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Panorama: Rückkehr aus den Sümpfen

Wie soll New Orleans wieder aufgebaut werden? Experten streiten über den Umgang mit der Natur

Die ersten Alligatoren sind schon da. Sie schwimmen zwischen den Häusern und lauern in dem Chaos, das vor einer Woche noch ein Vorgarten war. Nach der Evakuierung von New Orleans, haben jetzt die Versorgung der obdachlos Gewordenen und die Bergung der Toten Vorrang. Doch Katastrophenmanager, Politiker und Naturschützer machen sich gleichermaßen schon Gedanken über die ganz offensichtliche Rückkehr der Natur.

Dennis Hastert, der republikanische Präsident des Abgeordnetenhauses, meint, es sei „verbohrt“, viel Geld in den Wiederaufbau der Kulturmetropole zu stecken, die unter dem Meeresspiegel liegt und immer wieder von Fluten bedroht werden kann. Mark Davis, Umweltschützer aus Louisiana, will – wenn überhaupt – „intelligent wieder aufbauen“ und die Natur einbeziehen: „Wenn wir alles nur wieder aufbauen, wie es war, leben wir in einem Narrenparadies.“

New Orleans liegt ja wie eine Suppenschüssel zwischen dem Mississippi und dem Pontchartrain-See auf einem Gebiet, in dem früher Alligatoren in ausgedehnten Sümpfen lebten und Myriaden von Moskitos wie graue Schleierwolken über dem feuchten Grund schwirrten. Mit vielen Pumpen und Entwässerungskanälen legte man Anfang des 20. Jahrhunderts die gesamte Fläche trocken, Dämme hinderten See und Fluss daran, in die neue Stadt zu strömen. Als der Hurrikan „Katrina“ die Deiche zerstörte, schwappte das Wasser nur in die Gebiete, aus denen es vorher abgepumpt worden war. Aus Feuchtgebieten in der Nähe erkunden jetzt Alligatoren und andere Tiere die neue Wasserlandschaft zwischen Häusern und Autobahnkreuzen: Der Braune Pelikan, das Wappentier von New Orleans, würde in die Stadt zurückfliegen, wenn dort weiter Ruhe herrscht und Nahrung zu finden wäre. Und viele der an die fünfzig giftigen und ungiftigen Schlangenarten würden ebenfalls in den neu entstandenen Sümpfen von New Orleans auftauchen, wenn man sie ließe: Für die Tiere wäre das Katastrophengebiet ein neuer Lebensraum.

Würden die Dämme nicht geflickt und das Wasser nicht abgepumpt, kämen mit der Zeit auch die typischen Sumpf- und Wasserpflanzen zurück und schafften zwischen den Häusern ein typisches Feuchtbiotop, wie Biologen es zum Beispiel aus den Everglades-Sümpfen in Florida kennen. Samen der 25 Meter hohen immergrünen Eichen würden keimen, auf den trockeneren Hügeln würden Palmen sich im Wind wiegen und Magnolienbäume ihren Blütenduft verbreiten. Weitere Überschwemmungen würden an manchen Stellen Häuser und Straßen unter Schlamm und Sandbänken begraben, andernorts die Erde wieder wegschwemmen.

Ein dynamischer Lebensraum entsteht – so nennen Ökologen diese Vorgänge. Der Hurrikan „Katrina“ hätte der Natur neuen Platz geschaffen. Sogar das Klima der Region würde sich etwas verändern. Da Wasser Wärme und Kühle gleichermaßen gut speichert, würde es im Sommer nicht mehr ganz so heiß, aber feuchter und drückender. Die Winter sollten im Sumpf ein wenig milder ausfallen. Für die natürlichen Bewohner eines Feuchtgebietes entstünde dort, wo heute das salzige Wasser aus dem Pontchartrain-See schwappt, also eine Art Paradies.

Ganz anders ist die Situation dagegen für die Haustiere und die Lebewesen aus dem Zoo von New Orleans: Viele von ihnen stammen aus völlig anderen Regionen der Welt und fühlen sich in der neuen Umgebung kaum wohl: Eisbären und Kamele haben in feuchtwarmen Sumpfgebieten kaum Überlebenschancen – wie auch die Hauskatze, die nur Dosenfutter kennt. Sobald die Menschen außer Gefahr sind, werden sich die Rettungskräfte daher auch um Tiere kümmern. Vielleicht finden sie auch den Wurf der Klonkatze wieder, der vor wenigen Wochen zur Welt gekommen ist – die Kätzchen sind zur Zeit die ersten und einzigen Klontiere in freier Wildbahn. Niemand weiß genau, was das bedeutet: entsprechende Freisetzungsversuche gab es noch nicht.

Wenn New Orleans wieder aufgebaut wird, die Dämme geflickt und die Pumpen wieder angelaufen sind, dürften sich die Alligatoren und Pelikane schnell wieder aus den verschlammten Vorgärten verziehen. Die ausgelaufenen Chemikalien dagegen müssen mit teurer Technik aus den trocknenden Böden entfernt werden. Die Kosten dafür kann zurzeit noch niemand vernünftig abschätzen.

Im Laufe der Zeit wird der Regen auch das in die Böden eingedrungene Salz wieder auswaschen. Holländische Experten meinen, erst nach einem Jahr könnte man wieder normale Landwirtschaft betreiben – herkömmliche Nutzpflanzen vertragen nämlich nur wenig Salz. Auch das Grün in Gärten und Parks muss sich vom Salz erholen.

Dann müssten aber auch die Deiche erheblich verstärkt und andere Überflutungsschutzmaßnahmen verbessert werden, damit nicht in zwei, zwanzig oder fünfzig Jahren der nächste starke Hurrikan die gleiche Katastrophe auslöst. Klimaforscher vermuten ohnehin, die Stürme könnten an Gewalt noch um einiges zunehmen, wenn die Temperaturen auf dem Globus weiter steigen.

Dass die Menschen allerdings damit einverstanden wären, eine neue Heimat etwas weiter landeinwärts zu suchen und ihre alte Heimat Alligatoren und Magnolien zurückzugeben, ist unwahrscheinlich. Sicherer wären sie dort allemal: Die Wucht eines Hurrikans lässt mit jedem Kilometer nach, den er landeinwärts vordringt. Auch der neue Sumpf, der einst New Orleans war, würde dann New New Orleans zusätzlichen Schutz geben.

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