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Er geht: Papst Benedikt XVI.

© dpa

Rücktritt von Benedikt XVI.: Ein kühner Schritt

Vermeide jeden Bruch – diese Maxime hat Benedikt XVI. fast ängstlich verfolgt. In wenigen Sätzen ändert er nun mit einem Schlag alles. Nur auf den ersten Blick ist der Papst jetzt davon abgewichen.

Es ist Festtag im Vatikan. Die „Selige, Immerwährende Jungfrau Maria von Lourdes“ soll an diesem Montag gefeiert werden, und weil vor genau 84 Jahren auch die „Lateran-Verträge“ mit Italiens Duce Mussolini geschlossen worden sind, darf der winzige Kirchenstaat gleich auch noch einen Geburtstag begehen. Feierlich sind viele „Herren Kardinäle“ um Papst Benedikt XVI. versammelt; gemeinsam wollen sie die Heiligsprechung von 800 „Märtyrern des Glaubens“ ausrufen. Doch am Ende der dreiviertelstündigen Zeremonie ändert sich mit einem Schlag alles. Ändert Benedikt alles. Die Weltlage. Nicht nur die vatikanische.
Kaum jemand scheint es in Rom gewusst zu haben. Den Vatikan, die gesamte katholische Kirche, trifft die Ankündigung des Papstes unerwartet. Selbst der Pressesprecher, Pater Federico Lombardi, hat sich noch nicht richtig gefangen, als er eine Stunde später der Weltpresse erklären soll, was da passiert ist. Heiter wirkt er – doch sein auffälliges Kichern scheint eher der Verlegenheit geschuldet, der großen Ratlosigkeit, als tatsächlicher Freude.
Die Bewegtheit, die dem vatikanischen Pressesprecher immer mal wieder die Stimme brüchig werden lässt – Benedikt XVI. selber soll sie nicht anzumerken gewesen sein, als er ankündigte, was es in der Kirche schon seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben hatte: den Rücktritt eines Papstes. Deutlich kleiner, dünner geworden ist der schon immer zart gebaute Joseph Ratzinger bereits in den vergangenen Monaten. Aber als er jetzt mit seiner dünnen Stimme diese kurze Erklärung verliest, da scheint er schier unter dem Goldbrokat der breiten, roten Stola zu verschwinden, die er als Zeichen seiner Würde um den Hals trägt. So berichten es jedenfalls die Augenzeugen.

Benedikt XVI. spricht Lateinisch. Es ist die Sprache der Universalkirche, es ist seine Heimat. „Conscientia mea iterum atque iterum coram Deo explorata ...“ Immer und immer wieder, sagt er, habe er sein Gewissen im Angesicht Gottes erforscht und sei dabei „zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben“.
Ist Benedikt krank? Hat der Vatikan wieder mal etwas verheimlicht – wie damals, als die ersten Beobachter bereits ein verdächtiges, unaufhaltsames Zittern an der Hand Johannes Pauls II. bemerkten und die Kurie erst Monate später zugab, das der Papst tatsächlich an Parkinson erkrankt war? Nicht nur Pater Lombardi schließt das – von Amts wegen – aus. Gut, die Augen sind schwächer geworden. Und ja: Er stützt sich schwer auf seinen Gehstock, hat ohne ihn seit einem Jahr kaum den Vatikan verlassen. Bundespräsident Joachim Gauck hat ihm unlängst, als Gastgeschenk, auch noch ein zweites Exemplar ins Haus geliefert. Und er meidet lange Wege. Bei den feierlichen Einzügen zu den großen Festgottesdiensten im Petersdom steht Benedikt inzwischen auf einem fahrbaren Podest.

86 Jahre alt wird Joseph Ratzinger am 16. April. Wenn es ein Wort gibt, das ihn beschreibt, dann heißt dies „Kontinuität“. Und die Maxime, die Benedikt daraus ableitet, die er mit aller Kraft, beinahe ängstlich verfolgt, sie lautet: „Vermeide jedweden Bruch!“ Er war schon 78, als er am 19. April 2005 zum Nachfolger Johannes Pauls II. gewählt wurde; und dieser starb mit 85. Als Ratzinger noch Kardinal war, Chef der Glaubenskongregation, hatte er bereits zwei leichte, offenbar folgenlose Schlaganfälle erlitten; jedenfalls hat sein Bruder Georg das einmal so erzählt.

Was er als Theologe sagen wollte, hat er gesagt

Bei seiner Wahl betete er, so berichtete er später, dass ihm diese Last erspart bleiben möge – vergeblich. Dabei hätte er im Alter nichts lieber getan, als Bücher zu schreiben, ist mehr Philosoph als praktischer Kirchenmann. Seine Doktorarbeit schrieb Benedikt über Augustinus, einen Mann der großen und schweren Gedanken, ewig auf der Suche, die Wahrheit vom Irrtum zu unterscheiden – und das Wesen Gottes zu erkennen. Die Modernisierung der katholischen Kirche, die sich vor allem die Deutschen von „ihrem Papst“ erhofften, blieb aus. Anstatt die Kirche der Welt zu öffnen, schloss sie Benedikt in sich und ihren Gedanken ein. Vor einen Jahr gewährte Benedikt einen seltenen Einblick in sein Innenleben, als er die neuen Kardinäle ernannte, sagte er zu ihnen: „Betet für mich, dass ich das Steuer der Kirche in milder Festigkeit festhalte.“ So sah er sich, als keineswegs harter, aber stoischer Bewahrer in Zeiten, die „von den Wogen des Relativismus hin- und hergeschlagen“ werden. Zuletzt scheint Benedikt sein Arbeitspensum stark eingeschränkt zu haben. Nur eine einzige Reise war für dieses Jahr geplant: die unvermeidliche zum Weltjugendtag nach Brasilien, die „kleinen“ Italientouren waren bereits gestrichen. Seine winzige, gestochene Handschrift, mit der er alle Manuskripte seiner Bücher geschrieben hat, machte einen zunehmend verwaschenen Eindruck.

Aber krank? Krank ist Benedikt nicht. Müde sei er, ausgelaugt, sagt Pater Lombardi, und dann zitiert er, was der Papst im Interviewband „Licht der Welt“ gesagt hat: „Wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten.“

Das war im Jahr 2010, in jenem „annus horribilis“, dem „Schrecklichen Jahr“, in dem weltweit die Missbrauchsskandale in der Katholischen Kirche offenbar wurden. Deswegen ist auch der zweite Satz Benedikts aus jener Zeit bedeutsam. Der Journalist Peter Seewald fragte ihn damals, ob er angesichts der Skandale einen Rücktritt erwogen habe. Die Antwort war eindeutig: „Wenn die Gefahr groß ist, darf man nicht davonlaufen. Gerade in so einem Augenblick muss man standhalten und die schwere Situation bestehen. Zurücktreten kann man in einer friedlichen Minute oder wenn man einfach nicht mehr kann. Man darf nicht in der Gefahr davonlaufen und sagen, es soll ein anderer machen.“ Ist das nun eine friedliche Minute? Oder kann er wirklich nicht mehr? Sein theologisches Lebenswerk hat Joseph Ratzinger unlängst mit seinem dritten Buch über Jesus abgeschlossen; weitere Bücher wurden im Vatikan nicht mehr erwartet. Eine dritte Enzyklika sollte dieses Frühjahr herauskommen – nach seinem päpstlichen „Antrittswerk“ über die Liebe und nach jener über die Tugend der Hoffnung sollte sie vom Glauben handeln. Er tat sich aber schwer mit dem Text, und vielleicht hat Benedikt XVI. darüber beschlossen, dass es Zeit sei, aufzuhören.

Bei Benedikt, das hat sich in seinen knapp acht Jahren immer wieder gezeigt, musste man auch auf die Nebensätze seiner Reden achten; er neigte darin zu professoralen Sticheleien. An jenem Septembertag des Jahres 2006 zum Beispiel, mit dem begann, was bald als ein „Papsttum der Pannen“ galt: Benedikt XVI. provozierte in Regensburg die Muslime, indem er einen mittelalterlichen byzantinischen Kaiser mit den Worten zitierte: „Sag mir doch, was Mohammed Gutes gebracht haben soll, und du wirst nur Schlechtes und Unmenschliches finden ...“ Vielleicht ist ja auch der Tag der Ankündigung bemerkenswert. Die 800 Märtyrer des Glaubens, deren Heiligsprechung Papst und Kardinäle an diesem Montag ausgerufen haben – das waren christliche Bewohner der Stadt Otranto, die bei einem Angriff der Türken im Jahr 1680 abgeschlachtet worden waren. Schließt sich mit der Rücktrittsankündigung an einem für das islamisch-christliche Verhältnis so bedeutsamen Tag etwa ein Kreis? Das Verhältnis zu den Muslimen war zuletzt entspannt – wenn man von der Blockade absieht, die die höchsten theologischen Autoritäten des sunnitischen Islam, die Scheichs der Al-Azhar-Moschee in Kairo über den Vatikan verhängt haben, weil sich der Papst im „arabischen Frühling“ auch dringend für die Rechte der Christen in jenen Staaten eingesetzt hat. Mit anderen Worten: keine Gefahr für den Dialog, aber auch kein Fortschritt. Zeit für eine Zäsur?

Als die Nachricht vom Rücktritt des Papstes nach draußen auf den Petersplatz drang, staunten die Touristen und Gläubigen. Der Schritt von Papst Benedikt XVI. ist nicht nur für seinen langjährigen Wegbegleiter und Freund Max Seckler ein Zeichen der Größe des Kirchenoberhaupts. „Er stärkt damit die Auffassung, dass ein Papst aufhören soll, wenn es ihm die Gesundheit gebietet.“ Benedikts Rücktritt sei für ihn trotzdem „ein Hammer“, gab Seckler zu. „Das ist einer dieser kühnen Schritte, die zu unternehmen er immer fähig war“, sagte er.

In die Geschichte wird er nun auch wegen seines Rücktritts eingehen

Eine Frage, die er nicht gelöst hat, obwohl sie für ihn persönlich von höchster, von schmerzlichster Relevanz war, ist die drohende Kirchenabspaltung der ultrakonservativen Lefebvre-Anhänger, der Piusbrüder. Ihre vier Bischöfe haben 2009, ohne jede Vorleistung, von Benedikt die Befreiung aus der Exkommunikation erhalten. Aber dass sie sich gehorsam der katholischen Kirche und deren höchster Lehrautorität gefügt hätten – keine Spur. Im Gegenteil: Die Brüder wissen, wo’s wehtut, und sie stechen seit Jahren immer wieder sehr präzise in die offenen Wunden. Dass das bei diesem Papst eine schwere Enttäuschung, Verbitterung erzeugt hat, das weiß man. Schließlich wird ein Oberhaupt der katholischen Kirche, so hat es Kardinal Karl Lehmann einmal gesagt, vor dem Horizont der Geschichte danach beurteilt, ob er eine Kirchenspaltung ausgelöst, geheilt oder verhindert habe. Die Pannen dieses Pontifikats, in diesem Falle die der römischen, menschlich-allzumenschlichen Kurie, gipfelten vergangenes Jahr im großen Dokumentenschmuggel „Vatileaks“. Benedikt merkte zu seiner größten persönlichen Enttäuschung, dass ihn sein engster, allgegenwärtiger Diener, der Butler Paolo Gabriele, verraten hatte. Jetzt ist der junge Familienvater zwar überführt, verurteilt, mittlerweile wieder begnadigt – aber die Ermittlungen sind noch nicht zu Ende.

Und was die drei vom Papst persönlich beauftragten Alt-Kardinäle bei ihren Ermittlungen noch alles herausgefunden haben, das hat Benedikt lieber nicht veröffentlichen lassen. Rührt seine Amtsmüdigkeit auch daher? Oder ist es die Resignation eines Vorgesetzten, der merkt, dass er mit einem bürokratischen Apparat nicht zurechtkommt, weil dort am Ende doch jeder macht, was er will, und weil nicht einmal der eigene, oberste Statthalter – der amtierende Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone – genügend Kraft, Intelligenz und Geschick hat, den Laden zusammenzuhalten? Auch Bertone, der im Dezember 78 wurde, ist im vergangenen Jahr sichtlich gealtert; er wird der Nächste sein, der dem Papst in den Ruhestand folgt.

Benedikt XVI., als Kirchenoberhaupt der 265. Nachfolger des Apostels Petrus, wird nun auch wegen seines Rücktritts in die Geschichte eingehen. Johannes Paul II. wollte trotz jahrelangen Leidens nicht, er wollte ein Beispiel des gemarterten Durchhaltens geben. Benedikt hat in seiner Rücktrittsankündigung darauf angespielt, als er sagte, zum Papsttum gehörten „nicht nur Worte und Arbeit, sondern auch das Leiden“, aber er fühlte, dass seine Kräfte nicht mehr reichen. Und vor ihm, in zweitausend Jahren Kirchengeschichte, hat es nur vier Päpste gegeben, die vor ihrem Tod freiwillig aus dem Amt geschieden sind. Der erste war Pontianus. Vom römischen Kaiser Maximinus Thrax nach Sardinien verbannt, verzichtete er auf sein Amt, um der Kirche die Wahl eines neuen Führers zu ermöglichen. Der Termin, an dem Pontianus abdankte – der 28. September 235 –, ist das erste historisch gesicherte Datum der Papstgeschichte.

Am 28. Februar 2013 um 20 Uhr, so genau hat es Benedikt XVI. festgesetzt, endet nun das heutige Pontifikat durch Rücktritt. Und danach? So genau weiß das im grenzenlos verblüfften Vatikan noch keiner. Sprecher Lombardi sagt, bis spätestens Ostern werde die katholische Kirche ihr Konklave abgehalten und einen Nachfolger gewählt haben. Der dann gewesene sechzehnte Benedikt werde an dieser Wahl nicht teilnehmen.

Er wird weiterhin im Vatikan wohnen, in einem kürzlich aufgelösten Kloster, in dem Nonnen in strenger Klausur gelebt hatten. „Er bleibt natürlich Papst, er ist dann Altpapst, Papst emeritus, eine ganz wichtige Person für die Kirche“, sagt der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Und natürlich wird Joseph Ratzinger, der als einer der größten christlichen Theologen gilt, seine persönliche Autorität behalten – an der Seite seines päpstlichen Nachfolgers, und das, wer weiß, womöglich noch für etliche Jahre. Eine solche Situation hat es in der Kirchengeschichte tatsächlich noch nie gegeben. Ob der Nachfolger darüber froh sein kann oder nicht zu beneiden, das muss sich erst herausstellen – vor allem dann, wenn er etwas wagen sollte, was Benedikt XVI. immer auf eine ferne Zeit nach der „großen Glaubenskrise“ verschoben hat: praktische Kirchenreformen.

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