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Sicherheitskräfte und Helfer tragen einen Schwerverletzten aus der Moskauer U-Bahnstation.

© dpa

Update

Russland: Mindestens 20 Tote bei U-Bahnunglück in Moskau

Beim schwersten Unglück in der Geschichte der Moskauer Metro sterben mindestens 20 Menschen. Mehr als 160 Personen sind verletzt. Die Ursache des Unglücks ist noch unklar.

Die Rettungshubschrauber des Ministeriums für Katastrophenschutz landen direkt am Ausgang der Moskauer Metrostation „Park des Sieges“ auf einer Grasfläche. Dann starten sie wieder Richtung Krankenhaus, kaum dass uniformierte Rettungsmannschaften und Sanitäter in blauen Kitteln die Tragen mit den Schwerverletzten an Bord gehievt haben. Auch Psychologen haben gut zu tun: Nach einem mehrere hundert Meter langen Marsch durch den spärlich beleuchteten Tunnel auf den Schwellen der U-Bahn-Gleise sacken viele Menschen auf den letzten Stufen der Treppe, die nach oben ans Tageslicht führt, lautlos in sich zusammen.

Der Unfall am Dienstag ist der bisher schwerste der Moskauer Metro, die vor fast achtzig Jahren ihren Betrieb aufnahm. 20 Tote, mehr als 160 Verletzte, vierzig davon in kritischem und sehr kritischem Zustand, zählen die Helfer am Mittag nach Abschluss der dreistündigen Rettungsarbeiten. Mitten im morgendlichen Berufsverkehr kurz vor neun Uhr Moskauer Zeit – in Mitteleuropa war es kurz vor sieben – entgleisten im Tunnel zwischen den Stationen „Slawjanski Boulevard“ und „Park des Sieges“ drei Wagen eines U-Bahnzuges und schoben sich beim Umkippen ineinander. Um die rund 200 Insassen zu befreien, mussten die Retter schwere Hydraulik zur Unfallstelle bugsieren und teilweise sogar Schneidbrenner einsetzen. Als sie sich endlich ins Wageninnere vorgearbeitet hatten, war es für fünf Schwerverletzte bereits zu spät.

Fahrgäste machten Handy-Fotos vom Rauch

Noch herrscht Unklarheit über die Ursache des Unglücks in Russland. Fest steht bisher nur, dass sich die Automatik für die Notbremsung einschaltete. Irrtümlich, wie es in der offiziellen Erklärung heißt. Warum dies geschah, müssen die etwa hundert Ermittler, die zurzeit im Einsatz sind, noch herausfinden. Momentan gibt es zwei Versionen: Rauchentwicklung, dokumentiert auch durch Handy-Fotos von Augenzeugen, die sie bereits in virtuelle soziale Netzwerke hochluden, oder Gegenstände auf den Gleisen. Der Anfangsverdacht – ein Spannungsabfall in der Stromschiene, der den Zug jäh zum Stehen brachte – bestätigte sich nicht.

Bürgermeister Sergei Sobjanin ist vor Ort und sagte den Opfern großzügige Entschädigungen und die Übernahme der Bestattungskosten zu. Präsident Wladimir Putin, der im brasilianischen Fortaleza gerade am Gipfel BRICS-Staaten, der am weltweit am schnellsten wachsenden Schwellenländer teilnimmt, lässt sich laufend Bericht erstatten und fordert lückenlose Aufklärung. Russland ist Gastgeber der nächsten Fußball-WM 2018 und will auch deshalb die Metro weiter ausbauen. Sicherheitsbedenken der Fifa und der internationalen Öffentlichkeit kämen da höchst ungelegen – und sind eigentlich auch nicht begründet.

Das System galt als sicher

Trotz in die Jahre gekommener Technik gab es bisher nur einen größeren, technisch bedingten Unfall mit acht Toten und zahlreichen Verletzten. Bei der Fahrt in die Tiefe waren 1982 die Bremsen einer Rolltreppe ausgefallen. Auch kam es zu Terroranschlägen tschetschenischer Separatisten mit Dutzenden Toten und hunderten Verletzten. Der erste Anschlag, von den damaligen Machthabern totgeschwiegen, fand bereits 1977 statt. Nach dem letzten – dem Doppelanschlag von März 2010 – wurden alle Bahnhöfe mit Beobachtungskameras ausgerüstet. Die Polizeiwachen wurden vom Eingangsbereich über der Erde auf die Bahnsteige verlegt. Doppelposten mit Spürhunden, die auf Sprengstoff dressiert sind, patrouillieren nun regelmäßig in den Zügen, wodurch Gewalt und Vandalismus merklich zurückgegangen sind.

Inzwischen zählt die Moskauer Metro nicht nur zu den größten, sondern auch zu den technisch zuverlässigsten und sichersten Untergrundbahnen weltweit. Ihr Streckennetz umfasst 235 Kilometer mit insgesamt 186 Stationen. Täglich befördert sie mehr als neun Millionen Fahrgäste, jährlich sind es knapp 2,5 Milliarden. Allein die über 45 Kilometer lange Unglückslinie drei, die den Westen mit dem äußersten Südosten verbindet, nutzen täglich fast 750.000 Menschen.

Zwar wurde ihr erster Teilabschnitt schon 1938 in Betrieb genommen., doch der nach dem Unfall vom Dienstag gesperrte Teil wurde erst zwischen 2003 und 2009 gebaut und gehört zu den modernsten. Er liegt bis zu 84 Meter tief unter der Erde. Die Rolltreppe auf dem Unglücksbahnhof „Park des Sieges“ ist mit 126 Metern die längste weltweit. Und vor allem auf dieser Strecke fahren die neuen Leichtbauzüge der Serie „Rusitsch“, deren Führerstand an das Cockpit moderner Passagierflugzeuge erinnert. Spielte die Bordelektronik gestern womöglich verrückt? Der wichtigste Zeuge kann nicht mehr befragt werden. Der Zugführer ist unter den Toten.

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