes Archangelsk, Anatolij Jefremow, bat um "sozialen Schutz" für die 46 Dörfer am Ufer des Weißen Meeres, die angeblich verhungern würden. Wenn Robbenbabys einen Stimmzettel ausfüllen könnten, vielleicht hätte der Kremlherrscher Mitleid bekommen. Aber so siegte der Gouverneur, der nicht vergaß, ausdrücklich vor einer "sozialen Explosion" zu warnen, sollte das Staatskomitee für Fischereiwesen die Tötungslizenzen künftig verweigern.

"Erlogen und erstunken" nennt Journalistin Losinskaja dagegen die Mär von der drohenden Hungerrevolte. Offizieller Lizenznehmer ist die Aktiengesellschaft "Weißes Meer". Gesellschafter sind ein paar Fischereigenossenschaften, deren Flotte längst im Hafen vor sich hin rostet. Am Robbentotschlag beteiligten sich im letzten Jahr daher ganze 300 Fischer, die für eine Woche Arbeit mit durchschnittlich 3000 Rubel (umgerechnet etwa 250 Mark) nach Hause gingen. Damit kommt eine vierköpfige Familie selbst bei sparsamster Haushaltsführung in der Arktis nur knapp einen Monat über die Runden.

Verhungert ist dennoch keiner. Die einfachen Fischer setzen auf Lachsfang und ihre Vorturner verscherbeln den Löwenanteil der Killerquote mit Gewinnbeteiligung des Fischereikomitees an Fremde, die ihre Beute im Ausland verhökern. Auf dem russischen Markt geht das Geschäft eher mau.

Für jede Mütze mit Ohrenklappen bezahlt ein Robbenbaby mit seinem Leben. Für ganze 800 Rubel (etwas mehr als 200 Mark) gehen sie bei Pelzhändlern in St. Petersburg über den Ladentisch. Die Nachfrage ist wegen billigen Pelzen aus dem Ausland und Qualitätsmängeln dennoch gering.

In der Arktis gibt es keine Verarbeitungskapazitäten. Die weißen Kuschelfelle werden daher gesalzen und gehen in eine Pelznäherei nach Kasan an der mittleren Wolga. Schon beim Transport setzen sie häufig Stockflecken an und müssen braun oder schwarz eingefärbt werden. Für die Journalistin Losinskaja "der Gipfel der Absurdität, aber leider typisch für das gegenwärtige Russland".

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