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Panorama: Romantisch ist cool

Die Zahl der Teenager-Schwangerschaften steigt – steigt auch die Leichtfertigkeit? Nein, sagen Experten

Schon morgens beim Frühstück geht es los. „Neue Power – für Männer, für die der Tag voller Herausforderungen steckt.“ Darunter der Oberkörper eines perfekt gebauten Mannes, mit Waschbrettbauch und Siegerlächeln. Der starke Kerl auf der Cornflakes-Packung bedient ein klassisches Männerbild, genauso wie die gestählten Rapper, die in ihren Musikvideos von aufreizenden Schönheiten umgarnt werden. Die Botschaft ist klar: Das männliche Idealbild, das Werbung und Medien propagieren, ist kraftvoll, souverän, dominant. Gefragt sind Siegertypen, auch im Bett. Sex wird mit Leistung gleichgesetzt. Wer hier nicht mithält, ist ein Versager – eine gängige Vorstellung, die laut Professor Volkmar Sigusch Jungen in ihrer sexuellen Entwicklung stark beeinflusst. „Doch ihr Verantwortungsgefühl im Umgang mit Sexualität leidet nicht darunter“, sagt der Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft an der Universität Frankfurt/Main.

Laut Sigusch haben sich die zentralen Wertvorstellungen Heranwachsender in den letzten 30 Jahren nicht wesentlich verändert. „Berichte, nach denen die heutige Jugend sexuell enthemmt sei, gehen an der Wirklichkeit vorbei. Heute binden junge Männer die Sexualität sogar noch stärker an eine feste Liebesbeziehung mit Treue als vor einer Generation.“ Doch bis Jugendliche diese Reife erreicht haben, müssen sie die Wirren der Pubertät überstehen – eine Lebensphase, die Sigusch als „Horrorvorgang“ bezeichnet: „Da wird der ganze Mensch noch mal durcheinander gewirbelt.“ Besonders Jungen hätten es schwer, zwischen ihren Bedürfnissen, Ängsten und Rollenvorstellungen ihren eigenen Weg zu finden.

Treu und verbindlich

Nach den Erfahrungen des Berliner Psychotherapeuten Joachim Braun, Autor des Buches „Jungen in der Pubertät“, beeinflusst das Leistungsdenken die sexuelle Entwicklung von Jungen nachhaltig. Hinzu kommt der Gruppendruck, der gerade unter pubertierenden Jugendlichen sehr groß ist. Männliche Anpassungszwänge gehören zum Alltag, für Ängste und vermeintliche Schwächen ist kein Platz. „Ohne Freundin oder sexuelle Erfahrungen stehen Jungen vor den Freunden oft als Versager da“, sagt Braun. Wer zu spät kommt, den bestraft die Clique.

Auch aufgrund des Gruppendrucks, dem Pubertierende ausgesetzt sind, machen Jungen ihre ersten sexuellen Erfahrungen immer früher: Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat heute jeder zehnte Junge im Alter von 14 Jahren seinen ersten Geschlechtsverkehr hinter sich.

Gleichzeitig steigt die Zahl der Teenager-Schwangerschaften in Deutschland besonders bei den ganz jungen Mädchen stetig an. In der Gruppe der unter 16-Jährigen verzeichnete das Statistische Bundesamt im Jahr 1996 noch 1718 Schwangerschaften. Im Jahr 2001 erwarteten in dieser Altersgruppe bereits 2709 Mädchen ein Kind. Meist ungeplant und ungewollt – knapp 80 Prozent der schwangeren Teenager ließen abtreiben. Die Abtreibungszahlen bei den 10- bis 14-Jährigen haben sich in den letzten sechs Jahren verdoppelt (siehe Kasten). Belegen diese Zahlen, dass Jugendliche zunehmend verantwortungslos mit Sexualität umgehen? Die Antwort der Experten ist eindeutig: nein.

80 Prozent, doppelt so viele wie vor einer Generation, verwenden beim ersten Sex ein sicheres Verhütungsmittel, sagt Sigusch.

In den Bars und Clubs der Großstädte wird geflirtet, getanzt, hier finden sich die Paare. Das Nachtleben blüht wie nie zuvor. Doch Befürchtungen, dass die Leichtfertigkeit zunimmt, sind ganz offensichtlich unbegründet. Jugendliche haben heute weniger Sexualpartner als früher. Sigusch: „Von Promiskuität kann keine Rede sein.“

Trotzdem bleibt eine Minderheit, die offensichtlich nicht sorgfältig genug verhütet.

Bei ihr passiert der erste Geschlechtsverkehr ungeplant, vor allem Jungen trifft der erste Sexualkontakt unerwartet. Ein Drittel der männlichen Teenager wird laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vom Geschehen „völlig überrascht“. Die Verhütung tritt in den Hintergrund – 13 Prozent der Jugendlichen erleben ihr erstes Mal ungeschützt. Hauptgrund: „Es kam zu spontan.“ Mit Verantwortungslosigkeit hat das sexuelle Verhalten wenig zu tun, sagt auch Braun. „Jungen vermeiden Verhütung meist aus Verunsicherung.“ Viele Mädchen erwarteten trotz sich ändernder Geschlechterrollen immer noch, dass die Jungs die Initiative übernehmen – auch bei der Verhütung. Im Umgang mit Kondomen seien die Jungen aber oft ungeübt und verließen sich dann darauf, dass das Mädchen die Pille nimmt.

Die Vorstellung, das Liebesspiel zu unterbrechen und mit gekonnten Bewegungen ein Kondom auszupacken und überzustreifen, kann Ängste auslösen. Jungen, die sich als cool ansehen, haben Angst, dabei ihre Coolness zu verlieren, Romantiker befürchten, dass die Romantik verloren geht.

Solche Unsicherheiten ließen sich durch eine gründliche Aufklärung im Elternhaus vermeiden. „Intensivere Gespräche mit Jungen, gerade in puncto Verhütung, würden die Risiken ungewollter Schwangerschaften erheblich vermindern“, sagt Braun und fordert: „Über Sexualität sollte zu Hause gesprochen werden, bevor Jungen den ersten Koitus erleben.“

Eine konkrete Verhütungsberatung durch die Eltern erfahren knapp drei Viertel der Mädchen, aber nur 57 Prozent der Jungen, teilt das Bundesamt für gesundheitliche Aufklärung mit. Auch Cheryl Benard und Edit Schlaffer, Autorinnen des Buches „Einsame Cowboys – Jungen in der Pubertät“, sehen männliche Teenager von den Eltern vernachlässigt: Mütter, auch für „Mini-Machos“ die wichtigsten Bezugspersonen, zögen sich zu früh von den Söhnen zurück, aus Angst, sie zu verweichlichen.

Merlind Theile

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