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© dpa

S-Bahn-Mord: Seiner Courage die Ehre

Nach dem Mord an einem couragierten Bürger in München ist das Land berührt - und fragt, wie die Täter derart verrohen konnten.

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Er sei „berührt, innerlich aufgewühlt“, sagt Ludwig Robald, der Bürgermeister von Ergoldsbach, wo Dominik Brunner, das Opfer zweier junger deutscher Schläger an der Münchner S-Bahnstation Solln, herkam. Aufgewühlt ist, wer nicht weiß, warum etwas Furchtbares passieren musste. Man sieht den Dingen nicht auf den Grund, und zumindest in diesem Punkt sind sich auch am Montag in München und in Deutschland alle einig, die darüber reden und nachdenken, warum am Samstagnachmittag auf dem Bahnsteig einer sehr gediegenen Vorstadt von München ein 50-Jähriger von zwei jungen Männern zu Tode geprügelt worden ist.

Das ganze Land ist berührt von dem Schicksal des couragierten Opfers. Dominik Brunner, früher Personalleiter und nunmehr Vorstandschef der Aktiengesellschaft der Erlus-Ziegelfabrik in Ergoldsbach, im Niederbayerischen in der Nähe von Landshut gelegen, hatte, so viel ist nach Polizeiangaben mittlerweile bekannt, vier Jugendliche vor Markus Sch. (18 Jahre) und Sebastian L. (17 Jahre) in Schutz nehmen wollen. Die beiden Pärchen waren von der Station Donnersberger Brücke in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes von den beiden jungen Männern konsequent bedroht, eingeschüchtert und wiederholt um Geld angegangen worden.

Der Bürgermeister Ludwig Robald rühmt an Dominik Brunner vor allem, dass er „eine soziale Ader gehabt“ habe. Mitgefühl und Zivilcourage jedenfalls werden es wohl gewesen sein, die ihn in der S-Bahn dazu bewegten, die Jugendlichen in Schutz zu nehmen. Der Mann versucht zu vermitteln. Als die jungen Männer von ihren Opfern trotzdem nicht ablassen wollen, verständigt er den Notdienst der S-Bahn. Den vier Jugendlichen, die ursprünglich am Harras aussteigen wollen, bietet er an, sie bis nach Solln zu schützen, um dort mit ihnen den Zug zu verlassen. In Solln hat der Geschäftsmann eine Wohnung in einem Vier-Parteien-Haus.

Markus Sch. ist, wie sich später herausstellen werden wird, leicht angetrunken (die Polizei stellt 0,89 Promille Alkohol fest). Sebastian L. ist nüchtern. Markus Sch. ist vorbestraft wegen Dienstahls und Körperverletzung und zuletzt verurteilt worden wegen räuberischer Erpressung, er hat die Strafe in der Haftanstalt Stadelheim verbracht. Sebastian L. ist in einer Einrichtung für drogenabhängige Jugendliche, dem „Easy Contact Haus“, untergebracht, einer therapeutischen Wohngemeinschaft für Heranwachsende.

Als Dominik Brunner mit den vier Jugendlichen die S-Bahn in Solln verlässt, schlagen Markus Sch. und Sebastian L. nach Zeugenaussagen noch auf dem Bahnsteig mehrmals zu und treffen wohl wiederholt den Kopf ihres Opfers. Nach ersten Hilfsmaßnahmen von Passanten trifft auch die Polizei in Solln ein. Dominik Brunner stirbt später im Krankenhaus Großhadern. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, für die ein Mord aus niederen Beweggründen vorliegt, leitet wiederum Laurent Lafleur, der bereits den Münchner Prozess gegen Serkan A. und Spyridon L. maßgeblich geprägt hat. Der U-Bahnhof Arabellapark erlangte damals traurige Berühmtheit, als auf einem grobkörnigen Videomitschnitt der Überwachungskameras zu sehen war, wie kurz vor Weihnachten 2007 ebenfalls zwei junge Männer einen 76-jährigen pensionierten Lehrer zusammenschlugen und den am Boden Liegenden malträtierten, nachdem dieser sie zuvor im Waggon gebeten hatte, die Füße vom Sitz zu nehmen und nicht zu rauchen, weil das in der U-Bahn verboten sei. Beide Täter waren den Jugendbehörden und der Polizei bekannt gewesen. Wegen Mordversuchs wurde Serkan A. nach Erwachsenenstrafrecht zu zwölf Jahren Haft verurteilt, Spyridon L., zur Tatzeit noch minderjährig, zu achteinhalb Jahren Haft. Im Internet beklagen viele, dass die Stadt München ihre hohen Einnahmen beim öffentlichen Nahverkehr nicht darauf verwende, für ausreichende Sicherheit zu sorgen. Immerhin jedoch hatte das Urteil gegen Serkan A. und Spyridon L. insofern Folgen gehabt, als die Verkehrsgesellschaft in der U-Bahn Schritt für Schritt den Empfang von Mobiltelefonen ermöglichte.

Fraglich bleibt, wie die jetzigen Täter derart verrohen konnten. Bei Markus Sch. erscheint denkbar, dass die brutalen Texte von Gangster-Rappern die Neigung zur Gewalt verstärkt haben könnte. Der 18-Jährige hatte sich im Internet zur härteren Variante von Hip-Hop-Musik bekannt. Markus Sch. posierte da nicht nur mit finsterem Blick und dem tätowierten Schriftzug „Hip Hop“ auf einem Arm. Er gab in einer Art Selbstauskunft auch preis, „wen will ich mal treffen“: Rap-Helden wie Snoop Dogg, Dr. Dre, Tupac, Eminem und Azad. Azad droht in einem Lied: „Ich hämmer dir die Zähne aus deiner verfickten Fresse“. Und: „Du kleiner Pisser, ich bin Killer und radier dich aus“. Der Song heißt „Blackout“ und erschien auf Azads Album „Der Bozz“. Es wurde Ende 2005 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert.

Auch der Kriminologe Klaus Boers warnt vor der Gefahr, die von brachialen Rap-Songs ausgeht. „Bei gewaltbereiten Jugendlichen können solche Texte zur Verstärkung der Aggressivität führen“, sagte der Direktor des Instituts für Kriminalwissenschaften der Universität Münster dem Tagesspiegel. Entscheidend sei allerdings, welche Gewalterfahrung der Jugendliche schon gemacht habe, bevor er mit dieser Musik in Berührung kam.

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