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Schlagwetterexplosion: Mindestens 28 Tote bei Grubenunglück in der Türkei

Tödliche Schlamperei – und Arroganz: Mindestens 28 Bergleute sind bei einem Grubenunglück im Norden der Türkei ums Leben gekommen. Das Unglück hätte durch mehr Know-How und schärfere staatliche Kontrollen verhindert werden können, sagen Fachleute.

Tagelang hatten sie gewartet und gebetet, doch es war umsonst. Seit der Nachricht von einer schweren Schlagwetterexplosion 540 Meter unter Tage am Montag schwankten die Angehörigen von mehreren Dutzend Bergleute der Karadon-Kohlegrube im nordtürkischen Zonguldak zwischen Hoffen und Bangen. Am Donnerstag erhielten sie von Energieminister Taner Yildiz die schreckliche Nachricht: 28 Bergleute sind tot, zwei werden noch vermisst. Wieder einmal haben die haarsträubenden Arbeitsbedingungen in türkischen Bergwerken viele Menschenleben gekostet. Es sieht nicht so aus, als würde sich an den Zuständen bald etwas ändern.

Weinend und verzweifelt stützten sich die Frauen, Mütter und Schwestern der toten Bergleute gegenseitig. Abgesehen von dem Schmerz über den Tod ihres Mannes, Sohnes oder Bruders droht vielen Familien in der Gegend nun bittere Armut. Zonguldak zählt zu den besonders armen Provinzen der ohnehin nicht sehr reichen Türkei, außer dem Bergbau gibt es hier kaum Arbeitsplätze. Die Jobs in den Kohlegruben mögen lebensgefährlich sein – doch andere gibt es nicht.

Aber statt den Betroffenen zu helfen oder zumindest Mitgefühl zu zeigen, belehrte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in einer Rede während eines Besuches am Unglücksbergwerk seine Zuhörer, Unfälle gehörten nun einmal zum Berufsrisiko von Bergleuten. Als Erdogan sprach, waren die Leichen der 28 Opfer noch nicht gefunden. Dennoch wirft nicht nur Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu dem Regierungschef vor, sich völlog im Ton vergriffen zu haben. Auch die Zeitungen kommentieren, Erdogan habe rücksichtslos auf den Gefühlen der Angehörigen herumgetrampelt. Bei wütenden Protesten gegen den Premier am Unglücksbergwerk musste die Polizei Warnschüsse in die Luft abgeben.

Dabei hätten Erdogan und seine Minister einiges zu tun in den Bergwerken von Zonguldak und anderswo in der Türkei, finden Experten. Der Bergbau-Professor Tevfik Güyagüler sagte dem Nachrichtensender NTV, er habe im Auftrag der Regierung bereits 1983 in einem Bericht höhere Sicherheitsstandards gefordert. Keiner seiner Vorschläge sei jedoch umgesetzt worden. In den Gruben seien nach wie vor unerfahrene Ingenieure an entscheidenden Positionen tätig, noch immer seien die Gewerkschaften zu schwach, um bessere Sicherheitsvorkehrungen durchzusetzen, noch immer kümmere sich der Staat nicht um die Probleme, sagte der Professor.

Immerhin will Staatspräsident Abdullah Gül nun von eigenen Kontrolleuren untersuchen lassen, warum in den Bergwerken so geschlampt wird. Die Antwort dürfte Gül aber bereits jetzt kennen: Sicherheit kostet Geld und schmälert den Gewinn, und der Staat ist entweder nicht bereit oder nicht in der Lage, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Es gebe 44.000 offiziell registrierte Bergwerksbetriebe im Land, berichtete die Zeitung „Vatan“ am Donnerstag. Darunter sind kleine Familienunternehmen mit nur wenigen Arbeitern, aber auch große Unternehmen wie das in Zonguldak – aber es gibt landesweit nur 250 staatliche Kontrolleure. Allein seit Dezember sind mindestens 60 Bergleute in türkischen Gruben ums Leben gekommen.

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