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© Mareike Aden

Russland: Zwei Obamas für Absurdistan

So ein Schwarzer macht sich gut, dachte die Regierungspartei in Russland. Aber dann wurde ihr die Sache unheimlich. Nun versucht sie einen schwarzen Politiker durch einen anderen auszutauschen.

Manchmal fragt sich Joakim Krima aus Guinea-Bissau, wie das geschehen konnte: Vor Kurzem war er Inhaber eines kleines Gemüsestandes in der russischen Provinzstadt Srednaja Achtuba, im Südwesten des Landes. Zwar ist er aufgefallen mit seiner schwarzen Haut, aber die Menschen hier hatten sich an ihn gewöhnt und ihm sogar einen russischen Spitznamen gegeben: Wasilij Iwanowitsch. Schließlich wohnt er schon zwölf Jahre in ihrer Stadt, hat einen russischen Pass und spricht fließend Russisch – er war einer von ihnen.

Dann aber geriet er in das Räderwerk russischer Politik – und fand Gefallen daran. Diese Geschichte handelt von einem couragierten Mann, sie handelt von Putins allmächtiger Regierungspartei, Intrigen und einem zweiten Schwarzen, der ein bisschen wie Obama aussieht.

Seit Joakim Krima, der erste Schwarze dieser Geschichte, ein 37 Jahre alter gebürtiger Afrikaner, in seinem Bezirk für die Regionalwahlen kandidiert, kommen Journalisten aus der ganzen Welt nach Srednaja Achtuba, rund 50 Kilometer von Wolgograd entfernt. Sie wollen mit dem Mann sprechen, dem auch die Medien einen Spitznamen verpasst haben: „Der russische Obama“. Joakim Krima ist vor 20 Jahren als Student nach Russland gekommen ist, heiratete dort und ist nun einer von 100 000 Afrikanern im Land.

Er führt seine Besucherin aus Deutschland auf den Gemüsemarkt an der Landstraße nach Srednaja Achtuba. Hier wurde er entdeckt, zwischen Wassermelonen und Zwiebeln: Ein PR-Berater, der der Kreml-Partei Einiges Russland nahesteht, kaufte an dem Stand ein, wo Krimas aus Armenien stammende Frau gerade den Müll zusammenfegt.

„Ich war von Obamas Sieg in den USA inspiriert“, erinnert sich PR-Berater Wladimir Kritzki an diesen Tag – und gibt zu, dass er von Anfang an ein bestimmtes politisches Ziel verfolgte: Bei Krima sollten die Protestwähler der Region ihre Luft ablassen können. Er sollte als zusätzlicher unabhängiger Kandidat antreten, ohne den Sieg des langweiligen Hauptkandidaten von Putins Regierungspartei Einiges Russland zu gefährden. Denn die Unzufriedenheit ist hoch in Srednaja Achtuba, wo viele Häuser weder an Gas- noch an Wasserleitungen angeschlossen und die meisten Straßen Staubpisten sind.

Vor allem: So ein gebildeter Schwarzer macht sich gut für Russland, zeigt, wie weltoffen dieses Land ist, zeigt dem westlichen Ausland, das sonst immer über diese Halbdemokratie lästert, dass auch hier einem Schwarzen alle Türen offenstehen.

Joakim Krima, der zwei Hochschulabschlüsse hat und fünf Sprachen spricht, macht seine Sache gut. Gut für die Partei. Denkt sie. Krima, ihr Hof-Obama, lässt keine Gelegenheit aus, Putin und die Kreml-Partei in höchsten Tönen zu loben. Etwas Besseres schien den Mächtigen in der Region nicht passieren zu können. So ein weltgewandter Schwarzer ist gut für die Imagepolitur – sowohl in Russland wie auch im Westen.

Aber jetzt wird ihr der Mann unheimlich. Neben seinem auffallend lauten Lob für Staat und Partei spricht Krima auch offensiv Themen wie Rassismus und Korruption an – und das auf unerhört souveräne und humorige Weise. Den Vorurteilen, die viele Russen gegenüber Menschen mit schwarzer Haut haben, begegnet er mit Ironie: „Ich werde wie ein Neger schuften und korrupte Beamte werde ich aufessen!“, ruft er in die Menge und lacht dabei. Er benutzt ausdrücklich das Wort „Neger“ und spielt mit kolonialistischen und rassistischen Klischees. Die Menschen auf dem Gemüsemarkt, die sich um ihn geschart haben, klatschen. Sein Lob für Wladimir Putin und die Kreml-Partei, gemischt mit offensiver Kritik – dieses Konzept macht ihn unangreifbar. „Seine Beliebtheit macht der Regionaladministration und denen, die das politische Phänomen Krima erschaffen haben, Angst“, sagt der Wolgograder Journalist Andrej Serenko, der die Geschehnisse von Beginn an verfolgt hat. Krima nach der anfänglichen Förderung die Registrierung zur Wahl zu untersagen – eine in Russland oft verwendete Strategie gegen unliebsame Kandidaten – war wegen des weltweiten medialen Interesses mittlerweile unmöglich. Was tun?

Laut Umfragen hat Krima gute Chancen, bei den Wahlen am 11. Oktober den Einzug ins Regionalparlament zu schaffen – als wohl erster schwarzer Politiker in Russland überhaupt. „Man braucht eine Waffe gegen diesen Obama Nr. 1 – der ja ursprünglich auch als Waffe gedacht, aber außer Kontrolle geraten ist“, sagt Serenko.

So tauchte ganz plötzlich ein zweiter Möchtegern-Obama als Kandidat auf: Der 34-jährige Architekt Phillip Kondratjew aus Wolgograd. Er hat eine russische Mutter, einen Vater aus Ghana – und sieht doch tatsächlich ein bisschen wie der amerikanische Präsident aus. „Viele sagen, dass wir uns ähnlich sehen“, sagt er und lächelt ein breites, charmantes Lächeln. Doch anders als der junge Barack Obama hat der Wolgograder Architekt sich bisher nicht für Politik interessiert. Dabei schrieben russische Medien, dass sein Vater bis vor Kurzem in der Regierung von Ghana aktiv gewesen sei. „Lassen wir doch meinen Vater, den habe ich nie gesehen“, sagt er, lächelt wieder und beginnt einen langen, umständlichen Vortrag darüber, wie er der Region helfen will.

Einen zweiten Schwarzen zu suchen, der gegen den außer Kontrolle geratenen ersten Schwarzen antritt, und der außerdem noch wie Obama aussieht, einen solchen Einfall muss man erst mal haben. Dass die Kandidatur des zweiten Schwarzen kein Zufall ist, darin sind sich Beobachter einig. „Hinter ihm stehen Leute, die Krimas Wahlerfolg verhindern wollen – vielleicht sogar die Regionaladministration selbst“, vermutet der Journalist Serenko. Obama-Doppelgänger Phillip Kondratjew bestreitet jedoch, einflussreiche Mitstreiter zu haben. Nur sein Gewissen habe ihn dazu bewegt, anzutreten: „Nur ich kann sagen, dass Krima inkompetent ist, weil auch ich dunkle Haut habe. Ich darf das“, sagt Kondratjew.

Die beiden Kandidaten kennen sich übrigens persönlich; sie lernten sich vor langer Zeit einmal auf dem Gemüsemarkt kennen. Krima lud Kondratjew damals sogar zu sich nach Hause ein. „Schließlich sind wir beide Afrikaner“, sagt der Architekt, der den Besuch jedoch immer wieder verschob. Ob die Einladung wohl noch gilt? Kondratjew weiß es nicht. Schließlich war das vor dem Wahlkampf, als noch keiner der beiden eine russische Kopie von Obama sein wollte – oder sollte.

Mareike Aden[Wolgograd]

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