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Wladimir Kumow, einer der Organisatoren der Fahrrad-Paraden in Moskau, posiert am 10.08.2015 vor einer Station für öffentliche Leihfahrräder in Moskau.

© dpa

Russland: 700 Km mehr Radweg geplant - Radfahren wird zum Trend in Moskau

In einem immer restriktiver werdenden Russland leben die Moskauer zunehmend ihre Freiheit mit dem Fahrrad aus. Wo Radeln früher als lebensgefährlich galt, ist es heute ein hipper Trend. Vielen geht der Wandel aber nicht schnell genug.

Der Moskauer Gartenring mit seinen stellenweise 16 Fahrspuren gleicht eher einer Autobahn als einem sicheren Radweg. Doch alle paar Monate verdrängen Tausende Radler die Autofahrer und nehmen die Straße, eine der Hauptverkehrsadern im Herzen der russischen Hauptstadt, in Beschlag für eine Fahrrad-Parade. Zur jüngsten Auflage der Massenradtour Mitte Juli kamen rund 10 000 Teilnehmer. Viele machten sie mit Kostümen zu einem bunten Spektakel. „Früher wäre so etwas kaum möglich gewesen“, meint Wladimir Kumow, einer der Organisatoren der Aktion. Die Stadt habe sich seit dem Amtsantritt von Bürgermeister Sergej Sobjanin 2010 stark geändert, findet er. „Aber wir stehen immer noch erst am Anfang“, sagt der 30-jährige überzeugte Fahrrad-Aktivist.

Der Millionen-Moloch Moskau mit seinen oftmals endlos verstopften Straßen wird immer fahrradfreundlicher. Experten schätzen der Zeitung „Rossijskaja Gaseta“ zufolge, dass inzwischen bis zu 200.000 Menschen der größten Stadt Europas mit rund 12 Millionen Einwohnern regelmäßig Rad fahren. Zum Vergleich: Die Moskauer Metro befördert jeden Tag rund 9 Millionen Menschen; etwa 700 000 Autos dürften zudem täglich zur gleichen Zeit durch die Straßen der Moskwa-Metropole rollen. Ein Massenphänomen ist das Radeln damit noch nicht, doch die Stadtverwaltung gibt sich zufrieden. „Während wir früher bestenfalls außerhalb der Stadt Rad fuhren, bewegen sich heute viele Moskauer im Zentrum mit dem Fahrrad fort und fahren damit zur Arbeit“, schwärmt Vize-Bürgermeister Maxim Liksutow. Rund 280 Kilometer Radwege wurden nach Behördenangaben bereits gebaut und weitere sind in Planung. Wer kein eigenes Rad hat, kann sich für kleines Geld an einer von gut 300 Stationen ein öffentliches für eine Kurzstrecke leihen und an einer anderen Station wieder abgeben. Auch viele Parks bieten für die Freizeit Mietstationen.

300 Unfälle pro Tag im Straßenverkehr in Moskau

„Für die Moskauer ist das Rad ein wichtiger Teil der modernen Stadtkultur - eine der positiven Veränderungen der vergangenen Jahre in der Hauptstadt“, teilt Liksutow mit. Eine blaue Säule am Ufer des Moskwa-Flusses dokumentiert den Trend. Hier schlängelt sich einer der idyllischsten Radwege der Stadt an der Promenade entlang. Mit Sensoren zählt die Säule, wie viele Zweiräder täglich und im Jahr an ihr vorbeisausen. An einem sonnigen Vormittag zeigt sie 170 für den Tag an und 95.601 seit Beginn des Jahres. Mehr als 20 kommen innerhalb einer Dreiviertelstunde hinzu. Maria passiert die Säule auf dem Weg ins Büro. „Im Sommer will ich möglichst jeden Tag das Rad nehmen“, sagt sie. Trotz aller Begeisterung ist sie sich auch der Gefahren bewusst, die im Straßenverkehr lauern. „Radwege wie diesen hier gibt es leider fast nirgendwo in der Stadt“, schildert sie das Problem. Moskau sei längst nicht so weit wie westeuropäische Städte. „Einfach auf der Straße zu fahren, ist bei uns viel zu gefährlich“, sagt sie mit Blick auf die oft rücksichtlos rasenden Autofahrer. Die Polizei geht von bis zu 300 Unfällen pro Tag im Straßenverkehr aus.

Auch Rad-Aktivist Kumow reichen die Bemühungen der Stadt längst nicht aus. Die wenigen Radwege im Zentrum seien nicht mehr als „Make-Up“, um Moskau zu verschönern, findet der studierte PR-Manager. „Vielleicht machen sie auch die Stadt nur lebenswerter, damit die Menschen weniger an Politik denken“, mutmaßt er. In den vergangenen Jahren hat die russische Führung durch scharfe Gesetze Opposition und Zivilgesellschaft immer weiter eingeschränkt. Beobachter schließen nicht aus, dass Moskaus Charmeoffensive mit Radwegen, aufgepeppten Parks und neuen Fußgängerzonen bei den Bewohnern der Hauptstadt Unzufriedenheit vorbeugen soll. „Wenn man wirklich etwas ändern wollte, müsste man die Wohnviertel mit dem Zentrum verbinden, damit die Leute wirklich sicher mit dem Rad zur Arbeit fahren können“, findet Kumow. Auch gebe es zu viele Stufen und andere Hindernisse, die Radlern das Leben schwer machten.

700 Kilometer Radwege will Moskau bis 2020 bauen. Kumow glaubt nicht daran. Trotzem wollen er und seine Mitstreiter in der Organisation Let's bike it! mit ihren regelmäßigen Paraden weiter für das Zweirad werben. Die nächste Auflage, die siebte Parade seit 2012, ist für den 6. September geplant. Kumow hofft auf bis zu 20 000 Teilnehmer. Außer zu seinen Massentouren steigt Kumow in Moskau aber kaum selbst aufs Fahrrad. „Ich nehme lieber die Metro. Ich werde erst Radfahren, wenn die Straßen sicher sind und es weniger Stufen gibt.“ (dpa)

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