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In dem äußeren Bogen sind Wohnungen und Büros untergebracht, innen befindet sich die riesige Markthalle.

© promo

Rotterdam: Das neue Zentrum der Fantasie

In Rotterdam wurde die spektakuläre „Markthal“ im Beisein der Königin Máxima eröffnet. Das Bauwerk soll zur Renaissance der Stadt beitragen.

Bereits am Morgen hatten sich die ersten Schaulustigen versammelt, um nur ja die Ankunft von Königin Máxima nicht zu verpassen. Die niederländische Regentin höchstpersönlich war zur Eröffnung der „Markthal“ von Rotterdam angekündigt. Der gewaltige Bau, 40 Meter hoch, 70 Meter breit und 114 Meter lang, besetzt eine der letzten großen Freiflächen der Stadt, die bis heute nicht alle Wunden hat schließen können, die die Zerstörung durch die deutsche Luftwaffe im Juni 1940 der Stadt zugefügt hat. Am gestrigen Mittwoch, Punkt 14.45, war es dann so weit – Máxima erklärte die Markthalle für eröffnet. Eine Dreiviertelstunde später erhielt die Öffentlichkeit Zutritt und der Marktbetrieb begann.

Markthallen sind typische Bauten des 19. Jahrhunderts, die sich nach einer langen Phase des Niedergangs heute wieder großer Beliebtheit erfreuen. Rotterdam besaß nie dergleichen. Auf der Trasse einer in den 1990er Jahren abgerissenen Viaduktstrecke der Eisenbahn – die Strecke wurde in einen Tunnel verlegt – etablierte sich nach und nach ein Wochenmarkt, auf dem insbesondere die weniger begüterten Bürger Rotterdams einkaufen. So entstand die Idee, einen täglich geöffneten Markt zu schaffen. Eine Halle, die abends geschlossen wird, kam nach dem auf größtmögliche Offenheit zielenden städtebaulichen Leitbild nicht infrage. So entstand der jetzige Zwitter „Markthal“, teils Markthalle mit 4000 Quadratmeter Fläche für 96 fest installierte Marktstände, teils aber auch Büro- und Wohnbebauung mit immerhin 228 Wohnungen in den beiden, die Marktfläche begrenzenden Flügelbauten, von denen 126 Apartments in den obersten der elf Stockwerke Eigentumswohnungen sind, die übrigen 102 jedoch Mietwohnungen – und bereits lange vor Fertigstellung vergeben.

Der Clou des ist ein 11 000 Quadratmeter großes „Gemälde“

Anders als herkömmliche Markthallen besitzt die „Markthal“ kein glasgedecktes Dach. Vielmehr wird sie von den Flügelbauten überwölbt, die wie ein Gewölbe hoch über den Ständen zusammenwachsen. Tageslicht fällt durch die beiden seitlichen Öffnungen ein, die zum Schutz gegen Wind und Regen ihrerseits verglast sind. Der Clou des 40 Meter hohen Gewölbes aber ist ein „Gemälde“, das die 11 000 Quadratmeter Fläche bedeckt und in Wirklichkeit kein Gemälde von Menschenhand, sondern ein am Computer zusammengesetztes Pixelbild darstellt, das in Tausenden von Puzzlestücken auf anderthalb Meter im Quadrat messende Aluminiumplatten aufgebracht ist und Stück für Stück an der Betonkonstruktion des Gebäudes befestigt werden musste.

Wo es Früchte regnet. Blick von unten an die Flügeldecke.
Wo es Früchte regnet. Blick von unten an die Flügeldecke.

© dpa

Die Rotterdamer Künstler Arno Coenen und Iris Roskam nennen ihr Großbild „Füllhorn“. Dem Betrachter im Erdgeschoss der Markthalle scheint es, als regneten aus dem Himmel alle möglichen Früchte und Gemüse auf ihn herab. Riesige Beeren, Trauben und Schoten ergießen sich von der strahlenden Mitte des Gewölbes in alle Richtungen über die Seitenwände hinunter. Mit Tieren ist das Deckenbild jedoch nur spärlich versehen – da gab es heiße Diskussionen mit den Naturkostanhängern, die die industrielle Tierhaltung der Niederlande kritisch sehen. Andererseits durften auch die für Pflanzen typischen Insekten nicht zu stark vertreten sein, um empfindsame Gemüter nicht abzuschrecken. So finden sich neben Schmetterlingen – mag jeder – lediglich eine Biene – nützlich, aber gefährlich – und eine Raupe – igitt! – in dem farbenfrohen, sommerlich leuchtenden Werk.

Zur Eröffnung hatten sich am Mittwoch auch die meisten Stände – noch nicht alle sind fertig eingerichtet – füllhornmäßig ausgerüstet. Ganze Blumenmeere, Obstberge und Käsestapel locken die Besucher zum Kauf. Zur Sicherheit befindet sich im Untergeschoss des mit seinen Fundamenten und Parkebenen 15 Meter in die Tiefe reichenden Markthallen-Ungetüms ein herkömmlicher Supermarkt. „Wir müssen die Mittelklasse zurück in die Stadt locken“, erläutert Winnie de Maas, der Chef des international renommierten Architekturbüros MVRDV, das siegreich aus dem Wettbewerb von 2004 hervorging, die kommunalpolitische Strategie. Denn wenngleich die Markthalle in der Nähe der im Krieg schwer beschädigten, aber wiederaufgebauten Laurenzkirche und damit im historischen Kerngebiet Rotterdams steht, war die Gegend gegen Ende des 20. Jahrhunderts arg in Verruf geraten. Drogen und Kriminalität nahmen überhand, die bessergestellten Bürger zogen an den Stadtrand, die Bauten der ersten Wiederaufbauzeit der 1950er Jahre verkamen. Diese Fehlentwicklung ist mittlerweile nicht nur gestoppt, sondern sogar umgekehrt worden. Die „Markthal“ ist so etwas wie ein Schlussstein der Renaissance von Rotterdam. Grund genug für Königin Máxima, die Eröffnung vorzunehmen. Und die Stadtoberen freuen sich. Der für die Stadtplanung zuständige Vizebürgermeister Roland Schneider bekannte offenherzig: „Wir lieben sie doch alle!“

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