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Panorama: Russland an der Themse

Millionäre und Milliardäre flüchten aus Putins Machtbereich – nach London. Dort kaufen sie nicht nur Fußballclubs

Von Matthias Thibaut,

London

Im letzten Jahr war er noch der zweitreichste Mann Russlands. Jetzt führt Roman Abramovitch die „Sunday-Times"-Liste der britischen Großverdiener an – mit einem auf 564 Millionen Pfund geschätzten Jahresverdienst. Das reichte, wie wir wissen, für den Kauf des Londoner Fußballclubs Chelsea FC und einen Strauß millionenteurer Spieler dazu.

Abramovitchs „Chelski"-Investitionen belaufen sich inzwischen auf über 200 Millionen Euro. Doch nicht deshalb taucht der russische Oligarch mit seinem schätzungsweise sechs Milliarden Dollar schweren Vermögen in der britischen Reichenliste auf, sondern weil er London und Südengland zu seiner Geschäfts- und Lebensbasis gemacht hat. Wie rund 750 andere russische Multimillionäre der Oligarchengeneration. „Wenn man in Russland reich ist, wird man schlecht angesehen. Hier ist es o.k. Deshalb bin ich gerne hier", erklärte der 37-jährige Milliardär die schlichte Liebe zu seiner englischen Wahlheimat.

Vielleicht hätte Oligarchenkollege Michail Chodorkowskij diesen Rat beherzigen sollen. Der reichste Mann Russlands sitzt, wegen seiner politischen Ambitionen, in Moskau unter Betrugsverdacht im Knast.

Abramovitch dagegen hat sein russisches Vermögen zu einem signifikanten Teil abgezogen und über seine Holding Millhouse Capital, Sitz am Londoner Picadilly, in Sicherheit gebracht. Er verkaufte seine Hälfte an „Russian Aluminium" und den 26 Prozent Anteil an Aeroflot und trat seinen Anteil am Ölgiganten Sibneft an Chodorkowskijs Jukos ab. Allein mit dem RusAL-Ertrag – drei Milliarden Dollar – könnte er die ganze englische erste Fußball-Liga kaufen.

Mit seiner Sympathie für Geld und Reichtum übt London eine magnetische Anziehungskraft auf die reichen Russen aus. Bentleys und teure Privatschulen, Bond Street Boutiquen und die Jagdgewehre von Purdey & Sons, Fasanenjagd auf den Salisbury Plains, Polo in Berkeshire und für die Kultur das ganz von Exilmusikern bestückte „russische Kammerorchester London". In den letzten zwei Jahren ist der Strom spürbar angeschwollen. Die britische Botschaft in Moskau stellte im letzten Jahr 13 Prozent mehr Visa aus. Erhielt 1992 gerade ein Russe die britische Staatsbürgerschaft, waren es im letzten Jahr 806. Wozu vielleicht auch diese aufschlussreiche Statistik von der russischen Nationalbank passt: Im dritten Quartal 2003 betrug der Nettokapitalabfluss aus Russland 7,7 Milliarden Dollar – im Quartal zuvor waren nur 3,4 Milliarden Dollar aus Russland überwiesen worden.

Seit Abramowitchs Söhnchen im Sommer in einem Minardi Formel I Boliden fotografiert wurde, sagt man ihm Interesse an einem Einstieg in den Motorsport nach. Dafür sollen sich die Oligarchenkollegen Wladimir Potanin und Abramovitchs Geschäftspartner Oleg Deripaska Gerüchten zufolge für den Einstieg bei Londons zweitem Fußballclub Arsenal interessieren.

Goldene Bezirke

Abramovitch besitzt als Großbritanniens Superverdiener Nummer 1 heute ein 170 Hektar großes Luxusanwesen in West Sussex und eine Wohnung am Lowndes Square in Knightsbridge. Das sind nur ein paar Minuten mit dem Bentley zum Chelsea Stadion und ein Katzensprung zum Lanesborough Hotel, wo Barkeeper Salvatore Calabrese den jungen russischen Superreichen Cognac Napoleon 1812 kredenzt – das Jahr, in dem der Kaiser in Moskau einmarschierte. Das Glas kostet 1000 Pfund. Aber der Barmanager hat Verständnis. „Hundert Jahre hatten die Russen nichts. Warum sollen sie es nun nicht auch einmal gut haben".

Einer der Ersten der Superreichen, der sich nach London absetzte, war Jeltsin-Finanzier Boris Beressowskij. Im Frühjahr verlangten die russischen Behörden seine Auslieferung wegen Betrugsvorwürfen – ein britisches Gericht gewährte Beressowskij und seiner rechten Hand, Juli Dubow, politisches Asyl.

Was der Senior der Oligarchen heute außer der Vermögensverwaltung in London macht, ist nicht ganz klar. Offenbar gehört aber Immobilienhandel dazu: Sein erstes Haus in London kaufte er bereits vor sieben Jahren. Nun hat es sich im Wert verdoppelt. „Wenn man Geld verdienen will, muss man im obersten Preissegment kaufen", riet Beressowskij nachziehenden Landsleuten.

„Es werden von Jahr zu Jahr mehr", freut sich Joanna Vickery von Sotheby über die russischen Kunstkäufer in ihren Londoner Auktionen. Die Auktion russischer Malerei im Mai brachte Rekordumsätze. Denn die teuren Wohnungen in den „goldenen Bezirken" Londons wie Knightsbridge und Belgravia müssen auch eingerichtet werden. „Für jeden Abramovitch kommen Dutzende weniger bekannte, aber schwindelerregend reicher Russen", weiß Inneneinrichter Nicky Candy. Ein Drittel der ausländischen Wohnungskäufer, schätzt Immobilienmakler FD Savill, sind Russen. „Sie sind die neuen Araber", frohlocken die Makler.

Auf 250 000 wird die russische Exilgemeinschaft heute geschätzt. Kindermädchen und Delikatessen-Läden annoncieren in der Lokalzeitung der Russen, dem „London Courier". Sie haben ihre Restaurants, ihre Nachtclubs.

Die russisch-orthodoxe Kirche in Chiswick konnte sich schon ein neues Dach leisten. Graf Andrei Tolstoi, ein Nachkomme des Dichters, der als Kassenwart für das Sammeln der Renovierungsgelder zuständig ist, freut sich, wie gut sich die alten Exilrussen und die Neuankömmlinge mischen: „Es scheint, wir haben den Bürgerkrieg gegen die Bolschewiken doch noch gewonnen".

Londons Russen sind nicht wodkabesessene Rauhbeine und klischeehafte Wasserstoffblondinen, sondern kultivierte Leute, die britische Lebensart und Tradition hochhalten. Die beste Karriere schaffte wohl die 21-jährige Natalia Vodianova, Supermodel und das Gesicht von Calvin Klein. In weniger als zehn Jahren führte ihr Weg von der russischen Provinzstadt, in der sie der Mutter Gemüse verkaufen half, nach Knightsbridge. 3,6 Millionen Pfund soll „Super Nova" nach der Liste der „Sunday-Times"-Gehaltsliste im letzten Jahr verdient haben. Und nicht nur das. Die Ehe mit dem Sohn und Erben des neunten Lord Portman hat die 21-jährige blonde Russin direkt ins Herz der britischen High Society geführt.

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