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168 Millionen Kinder weltweit müssen arbeiten, um ihre Familien finanziell zu unterstützen.

© imago/UIG

Save the Children: Mehr als 700 Millionen Kinder haben keine Kindheit

Hohe Sterblichkeit, mangelnde Ernährung, keine Bildung, Armut, Arbeit, Zwangsehen - die Jüngsten leiden unter den Krisen der Welt am meisten.

Maria war 13 Jahre alt, als sie in der brasilianischen Küstenmetropole Rio de Janeiro in eine Auseinandersetzung zwischen der Polizei und Drogendealern geriet. Sie überlebte den Schusswechsel nicht. Die fünfjährige Sanjana sammelt Müll am Rande eines der Slums von Neu-Delhi. Was sich von den Fundstücken noch verwerten lässt, das verkauft sie. Zeinabou ist neun und lebt in einem abgelegenen Dorf in Burkina Faso, Westafrika. Weil sie behindert ist, kann sie nicht zur Schule gehen. Sie verbringt ihre Tage zu Hause, wo sie auf ihren kleinen Bruder aufpasst und Strohbesen zum Verkauf fertigt. Tulasa aus Nepal war erst 13, als sie verheiratet wurde. Ihr erstes Kind wurde ein Jahr später tot geboren.

Im Niger ist die Situation am schlimmsten

Mehr als 700 Millionen Kinder auf dieser Welt werden durch Armut oder Krieg ihrer Kindheit beraubt. Wahrscheinlich sind es sogar noch Millionen mehr, denn die Dunkelziffer ist hoch. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt der Bericht „Stolen Childhood – geraubte Kindheit“, den die Hilfsorganisation Save the Children zum Internationalen Kindertag am Donnerstag veröffentlichte. „Die Kindheit sollte eine Zeit der Sicherheit, des Wachsens, des Lernens und des Spielens sein“, heißt es in dem Bericht. Aber ein solches Leben unter Fürsorge und Schutz könne ein Viertel der Kinder dieser Welt nicht führen.

Am stärksten sind die Kinder in West- und Zentralafrika gefährdet. Der Niger steht am Ende des erstmals veröffentlichten Childhood Index, den die Kinderrechtsorganisation entwickelt hat, um die Situation anhand konkreter Indikatoren aus verschiedenen Lebensbereichen vergleichen zu können. Die Daten zur Kindersterblichkeit, Ernährung, Schulbesuch, Kinderarbeit, Frühverheiratung, Gewalt gegen Kinder, Flucht, Vertreibung und bewaffneten Konflikten wurden in 172 Ländern erhoben.

263 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule

Dass Kinder in Ländern wie Norwegen, Slowenien oder Finnland eher unbeschwerte erste Lebensjahre genießen können, kann nicht überraschen. Deutschland liegt auf Rang 10 in dieser Liste, gemeinsam mit Belgien, Zypern und Südkorea. Am anderen Ende sind unmittelbar vor Niger weitere afrikanische Länder zu finden: Angola, Mali, die Zentralafrikanische Republik und Somalia.

Heute sterben im Vergleich zu 1990 nur noch halb so viele Kinder unter fünf Jahren aus vermeidbaren Gründen. Aber immer noch verlieren an jedem Tag mehr als 16000 Kinder dieser Altersgruppe ihr Leben, weil es Komplikationen bei der Geburt gab oder weil sie an Krankheiten litten, die bei besserer Gesundheitsversorgung durchaus nicht tödlich sein müssen. Die höchste Kindersterblichkeit ist in den Ländern südlich der Sahara zu verzeichnen, wo oft keinerlei medizinische Versorgung zur Verfügung steht, sie zu weit entfernt oder zu teuer ist.

263 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule. Auch diese Zahl ist gesunken, im Jahr 2000 waren es noch 375 Millionen. Doch die Folgen dieses Mangels reichen weit in die Zukunft, stellt der Bericht fest. Nur wenn Kindern eine Ausbildung ermöglicht werde, könne die nächste Generation Armut bekämpfen und Krankheiten vermeiden. Auch Angriffe auf Schulen halten die Kinder von Bildung ab. In Syrien fanden beispielsweise seit Beginn des Krieges über 4000 Angriffe auf Schulen statt. Ein Drittel aller Schulen kann nicht genutzt werden, da sie von Bomben beschädigt wurden oder als Notunterkünfte gebraucht werden.

Gefährliche Kinderarbeit

168 Millionen Jungen und Mädchen müssen arbeiten. Das sind mehr als alle in Europa lebenden Kinder. In Nepal beispielsweise arbeitet jedes dritte Kind, fast alle gehen dabei gefährlichen Tätigkeiten nach. Das bedrohe ihre körperliche, seelische, soziale und schulische Entwicklung, wird in dem Bericht der Hilfsorganisation scharf kritisiert.

In einer Vielzahl von Ländern gelten Eheschließungen vor dem 18. Lebensjahr als Verstoß gegen die Rechte von Kindern. Weltweit jedoch wird alle sieben Sekunden ein Mädchen verheiratet, das jünger als 15 Jahre alt ist. Diese Mädchen kommen meist aus armen Familien, sie sind oft von ihren Gemeinden und Familien isoliert und grundlegender Menschenrechte beraubt. Viele werden Opfer häuslicher Gewalt und erleben gefährliche Komplikationen in frühen Schwangerschaften oder während der Geburt.

Auch Fortschritte

All diese Zustände seien völlig inakzeptabel, kritisiert Bidjan Nashat, Vorstand bei Save the Children Deutschland. „Diesen Kindern wird alles geraubt, was eine Kindheit ausmacht. Das müssen wir ändern – und wir können es auch“, ist sie überzeugt. Tatsächlich seien in den letzten 25 Jahren zahlreiche Fortschritte erreicht worden, heißt es in dem Bericht von Save the Children. Aber in jüngster Zeit „hat der Kampf gegen extreme Armut häufig genau jene Kinder nicht erreicht, die die Hilfe am meisten brauchen“. Unter anderem liegt das daran, weil sie in Ländern leben, in denen Krieg herrscht.

Save the Children ist die weltweit größte Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte der Kinder einsetzt. Vor fast 100 Jahren in Großbritannien gegründet, waren nach dem ersten Weltkrieg deutsche Kinder die Ersten, denen geholfen wurde. Heute ist die Organisation in mehr als 100 Ländern aktiv. Der Childhood Index soll künftig jährlich veröffentlicht werden. (mit KNA)

Von Frank Herold

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