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Pawel Dmitritschenko war Star-Tänzer des Bolschoi-Balletts. Hier ist er als Iwan der Schreckliche auf der Bühne zu sehen. Am Dienstag wurde er zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt, weil er der Anstifter für das Säure-Attentat auf seinen Chef am Theater gewesen sein soll.

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Säure-Attentat in Moskau: Von der Bühne ins Straflager

Im Prozess um den Säureangriff auf den Ballettchef des Bolschoi-Theaters wurde der Startänzer zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Im Prozess um den Säureanschlag auf den künstlerischen Direktor des Moskauer Bolschoi-Theaters sind am Dienstag alle drei Angeklagten schuldig gesprochen worden. Sowohl der Mann, der Sergei Filin, dem Ballettchef des Bolschoi, am 17. Januar vor dessen Stadtvilla auflauerte und Säure ins Gesicht kippte, als auch sein Helfer und der Auftraggeber: Meistertänzer Pawel Dmitritschenko. Dieser kassierte sechs Jahre Haft in einem Straflager, seine Mittäter kommen für zehn und vier Jahre hinter Gitter.

Nach einer Zivilklage hatte Filin, der nach dem Anschlag in Deutschland behandelt wurde und 23 Operationen hinter sich hat, bereits Entschädigungen im Wert von 3,5 Millionen Rubel (knapp 80 000 Euro) erstritten.

Das Tatmotiv war aus Sicht des Gerichts schnöde Rache. Dmitritschenko, den das Bolschoi 2002 als Solisten verpflichtete, soll mit Ballettchef Filin ständig im Clinch gelegen haben. Mal ging es um die Besetzung von Hauptrollen – er sah sich und seine Freundin ständig benachteiligt –, mal um Choreografisches.

Die Öffentlichkeit reagierte zwiespältig. Dmitritschenko hatte die Vorwürfe bis zum Ende zurückgewiesen. Erst am Montag hatten Mitglieder der Truppe, darunter mehrere namhafte Solisten, sich mit ihrem Kollegen solidarisiert. Er sei hilfsbereit, umgänglich, nett, bei allen Rivalitäten zu Derartigem nicht fähig. Zufall oder nicht: Der bisherige Chefdirigent Wassili Sinajski hat keine 24 Stunden vor der Urteilsverkündung den Taktstock hingeworfen. Mitten in der Saison, wodurch zwei Premieren akut gefährdet sind. Sogar der Erzrivale des Verurteilten, Nikolai Tsiskaridse, der das Bolschoi – wegen der Reibereien mit Ballettchef Filin – inzwischen verlassen hat, nannte das Urteil ungerecht. Es ist noch nicht rechtskräftig, die Verteidigung will in Berufung gehen.

Das Bolschoi-Theater macht seit Jahren Schlagzeilen mit Skandalen

Russische und internationale Medien arbeiteten sich an der Causa mehrere Wochen mit viel Liebe zum Detail ab. Das Bolschoi versuchte zu beschwichtigen. Natürlich, sagte die damalige Pressechefin, Jekaterina Nowikowa, gäbe es im Theater Zufriedene wie Unzufriedene. Von einem Konflikt zwischen Dmitritschenko und Filin sei indes nichts bekannt.

Der Ballettchef des Bolschoi-Theaters, Sergei Filin, hat nach dem Attentat auf ihn 23 Operationen gebraucht. Zum Teil wurde er in Deutschland behandelt.
Der Ballettchef des Bolschoi-Theaters, Sergei Filin, hat nach dem Attentat auf ihn 23 Operationen gebraucht. Zum Teil wurde er in Deutschland behandelt.

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Nichts bekannt? Das Bolschoi macht bereits seit mehr als einem Jahrzehnt nicht nur mit Spitzentanz, sondern auch mit Skandalen Schlagzeilen. Kenner der Materie nennen das Theater eine Schlangengrube, berichten von fettleibigen Primadonnen, die im Konkurrenzkampf mit schlankerem Nachwuchs als letztes Argument schon mal Bügeleisen durch die Garderobe fliegen lassen. Oder von Primaballerinen, die nicht nur mit den Ellbogen, sondern auch mit anderen Körperteilen um die Vergabe von Hauptrollen kämpfen.

Zu Sowjetzeiten achtete die Leitung des Hauses streng darauf, dass von Intrigen und Kabalen nichts an die Öffentlichkeit drang. Doch damals waren die Gagen noch bescheiden. Bei den heutigen Summen wird der Verdrängungswettbewerb mit härteren Bandagen geführt. Und die Akteure suchen Beistand bei Presse und Publikum. Für seine Skandale ist das Bolschoi daher inzwischen fast so bekannt wie für Spitzentanz.

2011 fiel Gennadi Janin, seit 2003 Ballettchef und aussichtsreichster Kandidat für das Amt des künstlerischen Leiters, unangenehm durch Pornofotos auf. Jemand hatte sie per Mail an 3847 Empfänger verschickt, darunter Medien im In- und Ausland. Nachfolger wurde Filin, der Janin zum einfachen Tänzer degradierte. Und nach gut einem Jahr feuerte. 2001 musste Janins Vorgänger wegen einer Intrige das Amt des künstlerischen Leiters quittieren. Drei Jahre später trennte sich das Bolschoi von Primaballerina Anastasia Wolotschkowa. Sie sei mit 50 Kilo zu fett für einen Schwan, hieß es zur Begründung. Ins Rollen gebracht hatte den Stein Startänzer Nikolai Tsiskaradse: Als er Wolotschkowa in die Höhe stemmte, habe er sich die Wirbelsäule verknackst. Wolotschkowa, klagte und siegte. Das Bolschoi musste zahlen, bis ihr Vertrag auslief. Peanuts. Sie hat heute einen Oligarchen zum Ehemann.

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