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Protest vor der Basilika Sant’Apollinare. Die Familie der bei ihrem Verschwinden 15 Jahre alten Emanuela Orlandi verlangt zusammen mit Unterstützern von der Kirche Auskunft über den Verbleib des Mädchens.

© ROPI

Römische Kriminalgeschichte: Der Vatikan, die Leiche und das Mädchen

Die Kirche hat heimlich einen Gangsterboss in einer päpstlichen Basilika begraben – dort dürfen aber nur Bischöfe und Päpste liegen. In der Basilika verlieren sich zudem die Spuren eines 15-jährigen Mädchens. Und weil der Vatikan schweigt, gibt es viel Stoff für Verschwörungstheorien.

Seinen 58. Geburtstag könnte der Römer Enrico de Pedis demnächst feiern, hätte man ihn nicht im Februar 1990 auf offener Straße erschossen. Ewige Ruhe indes ward ihm nicht beschert. Seit die Öffentlichkeit im Jahr 2005 erfahren hat, an welch exklusivem Ort De Pedis bestattet ist, kehrt die Aufregung um ihn immer wieder. So auch, recht heftig, in diesen Tagen.

De Pedis nämlich liegt in einer Kirche begraben – in der großen, altehrwürdigen, päpstlichen Sant’Apollinare- Basilika mitten in Rom, gleich neben der Piazza Navona. Bis hinauf zum Bürgermeister halten alle das für einen Riesenskandal. Denn De Pedis war Boss jener Rauschgift- und Waffenhändler von der „Magliana-Bande“, die mit Erpressung, Entführung und Mord die italienische Hauptstadt in den achtziger Jahren terrorisiert hat.

Auf welchen krummen Wegen aber kommt ein Gangsterboss in die Kirche? Das würden viele gerne wissen; andere wollen es offenbar noch möglichst lange verschleiern. Die Staatsanwaltschaft, wenn sie es denn bisher ernsthaft versucht hat, kommt seit 1990 beim Ermitteln nicht voran. Jetzt will sie es unter ihrem neuen, antimafia-geschulten Chef noch einmal probieren.

Herausgestellt hat sich soeben, dass der damalige Chef der italienischen Bischofskonferenz und Kardinal von Rom, Ugo Poletti, im Jahr 1990 persönlich De Pedis’ Überführung in die Kirche genehmigt hat. Als Zeitgenosse musste er wissen, um wen es sich handelte. Der Kardinal berief sich aber auf eine Bettelei des Pfarrers, wonach De Pedis ein „großer Wohltäter der Basilika und ihrer sozialen Aktivitäten“ gewesen sei. Dass das Kirchenrecht jedwede Bestattung in Gotteshäusern verbietet – es sei denn, der Verblichene sei Bischof oder Papst gewesen –, hat den Kardinal nicht gestört. Ein schlechtes Gewissen schienen die Kirchenmänner dennoch zu haben: Das Begräbnis fand damals in aller Heimlichkeit statt.

Die Bestattung in der Kirchengruft verletzte auch italienisches Recht. Diese Frage wurde damals aber gar nicht geprüft. Die Kirchenmänner nämlich erklärten das italienische Recht für nicht zuständig; sie sagten, Sant’Apollinare sei „extraterritorialer Besitz des Vatikanstaats“. Merkwürdigerweise stellt sich erst heute heraus, dass diese Behauptung falsch war.

Warum aber hat die Kirche dem Gangster ihre heiligen Hallen geöffnet? Was hatte De Pedis oder die Magliana-Bande gegen den Kardinal in der Hand?

Die Wahrheit sei im Vatikan zu suchen, sagen römische Staatsanwälte, doch der rücke damit nicht heraus. Das bestreitet der Pressesprecher des Papstes, Federico Lombardi, in aller Heftigkeit. Er sagt, man habe immer schon „vollständig, engagiert und transparent“ mit den Ermittlern zusammengearbeitet. Da bisher nichts bewiesen ist, bleiben für die Rekonstruktion der Ereignisse nur folgende Spekulationen, die sich seit langem in Italien halten. Sie setzen vor genau 30 Jahren ein, im Frühjahr 1982, beim betrügerischen Zusammenbruch der Ambrosiano-Bank. In die kriminellen Machenschaften damals war auch die Bank des Papstes verwickelt, das „Institut für Religiöse Werke“, so nennt sich die Vatikanbank. Sie musste den hintergangenen Anlegern später „freiwillig“ 244 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen.

Unter Kardinal Paul Marcinkus hatte die Vatikanbank damals wenig Skrupel, auch Gelder zweifelhaften Ursprungs anzulegen und damit beim Reinwaschen zu helfen. Es ist bekannt, dass auch Magliana-Banditen wie De Pedis gute Kontakte zum Vatikan pflegten. Und so spricht vieles für die These, die Bande habe einige Millionen im „Institut für Religiöse Werke“ geparkt – und beim großen Crash befürchtet, davon keine müde Lira wiederzusehen.

Ein Jahr danach, im Juni 1983, verschwand die 15-jährige Emanuela Orlandi. Als Tochter eines Angestellten des Päpstlichen Hauses war sie vatikanische Staatsbürgerin, und ihre Spuren verlieren sich ausgerechnet vor der Apollinaris-Basilika, die Bandenchef De Pedis so liebte.

Die Polizei geht davon aus, dass Emanuela entführt und ermordet wurde. Das Merkwürdige danach waren nur die vielen anonymen Anrufe, mit denen offenkundig Beteiligte oder Mitwisser eine Vielzahl verwirrender Fährten legten – um gezielt die Spuren zu verwischen.

Immer wieder gibt es Spekulationen, auch im Falle Emanuela sage der Vatikan nicht alles, was er weiß, und als die Unterstützer der Familie Orlandi vor ein paar Tagen wieder einmal mit einer Mahnwache vor Sant’Apollinare „gegen das Schweigen der Kirche“ protestierten, kamen zwei Vatikan-Gendarmen in Zivil vorbei, um die Beteiligten zu fotografieren.

Die Hauptthese aber lautet: Die Magliana-Bande hat Emanuela entführt, um vom Vatikan die entgangenen Riesensummen zu erpressen. Daraufhin hat jemand im Kirchenstaat die Kontakte zu De Pedis genutzt, um – mit Erfolg – eine Waffenruhe auszuhandeln. Als Gegenleistung hat sich der Bandenchef ein Begräbnis in seiner Lieblingsbasilika auserbeten.

So könnte es gewesen sein. Wer nun aber denkt, zumindest der anstößigste Teil der Affäre sei leicht aus der Welt zu schaffen, indem man den Banditen von der Kirche auf einen Allerweltsfriedhof umbette, der kennt die Römer nicht. Sie erfreuen sich mehr an mysteriösen Spekulationen und wiederkehrenden Skandalen als an der tatsächlichen Aufklärung von Kriminalfällen. Danach nämlich, so fürchten sie, könnte ihre Welt langweilig werden.

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