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Panorama: Sand in den Augen

Ein Jahr nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull hat Europa keine Konsequenzen für den Luftverkehr gezogen

Vor wenigen Tagen ist eine neue Vulkanaschewolke zumindest virtuell über Europa gezogen. Unter Federführung von Eurocontrol beteiligten sich zahlreiche Airlines, Flugsicherungsorganisationen und Wetterdienste an der Simulation, deren Ergebnisse zur Verbesserung der Koordination aller Beteiligten beitragen sollen. Vor einem Jahr hatte der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull den europäischen Luftverkehr lahmgelegt. Doch obwohl schon bald wieder ein Vulkan ausbrechen könnte, gibt es in Europa noch immer keine einheitlichen Grenzwerte für ein Flugverbot.

Mehr als 100 000 Flüge hatten im April 2010 gestrichen werden müssen. Rund sieben Millionen Passagiere strandeten an den Flughäfen und allein den Luftverkehrsgesellschaften entstand ein Verlust von rund 1,3 Milliarden Euro. Doch die Flugverbote, die von den europäischen Verkehrsministern wegen der vermeintlichen Gefährdung der Flugzeuge und ihrer Insassen ausgesprochen wurden – die Aschepartikel können Triebwerke verstopfen und Cockpitscheiben undurchsichtig machen – beruhten auf theoretischen Berechnungen der zuständigen britischen Kontrollzentrale.

Inzwischen hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die endgültige Auswertung seiner damals vorgenommenen Messflüge vorgelegt. Danach sind die Flugverbote zumindest über Deutschland unnötig gewesen. Zu keinem Zeitpunkt ist der später festgelegte, vorläufige Grenzwert von 0,2 Milligramm pro Kubikmeter Luft erreicht worden.

Würde heute wieder ein Vulkan ausbrechen, wäre dennoch mit dem gleichen Chaos wie vor einem Jahr zu rechnen. Denn innerhalb der EU hat man sich noch immer nicht auf einheitliche Richtwerte einigen können. Mit einzelstaatlichen Lösungen ist es aber nicht getan, mahnt Lufthansa-Sprecher Peter Schneckenleitner. Das Problem sei eine europäische Angelegenheit, denn die Aschewolke halte sich nicht an geografische Grenzen.

„Wir fordern eine bessere Koordination auf EU-Ebene“, sagt Schneckenleitner. Diese würde sicher durch den lange geplanten, einheitlichen europäischen Luftraum vereinfacht werden, doch auch hier sehe man nach wie vor „sehr wenig Bewegung und Fortschritt“. Benötigt werde ein europäisches Messsystem, das realistische Daten statt Computersimulationen liefert. Ferner erwartet die Lufthansa, künftig intensiver in die Entscheidung einbezogen zu werden, ob, wann und wo geflogen werde.

„Soll eine Luftraumsperrung in Zukunft eingeschränkt oder vermieden werden, muss die Aschequelle schnell in der Nähe des Vulkans bestimmt werden sowie die Vorhersagen durch umfassende Messungen überprüft werden“, sagt Prof. Dr. Ulrich Schumann, Leiter des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre. „Hierzu sollten neben Messflugzeugen auch Satelliten und Fernmesssysteme am Boden eingesetzt werden. Wichtig ist zudem, dass die verschiedenen Messungen, Modelle und Flugplansysteme zukünftig in einem europäischen Informationssystem verknüpft und der Luftfahrt möglichst online zugänglich gemacht werden." Auch der deutsche Flughafenverband ADV sieht noch Handlungsbedarf auf Seiten der Politik. „Wir brauchen unbedingt eine funktionierende Krisenkommunikation auf nationaler Ebene“, sagt Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. „Bei künftigen Störungen des Luftraums muss sichergestellt sein, dass Ministerien, Flugsicherung, Wetterdienst, Airlines und Flughäfen reibungslos in einem Krisenstab zusammenarbeiten.“

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer drängt seine europäischen Kollegen zum schnellen Handeln. „Die EU-Kommission muss zum Thema Vulkanasche einen Fortschrittsbericht vorlegen. Wir sind es unserer europäischen Luftverkehrswirtschaft aber auch den Flugreisenden schuldig, verlässliche Entscheidungsgrundlagen für außergewöhnliche Naturphänomene festzulegen“, sagte der Politiker vor dem jüngsten Ministertreffen im März. „Unser Ziel sind verbindliche europäische Grenzwerte für Vulkanasche. Außerdem brauchen wir auf europäischer Ebene abgestimmte Verfahren für die Schließung und Öffnung der Lufträume und Konzepte, um den Ausfall eines kompletten Verkehrsträgers bewältigen zu können.“ Bislang seien nur provisorische Verfahren und Grenzwerte verabschiedet worden. Getan hat sich immer noch nichts und eine Sprecherin von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat auch Ramsauers Hoffnung auf das nächste Ministertreffen im Juni getrübt. Sie erklärte, dass es einheitliche Grenzwerte „in den nächsten ein oder zwei Jahren oder vielleicht länger“ nicht geben werde. Stattdessen versucht man jetzt den Schwarzen Peter den Triebwerksherstellern zuzuschieben.

Die europäische Flugsicherheitsagentur EASA soll eine neue Regelung ausarbeiten, mit der diese verpflichtet werden, den Fluggesellschaften konkrete Angaben zu den für die einzelnen Antriebe bestehenden Risiken durch Vulkanasche zu machen. Damit hätte sich die Politik auch der Haftungsfrage entledigt, falls es trotz Flugerlaubnis zu einem Zwischenfall kommt. All das kann lange dauern, zu lange, wie die Fluggesellschaften fürchten. In der Vergangenheit ist es nach einer Eruption des Eyjafjallajökull wiederholt binnen eines Jahres zu einem Ausbruch des viel gefährlicheren Katla-Vulkans gekommen, so das DLR. Die Aschewolke würde wieder in Richtung Europa ziehen. Lufthansa-Mann Schneckenleitner: „Dann hätten wir das gleiche Schlamassel wie vor einem Jahr“.

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