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Rettungskräfte verlassen die Kommandozentrale, die zur Koordinierung der Rettung und Bergung des Touristenschiffes mit mehr als 440 Passagieren auf dem Jangtse-Fluss in China aufgebaut wurde.

© REUTERS

Update

Schiffskatastrophe auf dem Jangtse: Helfer öffnen Schiffswrack in China - Mehr als 440 Tote befürchtet

Nach der Schiffskatastrophe auf dem Jangtse in China kommen die Bergungsarbeiten nur langsam voran. Fast 400 Menschen werden noch im Wrack vermisst. Es gibt kaum noch Hoffnung auf Überlebende. Die Angehörigen sind wütend.

Drei Tage nach der Schiffskatastrophe auf dem Jangtse in China haben Helfer erst 75 Leichen geborgen. Bei dem Unglück am Montagabend im Sturm sind vermutlich mehr als 440 Menschen ums Leben gekommen. Die Bergungstrupps haben begonnen, Löcher in den Rumpf des kieloben liegenden Flusskreuzfahrtschiffes „Stern des Orients“ zu schneiden, wie das Staatsfernsehen am Donnerstag berichtete. Die Chancen, dass jemand im Rumpf überlebt haben könnte, waren nach Angaben des Fernsehens gering. Nur 14 Menschen konnten nach dem Kentern des Schiffes lebend gerettet werden. An Bord waren 456 Menschen - meist ältere Touristen, die eine elftägige Jangtse-Tour machten.

Die Tragödie bei Jianli (Provinz Hubei) könnte Chinas schlimmste Schiffskatastrophe sei fast sieben Jahrzehnten werden. Schlechtes Wetter und heftige Regen behinderten die Bergungsarbeiten, berichteten die Staatsmedien. Die Taucher kamen in dem trüben, 15 Meter tiefen Wasser nur schwer voran. Viele umgefallene Möbelstücke blockierten die Gänge innerhalb des Schiffes, berichtete das Fernsehen. Kabinentüren seien von innen verriegelt. Wegen der schlechten Sicht könnten sich die Taucher nur mit den Händen vortasten. Mehr als 200 Taucher arbeiteten in Schichten.

Stahlseile am Kiel sollen das Wrack stabilisieren

Die Bergungstrupps wollten drei Löcher in den Rumpf schneiden, um Tauchern besseren Zugang zu geben. Es bestehe aber die Gefahr, dass dann Luft aus dem Inneren entweicht, das Schiff davon instabil wird oder weiter sinkt, berichtete die Nachrichtenagentur Xinhua. Die Einsatzkräfte befestigten Stahlseile am Kiel, um das Wrack zu stabilisieren. Fünf Bergungsschiffe standen mit großen Kränen bereit, um das Schiff zu halten. Um zu verhindern, dass die Strömung die Leichen wegtreibt, wurden Fischernetze um das Wrack gelegt.

Mehr als 4000 Helfer waren im Einsatz. 130 Schiffe beteiligten sich an der Suche nach Opfern, die auf 220 Kilometer flussabwärts ausgeweitet wurde. Die Behörden verstärkten auch ihre Bemühungen, sich um die Angehörigen zu kümmern, unter denen sich Unmut über die Behandlung regte. Viele sind auf eigene Faust zum Unfallort gefahren. Die Behörden räumten nach Angaben des Staatsfernsehens ein, dass es nach dem plötzlichen Unglück „schwierig ist, sich um die Bedürfnisse eines jeden Familienmitglieds zu kümmern“.

Der Staatsrat hat Ermittlungen zur Ursache des Unglücks eingeleitet. Es gab viele Fragen über das Verhalten des Kapitäns und Chefingenieurs, die beide überlebt haben und in Polizeigewahrsam gehalten werden. Nach ihren Angaben soll ein Tornado das vierstöckige Schiff plötzlich in Schieflage und „in nur ein bis zwei Minuten“ zum Kentern gebracht haben. Unklar war, warum der erfahrene Kapitän trotz des schlechten Wetters weiterfuhr, während andere Schiffe anhielten.

"Sie sind da nicht lebend herausgekommen"

Auf eigene Faust reisen Verwandte der Opfer zum Ort der Schiffskatastrophe in China. Informationen bekommen sie dort keine. Und Polizisten lassen sie nicht einmal an den Fluss: Ling Feng klingt erschöpft. Die Seelenqualen und Strapazen sind ihm anzumerken. „Wir wollen jetzt nichts anderes, als die Leichen zu identifizieren“, sagt er, während immer mehr Tote aus dem Schiffswrack geborgen werden, am Telefon. Neun Stunden sind er und andere Angehörige mit dem Auto von Nanjing in Ostchina zum Jangtse nach Jianli in der Provinz Hubei in Zentralchina gefahren. Seine 73 Jahre alte Großmutter Yang Xinglan war an Bord des Flusskreuzfahrtschiffes „Stern des Orients“ - sie teilte sich eine Kabine mit der 65-jährigen Zhu Hongmei, die am Dienstag wie durch ein Wunder noch aus dem Schiff gerettet werden konnte.

Ihre Reisegefährtin hatte in einer Luftblase ausharren können. Rettungstaucher fanden sie und brachten ihr bei, wie ein Atemgerät zu benutzen ist. 20 Minuten später tauchte sie an die Wasseroberfläche - eine von nur zwei Passagieren, die es am Dienstag noch lebend aus dem Schiffswrack geschafft haben. Doch Großmutter Yang, die mit einer Gruppe von acht Verwandten und Freunden auf die elftägige Schiffstour gegangen war, hatte kein Glück. „Uns ist ziemlich bewusst, was passiert ist“, sagt ihr Enkel, der keine Hoffnung mehr hat. „Wir wissen jetzt, dass unsere Verwandten da nicht lebend herausgekommen sind.“

Wut der Angehörigen

Er ist frustriert und ärgert sich, wie mit den Angehörigen umgegangen wird. „Daheim in Nanjing weigerten sich die Behörden, uns hierher nach Jianli zu bringen“, sagt er. „Da sind wir selber losgefahren.“ Die Informationspolitik sei schlecht: „Wir wissen nichts.“ In Jianli seien sie direkt zum Fluss gefahren. „Aber da war bewaffnete Polizei, die das Ufer weiträumig abgesperrt hat“, berichtet er über die paramilitärische Polizeitruppe. „Wir sind nicht einmal in die Nähe des Ufers gekommen.“ Stattdessen seien sie in einem Hotel untergebracht worden, wo sie jetzt warten.

Wer Schuld an dem Unglück hat, scheint für ihn im Moment nicht so wichtig. Nach der Verantwortung des Kapitäns befragt, der wie der Chefingenieur zu den nur 14 Überlebenden des Unglücks am Montagabend zählt, sagt Ling Feng nur: „Ja, es kann sein, dass er sich nicht richtig verhalten hat, aber ich habe nur die Nachrichten gehört.“ Kapitän Zhang Shuwen war trotz des aufziehenden Sturmes weitergefahren, während mindestens zwei andere Schiffe vorsichtshalber vor Anker gingen, um das schlechte Wetter abzuwarten. Anhand von Satellitendaten ist auch zu sehen, dass das Schiff eine scharfe Wende gemacht hat und zehn Minuten schräg seitlich zurückgefahren ist, bevor es gesunken ist. Das weckt Fragen, weil der Kapitän angegeben hat, ein Tornado habe das Schiff gepackt und „in ein bis zwei Minuten“ zum Kentern gebracht.

Zhang Shuwen, der in Polizeigewahrsam befragt wird, fuhr seit sieben Jahren auf der „Stern des Orients“, wie Staatsmedien berichten. Seine Frau arbeitete als Serviererin in einem der Restaurants an Bord - sie wurde bislang nicht gefunden. Ling Feng quält die Warterei. Aber es bleibt ihm nichts anderes, als sich in Geduld zu üben. Im Hotel gebe es auch Betreuer. „Die Leute im Hotel sind sehr nett“, sagt Ling Feng. „Aber das ist nicht, was wir jetzt brauchen.“ Er sucht ein Ende der Ungewissheit - einen Abschluss der Tragödie: „Wir wollen nur die Leichen sehen.“ (dpa)

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