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Panorama: Rufer in die Wüste

Ägypten streitet über laute Muezzins

Für nicht-muslimische Ausländer ist bei der Wohnungssuche in der arabischen Welt ein Faktor wichtig: Die Entfernung zur nächsten Moschee. Denn insbesondere der Gebetsruf zur Morgendämmerung (Fajr), derzeit in Kairo um 5.12 Uhr, beendet den Nachtschlaf der Anwohner unsanft. In der tosenden Metropole Kairo leiden immer mehr ägyptische und muslimische Nachbarn der etwa 3000 Moscheen und Gebetsräume unter den lautstarken Rufen zum Gebet.

Da die Moscheen auf ihre Autonomie bedacht sind und die Uhren der Muezzine nicht gleich gehen, erschallt ihr Ruf in vielen Vierteln mehrfach – jeweils leicht versetzt. Der Religionsminister überlegt nun, einen zentralen Gebetsruf mit beschränkter Dezibelzahl einzuführen. Die Moscheen würden durch ein Netzwerk verbunden und ein Muezzin könnte zentral zum Gebet rufen. Dafür suche man eine „melodiöse Stimme“, erklärte Minister Mahmud Saqsuq in der Tageszeitung „Al Achbar“. Die Alternative sei, dass nur die Hauptmoscheen in jedem Viertel zum Gebet rufen und nicht mehr jeder kleine Gebetsraum.

Doch die Idee, mit der Saqsuq insbesondere Schülern und Menschen, die sich um Kranke kümmern, Ruhe, Konzentration und Nachtschlaf sichern will, stößt auf den Widerstand der Imame. Einmal fürchten die etwa 70000 staatlich angestellten Gebetsrufer um ihre Jobs. Doch Saqsuq versichert, die Muezzine bekämen andere Aufgaben in der Moschee, niemand werde entlassen. Schwerwiegender sind die theologischen Einwände. Ein zentraler Gebetsruf erfüllt nach Ansicht des Professors der Al-Ashar-Universität, Ahmed Sajer, nicht die Anforderungen des islamischen Gesetzes, der Scharia. Der Theologe fürchtet eine Entwicklung, die mit einem Verzicht auf das gemeinsame Freitagsgebet in den Moscheen zugunsten einer im Radio übertragenen Predigt enden könnte.

Der Leiter des Scharia-Fakultät der Al-Ashar-Universität, Abdessabur Schahin, bringt den Widerspruch auf den Punkt: „Wie können sie vorschlagen, die Lautstärke des Gebetsrufs zu senken, wenn er doch zum Ziel hat, die Gläubigen zu wecken, damit sie ihre heilige Pflicht erfüllen können?“ Die Debatte um die Gebetsrufe birgt einen grundsätzliche Frage: In welchem Verhältnis stehen die Ausübung religiöser Pflichten und die Effizienz und Leistungsstärke von Schülern, Arbeitnehmern, der Wirtschaft insgesamt? Wer darf wen behindern? Darf man historisch überlieferte religiöse Bräuche an die Bedürfnisse moderner Großstadtmenschen anpassen?

Sollte der Religionsminister sich gegen die Religionsvertreter durchsetzen, könnte man dies als Beleg für den wirtschaftlichen Reformwillen seiner Regierung interpretieren.

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