zum Hauptinhalt
Mitten in der Stadt. Allein in Bukarest soll es 65 000 streunende Hunde geben. Manche Beobachter schätzen, dass die Zahl weit höher liegt.

© Danile Mihailescu/AFP

Rumänien: Tierschützer protestieren gegen Tötung von Straßenhunden

Tausenden Straßenhunden in Rumänien droht die Todesspritze, nachdem ein kleiner Junge totgebissen wurde. Der Plan bewegt Tierschützer aus ganz Europa.

Sie kommen auf vier Pfoten daher, häufig nachts und in Rudeln. Und beißen zu: Straßenhunde machen den Bürgern in Temeswar das Leben schwer. Patienten mit Hundebissen sind in den Arztpraxen und Kliniken der Stadt an der Tagesordnung. So wie in allen großen Städten Rumäniens. Die Menschen sind machtlos. Der kleine Ionut etwa hatte gegen die Hundemeute keine Chance, die ihn in Rumäniens Hauptstadt Bukarest beim Spielen im Park angriff. Viele hundert Mal wurde der Vierjährige von den Straßenhunden gebissen, regelrecht zerfetzt: Ärzte, die den Jungen nach dem Unfall untersuchten, konnten an seinem Körper kaum einen Fleck ohne Bisswunde ausmachen. Ionut starb an seinen Verletzungen, kurz nachdem die Meute von dem Jungen abgelassen hatte.

Seit der rumänischen Revolution im Dezember 1989 sterben allein in Bukarest pro Jahr im Schnitt vier Menschen an den Folgen von Hundeattacken. Und seit Jahren schlagen alle Versuche fehl, das Problem der streunenden Tiere einzudämmen. Die vermehren sich nämlich wie die Karnickel – und fallen regelmäßig über Passanten her.

Doch damit könnte es nun bald ein Ende haben. Seit der Fall des kleinen Ionut öffentlich wurde, zeigt eine ganze Nation Mitleid mit den Eltern des Vierjährigen. Vertreter aller Parteien kondolieren den Angehörigen, stets politisch ausgewogen und am liebsten vor laufenden Fernsehkameras. Der rumänische Fußball-Verband überreichte den Eltern sogar zwei Freikarten für ein Top-Spiel. Und die Bürger erheben mahnend den Zeigefinger gegen die Politik: Warum geschieht nichts gegen die Straßenhunde?

Neuerdings sind nun Hundefänger in Bukarest und in anderen Städten Rumäniens unterwegs. So schnell wie in diesem Fall wurde noch nie ein Gesetz im rumänischen Parlament durchgepeitscht: Im Rekordtempo verabschiedete die Volksvertretung ein Gesetz, mit dem es dem Straßenhund an den Kragen geht. So einig wie in diesem Fall waren sich die zerstrittenen politischen Gruppierungen um Staatspräsident Traian Basescu (konservative Liberaldemokraten) und Premier Viktor Ponta (Sozialdemokraten) selten: Wird ein herrenloser Hund eingefangen, kommt er für zwei Wochen ins Tierheim. Und meldet sich in diesem Zeitraum weder Frauchen oder Herrchen, droht ihm die Todesspritze. Zum Äußersten entschlossen, wenn es um derlei Fragen der nationalen Sicherheit geht, verkündete Staatspräsident Basescu das neue Gesetz dieser Tage im Cotroceni-Palast – und gab der Hoffnung Ausdruck, dass das Problem der streunenden Hunde ein für allemal gelöst sei.

Der rumäniendeutsche Journalist Werner Kremm bezweifelt, dass dem so ist. Er lebt in Resita, einer alten Industriestadt in Westrumänien, unweit von der Grenze zu Serbien. In den zahlreichen alten Industriebrachen der Stadt haben besonders viele Straßenhunde ein neues Zuhause gefunden. Hunderte, Tausende, vielleicht sogar mehr. Ob sich die Zahl der Straßenhunde in der Millionenstadt Bukarest wirklich nur auf 65 000 belaufe, wie das in den rumänischen Zeitungen derzeit behauptet wird, sei fraglich, sagt Kremm. Er verweist auf andere Zahlen: Jeden Monat würden alleine in Bukarest 9000 Patienten mit Hundebissen in den Kliniken behandelt. Dabei machen die angriffslustigen Straßenhunde keinen Unterschied zwischen Rumänen und Nicht-Rumänen: 2006 bereits biss einer von ihnen einen japanischen Geschäftsmann tot. Das Problem mit den Hunden bestehe schon viel zu lange, sagt Kremm. Und viel zu lange habe sich die Politik mit der Lösung Zeit gelassen.

Dabei gab es immer mal wieder Versuche, der Sache Herr zu werden. Bereits vor rund 15 Jahren schickte derselbe Traian Basescu, der jetzt im Präsidentenpalast das neue Gesetz verkündete, die Hundekiller auf die Straße. Damals war Basescu aber noch nicht Staatspräsident, sondern Oberbürgermeister von Bukarest. In diesem Amt ließ Basescu herrenlose Hunde einsammeln und einschläfern – zumindest die Hauptstadt Bukarest sollte frei von Straßenhunden werden.

Möglicherweise rechnete der damalige Oberbürgermeister der Stadt damals noch mit allenfalls leisem Protest der rumänischen Tierschutzorganisationen. Doch: Es kam Besuch aus Paris. Keine Geringere als Brigitte Bardot ließ sich nach Bukarest einfliegen. Entsetzt über die geplanten Hundetötungen führte sie, gemeinsam mit gleichgesinnten Tierschützern aus allen Ecken Europas, einen Protestmarsch quer durch die rumänische Hauptstadt an. Die Fernsehbilder gingen seinerzeit um die Welt und zogen einen grenzüberschreitenden Aufschrei des Protestes nach sich. Nicht ohne Wirkung: Oberbürgermeister Basescu pfiff seine Hundekiller wieder zurück. Stattdessen, so die Einigung mit Brigitte Bardot, sollten Straßenhunde massenweise sterilisiert werden.

Es kam, wie es kommen musste: Brigitte Bardot flog zurück nach Frankreich, die rumänischen Straßenhunde aber blieben. Und irgendwie zeigten die Bemühungen um die Sterilisation der Streuner keine Wirkung: Es mangelte an Ärzten, vor allem aber auch am notwendigem Bargeld für die Eingriffe. Die Bürger zeigten wenig Einsicht, dafür allzu viel Geld auszugeben. „So ein Unsinn“, erinnert sich ein Rumäne, der seinen Namen lieber nicht nennen will, „totschlagen geht doch viel billiger.“

Vor diesem Hintergrund findet es Werner Kremm „absurd und bizarr“, was er derzeit in den rumänischen Fernsehprogrammen zu sehen bekommt: Die Problematik der rumänischen Straßenhunde sei bereits seit Jahrzehnten bekannt, sagt Kremm. Alle Versuche, dagegen etwas Wirkungsvolles zu unternehmen, seien gescheitert, was möglicherweise daran liege, dass die rumänischen Regierungen solche Versuche allenfalls halbherzig unternommen hätten.

Und ob das jüngste Gesetz gegen die Straßenhunde allzu lange Bestand hat, darf bezweifelt werden. Schließlich hat das rumänische Verfassungsgericht im vergangenen Jahr ausgerechnet Straßenhunde unter Schutz gestellt. Und seit Bekanntgabe des jüngsten Beschlusses bringen sich erneut Tierschützer aus ganz Europa in Stellung – für den nächsten Protestmarsch auf Bukarest.

Thomas Wagner[Temeswar]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false